Pfaffenhofen
170 Kilogramm besten Klanges

Funky Musik auf Instrumenten der 60er mit Organ Explosion beim städtischen Kultursommer

31.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:16 Uhr
Als wahre "Retro-Futuristen" und virtuose Musiker entpuppten sich Ludwig Klöckner (E-Bass), Hansi Enzensberger (Keyboards) und Manfred Mildenberger (Drums). −Foto: Steininger

Pfaffenhofen - Wenn drei virtuose Musiker mit Instrumenten von gestern Musik von heute mit futuristischen Tendenzen von morgen machen, dann sind ungewohnte Klänge angesagt.

Diese aber - so viel vorweg - faszinierten und begeisterten das Publikum, das es am Schluss nicht mehr auf den Sitzen hielt.

Das instrumentale Equipment auf der Bühne wirkt auf den ersten Blick wie eine musikalische Rumpelkammer. Aber eine, die bei Musikern glänzende Augen verursacht, wenn sie die Schätze näher in Augenschein nehmen. Dominiert wird das Podium von einer Hammondorgel A 100 Baujahr 1965, daneben steht ein ebenso altes, hölzernes Leslie-Kabinett - beiden sieht man die strapaziösen Bühnenjahre auf den ersten Blick an. Zusammen sind das rund 170 Kilogramm besten Klangs, die aber sind jede Transportstrapaze wert.

Auf der Orgel die Klaviatur eines antiquarischen Hohner Clavinet/Pianet, daneben ein Rhodes Stage Piano Mark II aus den 70ern, außerdem eine Vielzahl elektronischer Kästchen mit noch mehr Drehknöpfen für Effekte und Klangformung. Dagegen wirkt der Fender Jazzbass von Ludwig Klöckner (32) direkt neuzeitlich, obwohl auch der seinen Ursprung in den 60er Jahren hat. Dazu ein Moog-Synthesizer für elektronische Effekte und abgrundtiefe Bässe, den Drummer Manfred Mildenberg (36) zeitweise mit einer Hand bedient. Natürlich spielt er, der Ära entsprechend, ein Schlagzeug der Marke Ludwig, das damals besonders angesagt war.

Alle diese Instrumente haben Musikgeschichte geschrieben und neue Musikstile geprägt, wie insbesondere der Jazzbass. Aber es ist vor allem der Klang der Hammondorgel, der zusammen mit dem virtuosen Spiel von Hansi Enzensberger (38) das Markenzeichen des Trios darstellt. Diese Urgewalt an Orgelsound, diesen schwebenden Klang, den das Leslie per rotierender Lautsprecher erzeugt, kann man als Zuhörer fast physisch erleben. Aber auch die sicht- und hörbare Spielfreunde, mit der das Trio zu Werke geht.

Mit ihrem ersten Titel "Bumpy Slide" gibt es schon einen Vorgeschmack auf das nachfolgende Programm: Rhythmus pur, Solopassagen für alle Instrumente und Synkopen gehäuft. Bei "My Suede Shoes" dann harmonische, lateinamerikanische Klänge und Rhythmen, zumindest anfangs, bis musikalische Kreativität und Sound explodieren und den Improvisationen von Bass, Orgel oder E-Piano breiten Raum lassen, mit Pianissimo-Passagen und überraschenden Effekten.

Dann groovt es wieder, was das Zeug hält. Da beweist Hansi Enzensberger seine Multitasking-Fähigkeiten, indem er mit der Linken an der Orgel, mit der Rechten an der Rhodes soliert, dazu der treibende Groove von Manfred Mildenberger. Der überzeugt mit unglaublicher Technik im Umgang mit den Sticks, ob bei Rimshots oder Fills, im Dialog mit den Becken oder durch harte Beats mit der Fußmaschine. Dazu Ludwig Klöckner, ein Künstler auf vier Saiten, der diese slapt, zupft, anreißt oder mehrstimmig spielt und dem Bass Klänge entlockt, die man früher nicht gekannt hatte.

Dabei vermisst man keine Gitarre, und erst nach dem Konzert fällt einem auf, dass es rein instrumental stattgefunden hat. Nicht zuletzt ein Verdienst von Hansi Enzensberger. Der lässt mit seiner Ansammlung diverser Klaviaturen Vokalstimmen komplett vergessen, greift auf der Tastatur in die Vollen, variiert mit den Drawbars seiner Orgel Klänge und performt mit seinen Fingern wahnwitzig schnelle, auf- und absteigende Tonfolgen. Aber alle drei sind Klangzauberer erster Güte, mit ausgefeilter Dynamik, kreativ gesetzten Breaks und effektvollen Arrangements.

Wie zum Beispiel bei den zwei einzigen Anklängen populärer Musik wie "Groovin'" von den "Rascals" aus dem Jahr 1967 oder das genial neu arrangierte "Apache", dem Gitarrenhit von Jörgen Ingmann beziehungsweise The Shadows. Über 16 Minuten dauert das Werk, bei dem sich erst langsam die eigentliche Melodie herausschält, ein Aha-Effekt für die Zuhörer. Ein Paradestück, bei dem so ziemlich das ganze Equipment zum Einsatz kommt, effektvoll, variabel, sich stetig steigernd, ein Stück mit ausgefeilter Dramaturgie und sphärischen Klängen.

Überhaupt ist das gesamte Programm ein Mix aus Funk, Blues, Jazz, schier endlosen Improvisationen und gelegentlich instrumentalen Gags, mit denen sich das Trio gegenseitig herausfordert, sehr zum Spaß des Publikums. Das ist förmlich elektrisiert, auch wenn bei einem Titel der Moog-Synti Klangeffekte wie etwa das Frequenzrauschen zwischen den Sendern eines alten Röhrenradios überstrapaziert.

Vier Alben haben Organ Explosion mittlerweile produziert, auch das ist eine Art "Explosion", um der ungezügelten Schaffensfreude Raum zu geben. Fazit: Musik von morgen auf Instrumenten von gestern und euphorische Zuhörer von heute: - ein Konzert abseits des Alltäglichen, dafür aber mittendrin im Besonderen.

PK

Hans Steininger