Pfaffenhofen
"Emotionale Ausnahmesituation"

Üble Beleidigung: Angeklagte kommt mit Geldstrafe davon

09.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:23 Uhr

Pfaffenhofen (DK) Wer glaubte, ambulante Pflegehelfer hätten es ausschließlich mit Menschen zu tun, die nur dankbar für ihre Dienste sind, ist am Pfaffenhofener Amtsgericht eines Besseren belehrt worden: Angeklagt war eine 47-Jährige, weil sie den Leiter eines Pflegedienstes in ihrer Wohnung übel beleidigt hatte: "Du Arschloch, du asoziale Drecksau. . ." Der Beschimpfte erstattete Anzeige.

Seit neun Jahren, berichtete die angeklagte Gisela K. (alle Namen geändert), pflege sie ihren bettlägrigen Vater. Der sei dement, müsse gewindelt werden, das Essen müsse man ihm eingeben, Medikamente verabreichen und Insulin spritzen. Deshalb kommt zweimal am Tag ein ambulanter Pflegedienst vorbei, wechselt ihm die Windeln, wäscht den Patienten und versorgt ihn. Dankbar ist der alte Herr allerdings nicht: Er beschimpfte und beleidigte die Schwestern, weshalb seine Tochter in ständiger Sorge lebte, dass er irgendwann ins Heim muss. Einmal, sagt der Kläger Andreas M., 30, der in der Geschäftsführung des Pflegedienstes arbeitet, sei eine seiner Mitarbeiterinnen vom Hund der Familie ins Bein gebissen worden, weil sie offenbar zu schnell die Treppe hinuntergegangen sei. Weshalb sie, erklärt eine Pflegerin vor Gericht, zunehmend Angst gehabt hätte, die Wohnung der Familie zu betreten.

Nun weiß jeder Altenpfleger, dass demente ältere Menschen nicht immer einfach sind. Aber irgendwann lief das Fass über, und der Pflegedienst beschloss, auch um seine Mitarbeiterinnen zu schützen, den Vertrag zu kündigen. Andreas M.: "Frau K. gehört zu jenen Leuten, die glauben: Wir sind die, die bezahlt werden, und darum müssen wir nach ihrer Pfeife tanzen." Am 21. März gegen 17 Uhr begleitete er die Pflegerin Sabrina D., um die Kündigung persönlich zu überbringen, die Gisela K. bitte unterschreiben möge. Aber die dachte überhaupt nicht daran. Im Gegenteil: Sie forderte ihn auf, ihre Wohnung zu verlassen. Aber, sagt sie, Andreas K. sei einfach nicht gegangen, er wollte die Unterschrift. "So nah" - Gisela K. hält ihre Hand 30 Zentimeter vor ihr Gesicht - "hat er sich vor mich hingestellt." Andersrum sei es richtig, sagt der Pflegedienstleiter, sie war es, die sich so nah vor ihm aufbaute. Dann habe sie ihn an der Schulter gepackt und geschubst, damit er geht, und sein Handy auf die Treppe geworfen. Schließlich habe Andreas M. die Wohnung verlassen ("Die Unterschrift", sagt er, "hätte ich gar nicht gebraucht, die Kündigung reicht"), während Schwester Sabrina oben weiter den Vater versorgte. "Das wäre ja sonst unterlassene Hilfeleistung gewesen", erklärt Andreas M., dem Gisela K., als er schon das Grundstück verlassen hatte und schon bei seinem Auto war, nachrief: "Du asozialer Drecksack, du!" Oben am Fenster habe sie gelacht, gefeixt und ihn mit ihrem Handy fotografiert. Der Pflegedienstleiter rief die Polizei - ohne zu wissen, dass die schon von Gisela K. verständigt worden war, um ihn aus der Wohnung zu komplimentieren.

"Haben Sie ihn beleidigt", fragt Amtsrichterin Nicola Schwend. "Kann sein", erwidert die Angeklagte, "das tut mir richtig leid." Ob sie sich entschuldigen wolle? Ja, aufrichtig! Andreas K. nimmt die Entschuldigung an.

Für Staatsanwalt Johannes Riederer ist eine Gefängnisstrafe unausweichlich: sechs einschlägige Vorstrafen wegen Beleidigung, noch dazu die letzte Strafe auf Bewährung, die Bewährungszeit laufe erst in einem Jahr ab - er fordert eine Haftstrafe von sechs Monaten. Ohne Bewährung.

Verteidiger Ulrich Heidenreich bittet um Milde: Seine Mandantin sei aus Sorge um ihren Vater aus der Haut gefahren, weil sie fürchtete, dass er ins Heim müsse. Und wenn sie jetzt in Haft komme, könne der Vater nicht daheim bleiben. Aber wenn es schon eine Haftstrafe sein müsse, dann bitte am unteren Rand. Er plädiert für eine Geldstrafe, die seine Mandantin auch sehr treffe. Wohl wahr: Gisela K. ist arbeitslos, bekommt Grundsicherung, die Miete kann sie sich nur leisten, weil ihre Töchter beispringen. Ohnehin hat sie Mietschulden.

Richterin Nicola Schwend billigt der Angeklagten eine "emotionale Ausnahmesituation" zu. Bei einer Haftstrafe würden die Probleme nur noch größer. Gisela K. kommt mit einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 20 Euro glimpflich weg.