Pfaffenhofen
Literaturgenuss in schwierigen Zeiten

Lesebühne bietet ein vielfältiges Programm mit hochkarätigen Autoren - Düstere Zukunftsszenarien und starke Frauen

25.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:59 Uhr
Wolf Harlanders "42 Grad" geht unter die Haut. −Foto: Bornemann

Pfaffenhofen - Mit einer hochkarätigen Auswahl an Autoren hat die Pfaffenhofener Lesebühne am Wochenende begeistert. Kulturreferent Reinhard Haiplik eröffnete die diesjährige Lesebühne mit der provokanten Frage, ob man sich denn in diesen schwierigen Zeiten mit Kultur befassen kann oder darf. Dass diese Frage mit einem klaren Ja zu beantworten ist, bewiesen die Autoren eindrucksvoll.

Mit einem düsteren Zukunftsszenario eröffnete Wolf Harlander die Lesebühne am Freitagabend im Festsaal des Rathauses. Sein Roman "42 Grad" erzählt eindringlich, wie sich Hitze und Trockenheit als Folge des Klimawandels und des daraus resultierenden Wassermangels auf das Leben der Menschen auswirkt. Anhand verschiedener Handlungsstränge schildert er die Auswirkungen des Wassermangels aus der Sicht von unterschiedlichen Protagonisten. Da ist zum einen Kerstin, die mit ihren Kindern den Stress der Großstadt hinter sich gelassen und in der Brandenburger Idylle den Hof der Großeltern übernommen hat. Sie glaubt zuerst an einen technischen Defekt, erst langsam sickert ihr ins Bewusstsein, dass sich hier etwas ereignet, für das es keine einfache Lösung gibt. Der Alltag ohne Wasser gestaltet sich schwierig, Wasser wird zum Luxusgut. Florian leistet Hilfe bei der Bekämpfung von Waldbränden, die sich bei der Hitze und Trockenheit rasend schnell ausbreiten und die Feuerwehr und Einsatzkräfte völlig überfordern. Ohne ausreichende Mengen ans Löschwasser stehen die Männer auf verlorenem Posten und müssen vor dem Feuer kapitulieren. Auch andere Charaktere haben mit dem Wassermangel und seinen Ursachen zu kämpfen, während kriminelle Elemente die Notlage ausnutzen und sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Die Situation verschlechtert sich zunehmend, die Menschen stehen den Herausforderungen hilflos gegenüber. Der Mangel an Wasser erweist sich als Stresstest für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Harlander erzählt mit seiner geraden schnörkellosen Sprache eine Geschichte, die schnell unter die Haut geht und betroffen macht. Dieses selbst betroffen sein, macht seinen Roman umso eindringlicher. Zwar erzählt der Autor eine fiktionale Geschichte, aber die Realität hat diese Fiktion zum Teil schon eingeholt. Die "42 Grad" im Titel wurden im Sommer 2019 mit erstmalig in Deutschland gemessenen 42,6 Grad sogar übertroffen. Zwischen den Textauszügen, die Harlander vorliest, versorgt er die Zuhörer mit Fakten zur Situation in Deutschland. Er weist zum Beispiel darauf hin, dass jeder Bürger, wenn man den Wasserverbrauch zur Produktion von Lebensmitteln mitrechnet, durchschnittlich 4000 Liter Wasser am Tag verbraucht. In seinem Roman zeichnet er ein düsteres Bild von einer Zukunft, die durch die Folgen des Klimawandels, menschliche Fehler und Egoismen große gesellschaftliche Herausforderungen vor sich hat. Zum Schluss bleibt die Frage: Was bleibt davon Fiktion und wie wird sich die Wirklichkeit entwickeln?

"Wo die wilden Frauen wohnen" lautet der Titel des aktuellen Buches der Journalistin und Buchautorin Anne Siegel. Damit war sie am Samstagnachmittag zu Gast auf der Lesebühne. Mit zehn Portraits von Isländerinnen, die ihr Leben selbstbestimmt und zupackend gestalten, erzählt die Autorin nicht nur die Geschichten und Entwicklungen der Frauen, sondern gibt auch einen interessanten Einblick in die isländische Gesellschaft.

Dorle Kopetzky, die für die Programmgestaltung der Lesebühne verantwortlich ist, begrüßte die Autorin, mit der sie seit einigen Jahren bekannt ist. Sie erinnerte daran, dass vor zehn Jahren in Pfaffenhofen ein Island Festival stattfand, das rund 8000 Besucher hatte und sogar mit einem Geysir in der Ilm aufwarten konnte. Nun also eine Lesung, die sich mit Island und seinen starken Frauen befasst. Dass diese Lesung ihren ganz eigenen Weg gehen würde, machte Anne Siegel gleich zu Anfang klar: "Lesen können Sie ja selbst, ich erzähle Ihnen lieber die Geschichten, die nicht im Buch stehen." Diesem ungewöhnlichen Einstieg zur Veranstaltung ließ Siegel 90 unterhaltsame Minuten folgen, in denen sie ihr Publikum auf eine intensive Reise nach Island und anderswo mitnahm. Sie erzählte die Geschichte von Agnes Anna, die aus einer Notsituation heraus beschloss, eine Brauerei zu gründen - obwohl sie selbst gar kein Bier trank. Heute gehört ihr die drittgrößte Brauerei Islands und sie ist mit Ideen für neue Projekte noch lange nicht am Ende. Bis zum Südpol zog es die Abenteuerin Vilborg, allein und auf Skiern, noch nicht ganz am Ziel angekommen reift in ihr der Plan die sieben höchsten Berge der sieben Kontinente zu besteigen.

Anne Siegel ist eine begnadete Geschichtenerzählerin, bei ihr verschwimmen die Übergänge zwischen dem, was sie aus ihrem Buch vorträgt, und den Geschichten, die sich beim Schreiben und Recherchieren ereignet haben, zu einem neuen Erzähl-Gesamtkunstwerk. Mit ihrer unglaublichen Energie und Erzählfreude macht sie diese Lesung zu einem kurzweiligen Vergnügen, man kann sich kaum vorstellen, wie intensiv ihre Lesungen zu Nicht-Coronazeiten wohl sein mögen, denn dieses nur auf einem Stuhl sitzen und nicht den ganzen Raum nutzen zu können, fiel ihr wohl schon sehr schwer. Das überwiegend weibliche Publikum bedankte sich für diesen lebensfrohen Ausflug in die isländische Seele mit einem großen Applaus.

PK

Dorothee Bornemann