Pfaffenhofen
Die Unterschrift des Richters fehlt noch

Warten auf den Strafbefehl: Staatsanwalt und Verteidigerin sehen sich im Recht – 300 Euro Schmerzensgeld

18.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:25 Uhr

Erspart sich Albert Müller einen Gerichtsprozess und das damit verbundene Aufsehen und nimmt den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft an? Seine Anwältin gibt sich kampfeslustig. Arch - foto: Straßer

Pfaffenhofen (PK) Beleidigung, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: Noch hat Albert Müller den von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl gar nicht in der Hand, seine eventuellen Folgen dürften den suspendierten Scheyerer Bürgermeister allerdings jetzt schon beschäftigen.

„Wir haben noch nichts vorliegen“, stellte Regina Rick gestern gegenüber unserer Zeitung klar. Die Müller-Rechtsanwältin ist nun erst einmal gespannt, ob der letztlich zuständige Richter den von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl, der im Übrigen mit einer Geldstrafe verbunden ist, überhaupt unterschreibt und ihn dann nach Scheyern schickt. Denn nach wie vor ist Rick felsenfest davon überzeugt, dass der Vorwurf der Beleidigung in sich zusammenfallen wird. Und genau diesen Straftatbestand sieht die Staatsanwaltschaft München I als erfüllt, die Müller vorwirft, am 20. Juni am Münchener Stachus mehreren Frauen unter den Rock fotografiert zu haben. Die in Pfaffenhofen lebende Juristin beruft sich dagegen unter anderem auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg, dem zufolge „heimliches Beobachten“ nicht als Straftatbestand anzusehen sei – auch nicht als Beleidigung.

Ob ihr Mandant den avisierten Strafbefehl annehme, liege natürlich in seinem Ermessen, aber: „Wenn es nach mir geht, werden wir einen Strafbefehl wegen Beleidigung nicht akzeptieren.“ Und sollte sich die Beleidigungsgeschichte tatsächlich in Luft auflösen, wäre nach Ansicht der Rechtsanwältin auch der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vom Tisch, „weil die Festnahme meines Mandanten dann nicht rechtmäßig war.“ Geeinigt hat man sich übrigens mittlerweile mit dem Polizeibeamten, den der Rathauschef bei seiner Festnahme mit einem Schlag in die Rippen verletzt haben soll. Der Beamte habe von ihrem Mandanten 300 Euro Schmerzensgeld erhalten, „weil wir einen öffentlichen Streit über diesen Betrag nicht führen wollten.“ Allerdings falle ihr in letzter Zeit vermehrt auf, dass Polizeibeamte sich einen „Nebenverdienst“ schaffen, indem sie umgehend Schmerzensgeldansprüche wegen angeblicher Widerstandshandlungen oder Körperverletzungen geltend machen. „Was ein Polizeibeamter im Strafverfahren als Zeuge wert ist, der vornehmlich eigene finanzielle Interessen verfolgt, sei dahin gestellt“, sagte Rick.

Und weil die Staatsanwaltschaft die Spanneraffäre am Münchener Stachus nur mit einem Strafbefehl (mit Geldstrafe) ahnden will, sind nach Auffassung von Rick die Chancen des derzeit beurlaubten Bürgermeisters auch im Disziplinarverfahren vor der Landesanwaltschaft Bayern deutlich gestiegen: „Die vorläufige Suspendierung kann eigentlich nicht mehr aufrechterhalten werden“, wobei sich die Frage nach der Rückkehr Müllers in sein Amt nach Ansicht der Juristin wohl nicht stellt. Unabhängig davon, ob Müller den Strafbefehl nun annehme oder nicht: eine endgültige Entscheidung über die Suspendierung im Rahmen des Disziplinverfahrens, das bis zum Abschluss der strafrechtlichen Seite ruht, werde sicherlich nicht vor den Kommunalwahlen am 16. März fallen. Angst vor dem Verlust seiner Ruhestandsbezüge muss der Bürgermeister laut Rick jedenfalls nicht haben. Da die Staatsanwaltschaft die Angelegenheit mit einem Strafbefehl eher niedrig gehängt habe, könne am Ende des Disziplinarverfahrens auch keine Amtsenthebung stehen. Regina Rick: „Eine endgültige Streichung der Bezüge kommt damit aus meiner Sicht nicht mehr infrage und wäre angesichts der langen Dienstzugehörigkeit nicht zu rechtfertigen.“

Während man bei der Landesanwaltschaft Bayern mit Hinweis auf das derzeit ruhende Verfahren keine Stellungnahme abgeben wollte, erklärte Thomas Steinkraus-Koch von der Staatsanwaltschaft München I, warum der Vorwurf der Beleidigung doch gerechtfertigt ist: „Wenn ich zu jemanden sage ,Du Depp‘, ist das eine Beleidigung. Wenn ich zu anderen sage ,der ist ein Depp‘ beleidige ich ihn ebenfalls.“ Im Fall Müller hätten Polizeibeamte und ein Passant beobachtet, wie dieser Frauen unter den Rock fotografiert und diese damit zu einem „Objekt degradiert“ und in ihrer Ehre herabgewürdigt habe. Beide Beispiele seien absolut vergleichbar. Am Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte will Steinkreis-Koch festhalten, auch wenn sich das Thema Beleidigung erledigen sollte. Schließlich handele es sich dann immer noch um eine Ordnungswidrigkeit, wegen der Polizeibeamte jemanden zur Feststellung der Personalien und Sicherung von Beweismitteln (gefunden wurden 99 Bilder und rund 20 Videos) festhalten dürfen.

Warum die Staatsanwaltschaft letztlich „nur“ einen Strafbefehl verbunden mit einer Geldstrafe beantragt haben, ist nach den Worten des Oberstaatsanwaltes ebenfalls erklärbar. Bei dem Beschuldigten handele es sich um einen „Ersttäter“, der zudem keine sexuellen Handlungen vorgenommen habe. Das Schmerzensgeld an den Polizeibeamten sei bei der Strafbemessung ebenfalls berücksichtigt worden. Auch wenn Müller als Bürgermeister sicher auch eine Vorbildfunktion habe – „wir müssen uns an vergleichbaren Fällen orientieren.“