Neuburg
Zwischen Abscheu und Lachen

Graf Dracula im Theater - Gymnasiasten bieten eindringliche Inszenierung

22.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:18 Uhr
  −Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Das Grauen wabert über die Bühne des Stadttheaters. In Gestalt der vier Vampirinnen, die flüsternd als Echo des Grafen Dracula auftreten. Noch mehr aber in der Person des Herrschers der Untoten, den Luca Weissörtel mit ungeheurer Grandesse spielt.

Elegant, vornehm in Wortwahl, Bewegung wie Mimik, und zugleich mit einer so aalglatten, unheimlichen Ausstrahlung, die es nicht nur Jonathan Harker (Julian Gramlich), seinem unfreiwilligen Gast, eiskalt den Rücken herunterlaufen lässt, sondern sich auch dem Publikum mitteilt. Wenn das Böse tatsächlich fühlbar sein sollte, dann hier.

Wer eine platte oder gar klamaukige Horrorgeschichte wie in zahlreichen Filmen erwartet hat, wird angenehm überrascht. Dieser Dracula reizt weder zum Lachen noch passt er für eine gruselige Geisterbahnfahrt. Er ist vielmehr das personifizierte Grauen, keine Sekunde lang gerät Weissörtl in Gefahr, die Grenze zum Kitsch zu überschreiten. Überzeugend vermittelt er Draculas Weltbild, das einer gewissen Logik nicht entbehrt. "Jeder muss Opfer bringen für das Wohl der ganzen Gesellschaft" - der Satz passt in viele Systeme, Gesellschaften, aber auch Ideologien. Wen befällt kein Unbehagen, wenn Dracula postuliert, die abendländische Kultur brauche Erneuerung, und die wolle er mit frischem Blut bringen?

Doch was versteht der Graf aus der Bukowina unter Erneuerung? Den einzigen Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion sieht er drin, dass die Wissenschaft das Paradies schon auf Erden verspreche. Nihilismus und Religion seine nur zwei Seiten einer Medaille. Sein Ziel dagegen ist grenzenlose Freiheit. Dafür lässt er Grenzen verschwimmen, es soll weder Gut noch Böse, weder moralische noch religiöse Gebote oder wissenschaftliche Gesetze mehr geben, ja sogar die Zeit verschwimmt. Doch dieses vermeintlich freie Leben des Untoten kostet viele Leben anderer, wie Professor Abraham van Helsing (Thomas Strahl) Dracula treffend vorhält. Die Freiheit des Einzelnen endet bekanntermaßen dort, wo sie die Freiheit anderer beschränkt. Hochphilosophisch also streckenweise, doch gelegentlich darf sich das Publikum ein wenig entspannen und über doppeldeutige Sätze wie "In meinen Adern fließt das Blut vieler edler Rassen" lachen.

Zwischen Lachen, Mitleid und Abscheu schwanken die Gefühle der Zuschauer, wenn Magdalena Braun und Sandra Kreil sich vorn am Bühnenrand auf Fliegenjagd begeben, sich dabei gegenseitig die Beute abspenstig machen und mit irren Blicken, unter die Haut gehendem Gelächter und sirenenhaftem Gesang zu zweit Renfield, den schizophrenen Insassen einer Irrenanstalt, verkörpern. Wie weit ist der Mensch von den Untoten entfernt? Die Frage drängt sich auf, wenn Dr. Seward (Evamaria Schiekel) voller Abscheu Renfields Symptome aufzählt. Renfield züchtet und mästet Insekten nicht nur, sondern verspeist sie auch. Mit genau demselben gierigen Ausdruck, den die Vampire bekommen, wenn sie Blut riechen oder gar sehen. Wie Dracula, als sich Jonathan beim Rasieren schneidet und der Graf ihn berührt, um dann genüsslich das Blut vom Finger zu saugen.

Dunkel die Szenen im düsteren Schloss des Grafen, wo es keine Spiegel gibt, dafür aber eine Wendeltreppe in den Keller führt, aus dem bestialischer Gestank dringt. Hell dagegen das Leben im Salon daheim bei Jonathans Verlobter Mina (Sofie Bachhofer), ihrer Mutter (Michelle Kartschuk), Tante Dorothy (Aimee Hartwig), Minas Freundin Lucy (Johanna Zell) und deren Verehrer Arthur Holmwood (Yannick Stüwe). Sie bleiben nicht verschont, denn nachdem Dracula ein Bild Minas gesehen hat, lässt er sich und sein Gefolge in Särgen auf ein Schiff verladen und landet in London. Mit ihm zieht das Grauen dort ein. Lucy wird sein erstes Opfer und Dr. Seward holt Professor van Helsing zu Hilfe. Der stellt die interessante Frage: "Wir wissen sehr viel, aber wollen wir überhaupt wissen?"

Eine ungeheuer packende Inszenierung in Kostümen, die der Entstehungszeit des Romans angelehnt sind, mit ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen der textsicheren Oberstufenschüler, wofür sie und Regisseur Tobias Jordan von den begeisterten Zuschauern entsprechend gefeiert werden.
 

Andrea Hammerl