Wolnzach
Vom Altar daheim hinaus in die Welt

Gottesdienst-Live-Übertragungen gehen zu Ende: Über 60000 Menschen schauten zu - sogar in Australien

25.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:32 Uhr
Anfangs nervös, dann immer routinierter agierten Pfarrer Nowak (rechts) und Pfarrer Roeb vor der Kamera. −Foto: Karmacon

Wolnzach/Gosseltshausen - Hilflosigkeit. Einsamkeit. Angst. Als der Corona-Lockdown die Menschen zwang, daheim zu bleiben, Abstand zu halten und sich zu deren Schutz sogar von Familienmitgliedern fern zu halten, da gingen zwei Pfarrer ganz neue Wege: Przemyslaw Nowak und Max Roeb, Nachbarpfarrer aus Gosseltshausen und Wolnzach, brachten durch Live-Übertragungen die Kirchen aus Wolnzach, Eschelbach, Gosseltshausen, Königsfeld, Burgstall und Lohwinden zu den Menschen nach Hause. Ein Experiment für alle Seiten, das bislang über 60000 Zuschauer brachte. Jetzt geht es zu Ende: "Wir wünschen uns, dass die Menschen wieder zu uns in die Kirche kommen", sagen die beiden Pfarrer.

Wie kann man als Pfarrer, als Kirche, für die Menschen da sein, wenn jene das Haus nicht verlassen und die Kirchenbänke leer bleiben sollen? "Dass die Menschen nicht in die Kirche gehen dürfen, das hat es ja noch nie gegeben." Max Roeb ist Pfarrer von Wolnzach und Eschelbach und hat mit seinen 36 Lebensjahren das natürlich nicht selbst erlebt, wovon ihm ältere Menschen erzählt haben: vom Zweiten Weltkrieg oder der Zeit des Wiederaufbaus danach, Notzeiten, wo Glaube und Kirche Halt und Zuversicht gaben. Pfarrer, die in leeren Kirchen Eucharistie feiern, beten für die da draußen - eine skurrile Situation, jedoch Alltag für viele Geistliche ab dem 20. März, als die bayerische Staatsregierung die Ausgangsbeschränkungen zum Schutz vor einer unkontrollierten Verbreitung des Coronavirus erließ.

Die Gottesdienste den Menschen trotz des Lockdowns zugänglich machen und zwar mit Hilfe des Internets: Was technisch alles möglich ist, das hatte Pfarrer Przemyslaw Nowak, Pfarrer von Gosseltshausen und Königsfeld, bereits zuvor bei anderen Projekten erfahren, die er zusammen mit einem Wolnzacher Fachunternehmen initiiert und in die Tat umgesetzt hatte. "Ich kannte die beiden Männer schon und sie waren auch sofort dabei und machten alles möglich", so Pfarrer Nowak. Mit viel Elan packten sie gemeinsam das Projekt Livestream an, für das es bei Pfarrer Roeb anfangs noch etwas Überzeugungsarbeit brauchte: "Ich habe mir gedacht, die rücken da mit einer Riesenausrüstung an", so Pfarrer Roeb. Das habe ihn dann doch etwas verunsichert - und umso überraschter sei er dann vom schlanken dreibeinigen Stativ und der kleinen Kamera gewesen, die während der Gottesdienste auf die Priester gerichtet war.

Am Sonntag, 22. März, 9.30 Uhr, gingen die beiden Pfarrer in der Wolnzacher Pfarrkirche zum ersten Mal auf Sendung, nicht wissend, wer wirklich zuschaute, wie viele Menschen im übertragenen Sinne hinter dem Kameraobjektiv saßen. "Wir waren schon sehr nervös", sagen beide Pfarrer unisono. "Wir wussten ja nicht, wie das alles ankommt und wer wirklich zuschaut." Heute wissen sie es: Es waren rund 500 Zuschauer, insgesamt haben diesen ersten Gottesdienst bislang rund 7500 Menschen angeklickt. Als der Gottesdienst mit einem Marienlied abschloss, weinten viele vor ihren Bildschirmen und drückten ihre Gefühle in zahlreichen Kommentaren aus. "Die Reaktionen waren wirklich gewaltig und überwältigend", erinnert sich Pfarrer Nowak noch gut an diesen Sonntag. "Wir waren ja mit die ersten überhaupt, die Gottesdienste übertrugen." Nicht nur aus dem Gemeindebereich, auch an ihren bisherigen Wirkungsorten, in der Wolnzacher Partnerstadt Poperinge in Belgien, über all dort, wo Hiesige Freunde und Verwandte haben, in Österreich, der Schweiz, in Polen und sogar in Australien saßen die Menschen vor den Bildschirmen und erlebten ein Stück Heimat. Was das wert ist, weiß die Gosseltshausener Familie Aigner besonders gut: Eine fast 90-jährige Tante, geboren in Gosseltshausen, lebt seit über 60 Jahren in Australien - und verpasste keine der Live-Übertragungen, auch, wenn es bei ihr da schon später Nachmittag war. Sepp Aigner: "Es war für sie und meine Cousins und Cousinen etwas ganz Besonderes, aus der Ferne Heimatkirchen sehen zu können. Eine große Freude." Insgesamt 22 Übertragungen, eine Tour durch die Gotteshäuser der Pfarreien - auch in Kirchen, die viele bis dato noch nie von innen gesehen hatten. Zum Beispiel die Stephanuskirche in Burgstall, aus der in der Karwoche ein Kreuzweg übertragen wurde. Dass der Stream wegen der technischen Voraussetzungen dort manchmal ziemlich wackelte, verziehen die Zuschauer - und tauchten dafür tief ein in den Zauber der kleinen Kirche an diesem besonderen Tag in ungewöhnlichen Zeiten.

 

Jeder Gottesdienst neu - und irgendwie immer anders. Das alles brauchte Vorbereitung, ein Ausloten der technischen Machbarkeiten, Vorbesprechungen, ein gemeinsames Finden von Lösungen. Für die Firma Karmacon, die die Livestreams vollkommen ehrenamtlich übernahm, bedeutete das einen enormen Zeit- und auch Materialaufwand, den man jedoch sehr gerne geleistet habe: "Unser Beitrag, den Menschen in diesen Zeiten etwas beistehen zu können", so das Unternehmen.

Am kommenden Sonntag wird die Karmacon zum letzten Mal ihr Equipment aufbauen: Geplant ist ein Freiluft-Gottesdienst um 9.30 Uhr am Wolnzacher Rathausplatz in Konzelebration beider Pfarrer, Details dazu folgen in unserer Wochenendausgabe. Pfarrer Nowak und Pfarrer Roeb wollen damit einen feierlichen Schlusspunkt setzen: Die Zeit der Ausgangsbeschränkungen sei vorbei, die Maskenpflicht in den Gotteshäusern etwas gelockert - und es sei wieder an der Zeit, die Messen nicht nur - bei aller Begeisterung für die allseits gelobte Ton- und Bildqualität - live am Bildschirm zu verfolgen, sondern wieder in die Gotteshäuser zu kommen.

"Eine lebendige Kirche lebt vom persönlichen Austausch", sagen die Pfarrer. So gute Dienste die Kamera auch geleistet habe, so ersetze sie doch nicht das, was Kirche ausmacht: "Wir wollen den Gläubigen wieder in die Augen schauen können." Der Freiluftgottesdienst am Sonntag soll deshalb ein dankbarer Abschluss der Streamings und gleichzeitig eine Einladung sein, künftig die Gottesdienste tatsächlich live zu erleben - und zwar mit allen Sinnen.

WZ

Karin Trouboukis