Pfaffenhofen
In die Mitte der Gesellschaft

Katrin Kermer und ihre Familie sind taub - Sie setzen sich für mehr Teilhabe von Gehörlosen ein

15.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:58 Uhr
Sie werben für Unterstützung: Katrin Kermer und ihr Tochter Luise sind taub - so wie die gesamte Familie. Per Petition sollen Gehörlose bessere Bildungschancen und mehr Teilhabe an der Gesellschaft erhalten. Am Samstag endet die Eintragungsfrist. −Foto: Blum

Pfaffenhofen (PK) Ein Leben ohne Gehör ist für die meisten Menschen kaum vorstellbar. Für die Familie von Katrin und Gabriel Kermer ist es hingegen normal: Sie meistern den Alltag ohne das Geringste hören zu können. Das Ehepaar und ihre vier Kinder sind von Geburt an taub. Daran ist nichts zu ändern - ihre gesellschaftliche Anerkennung aber sehr wohl.

Inklusion ist eines der Zauberworte unserer Zeit. Menschen mit Einschränkungen oder Behinderungen sollen dadurch nicht ausgegrenzt werden, so wie es lange der Fall war und in vielen Bereichen immer noch ist. Sondern sie sollen integriert werden: in eine betont "bunte" Gemeinschaft. Gerade für Gehörlose ist es nicht immer einfach, mit anderen zu kommunizieren. Denn sie bekommen schlichtweg so einiges nicht mit.

Wer sich mit Katrin Kermer unterhält, muss sich erst einmal gehörig umstellen. Die 36-Jährige lebt seit 2015 mit ihrer Familie in Pfaffenhofen. Wer die vierfache Mutter mit ihrer zehnjährigen Tochter Luise an der Hand über den Hauptplatz spazieren sieht, ahnt nichts. Und weder ihrem Mann Gabriel noch ihren kleineren Söhnen Leonard, Laurenz und Leander ist auf den ersten Blick anzumerken, was die Familie besonders macht. "Wir sind alle von Geburt an taub", bestätigt die Mutter selbstbewusst. "Höchstwahrscheinlich genetisch und das macht uns nichts aus."

Die Kermers sind sechs von bayernweit über 6000 Menschen, die unter einem beidseitigen Hörverlust von über 80 Prozent leiden. Auch in und um Pfaffenhofen ist die Familie mit ihrer Einschränkung nicht allein. Einige Dutzend Gehörlose werden im Landkreis wohl leben, schätzt die examinierte Pflegefachkraft. Sie selbst komme gut klar, gibt die Mutter zu verstehen. Aber es könne besser sein, weiß sie auch. Daher macht sie sich stark für eine derzeit laufende Onlinepetition an den Bundestag und den Bayerischen Landtag, die in allen Städten und Gemeinden die Situation der Gehörlosen verbessern soll.

Die Familie Kermer hat Wege gefunden, um im Alltag klarzukommen. Die Kinder werden bei Regens Wagner betreut, Luise besucht in München eine Gehörlosenschule. "Das ist ok", sagt die Mutter. Trotzdem träumt sie davon, dass ihre Kinder auch eine ganz normale Schule besuchen könnten, allerdings mit bestimmten Bedingungen verknüpft. "Gebärdensprache umsetzen! Bilingual - bimodal - endlich normal!" ist die Petition überschrieben. Unterstützer brauchen sich nur auf die Seite zu googeln und können sich dann eintragen. Über 17000 haben es schon getan. In den letzten Tagen sollen so viele Unterschriften wie möglich dazukommen. Die Landtage werden darin aufgefordert, die Absätze 3 und 4 im Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, um das Thema Gebärdensprache auf allen Ebenen des Bildungswesens im deutschsprachigen Raum voranzubringen.

Denn aktuell, so die Initiatoren der Petition, bestehe sowohl in Gehörloseneinrichtungen, als auch in Regeleinrichtungen ein dramatischer Mangel an barrierefreien Bildungsangeboten für gehörlose Kinder. Damit mangle es auch an den Voraussetzungen für einen gleichberechtigten Schulstart. Denn auch in der Frühpädagogik seien gebärdensprachliche Angebote nicht verankert, heißt es weiter.

Genau hier setzt Katrin Kermer an. Ihre Familie könne sich zwar in einer Laufgruppe sehr gut integrieren. "Auch in der Leichtathletik klappt es gut. Beim Sport ist Inklusion kein Thema", sagt die 36-Jährige. Doch gerade im Kindergarten und in der Schule sind die Grenzen der Integration derzeit noch schnell erreicht. "Wenn in einer Klasse ein gehörloses Kind sitzt, müsste eigentlich neben dem Lehrer Gebärdensprachdolmetscher eingesetzt werden", sagt Katrin Kermer. Oder noch besser: Der Lehrer beherrscht DGS (Deutsche Gebärdensprache) selbst. Auch in Kindergärten sollte so etwas möglich sein. Im Idealfall gehöre es schlichtweg zur pädagogischen Ausbildung, auch die Gehörlosensprache zu erlernen. Auch die Vereinigung der Eltern Hörgeschädigter in Bayern, bei dem Katrin Kermer sich im Vorstand engagiert, unterstützt die Petition in vollem Umfang. Die genauen Ziele der Gehörlosen in Bayern werden in der Petition exakt definiert (siehe Infokasten). Katrin Kermer bringt ergänzend aber auch noch eine Forderung ins Spiel, die von der Stadt Pfaffenhofen mit einigem Aufwand erfüllt werden könnte. Die Videos der Stadt, auf denen sich beispielsweise Bürgermeister Thomas Herker gerne zu Wort meldet, sollten Untertitel bekommen, meint sie. Und die Gehörlose geht noch weiter. Wenn die Stadtratssitzungen schon live im Internet übertragen werden, sollten die Beiträge auch von einem Gebärdensprachdolmetscher live übersetzt werden

Patrick Ermert