Neuburg
Kuss, Küche, Klingel

16.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:25 Uhr
Endlich Kind sein: Vor der Tür der Familie befindet sich ein Spielplatz. −Foto: Schattenhofer

Neuburg (DK) Glückliche Tage für Flüchtling Hossam: Endlich zieht er mit seiner Familie in eine eigene Wohnung ein. Ein Zuhause nach Monaten unterwegs. Und dann noch ein besonderes Geschenk: Hossam besucht eine Tanzaufführung.

Rein in den Container. Raus aus dem Container. Nach drei Wochen im Übergangsquartier in Schrobenhausen geht für Hossam Al Haj Hasan kurz vor Weihnachten sein größter Wunsch in Erfüllung: Endlich zieht der Flüchtling aus Syrien mit seiner Familie in eine eigene Wohnung ein. Hossam führt vor lauter Glück einen Freudentanz auf und dreht kleine Pirouetten. "Our new, beauftiful home", jubelt er. "Unser neues, schönes Zuhause." Dann drückt er seine Frau Rasha an sich und küsst sie überschwänglich. Die drei Kinder rennen wie aufgezogen herum und erkunden die neue Umgebung. Mohammed ist fasziniert vom warmen Heizkörper im Wohnzimmer und toastet Reiswaffeln darauf.

Die helle und freundliche Zwei-Zimmer-Wohnung liegt im siebten Stock eines Hochhauses im Neuburger Stadtteil Schwalbanger. Fünfmal muss der kleine Aufzug rauf- und runterfahren, um die Habseligkeiten der Flüchtlingsfamilie – darunter auch etliche Neuanschaffungen wie zwei Teppiche – nach oben zu transportieren. Manchmal steigen andere Mieter hinzu, meist ältere Leute, quetschen sich zwischen Pappkartons und Plastiktüten und machen so gleich Bekanntschaft mit den neuen Nachbarn.

Auch eine Rentnerin, die schon seit etwa 50 Jahren in dem Hochhaus lebt – direkt gegenüber von den Hasans. „Ich war damals die Erste hier“, erzählt sie stolz. Die Brüder Mohammed und Taim strecken der alten Dame die Hände entgegen und sagen brav: „Hello!“ Die Nachbarin ist sehr angetan. Mutter Rasha wird zu einer kurzen Wohnungsbesichtigung eingeladen. Ein erstes, warmherziges Kennenlernen.

Rasha freut sich vor allem über die neue Küche. Vom Fenster aus hat sie einen fantastischen Blick aufs Neuburger Schloss. Die 29-Jährige packt sofort Teller, Tassen und Töpfe aus, dann macht sie erst einmal Kaffee. Hossam telefoniert derweil mit einem Bekannten, ebenfalls ein Palästinenser aus Damaskus, der schon lange in Neuburg lebt, deutsch spricht und seinen Landsleuten hilft. Keine Viertelstunde vergeht, schon stattet er seinen Willkommensbesuch ab. Er bringt gute Neuigkeiten mit: Ein Freund Hossams aus Damaskus lebt gleich um die Ecke im Nachbarhaus.

Unglaublich, wie klein die Welt ist. Hossam schüttelt den Kopf. Er kann das alles noch gar nicht fassen. „Es ist so viel passiert in letzter Zeit.“ Auch Rasha steht wie verloren im Wohnzimmer – am Boden überall Spielsachen, Koffer, Reisetaschen, Plastiksäcke. Wo soll sie anfangen? Wie soll sie das alles in den vier schmalen Metallspinden verstauen? Sie inspiziert die Matratzen, Decken und Kopfkissen, die auf den Stockbetten liegen. Zufrieden meint sie: „Alles neu. Das ist gut.“

So also fühlt sich zu Hause an. Endlich wieder einen eigenen Wohnungsschlüssel besitzen. Hossam klingelt an der Haustür, und das heisere „Riiinng“ klingt wie Musik in seinen Ohren. Er schließt die Augen und lächelt. Die Flucht vor Krieg und Terror aus Syrien in die Türkei, mit dem Schlauchboot nach Griechenland, weiter durch Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich nach Bayern. Die ersten Wochen in der Erstaufnahmeunterkunft in der Neuburger Lassigny-Kaserne – zwei Familien auf engstem Raum. Dann der Umzug nach Schrobenhausen in die Containerunterkunft. Nur übergangsweise, so heißt es. Trotzdem ein Schock für Hossam.

Doch die Freundlichkeit der Einheimischen in Schrobenhausen berührt ihn tief. Nachdem unsere Zeitung mehrmals berichtet hatte, dass der 37-Jährige von Beruf Tänzer ist, schenken liebe Menschen ihm Karten für „Breakin’ Mozart“ – eine Aufführung im Gasteig in München. „Klassik meets Breakdance“ ist der Abend überschrieben. Hossam reißt es fast vom Sitz, als er die jungen Tänzer über die Bühne wirbeln sieht: Sie springen, schlagen Salti, drehen sich auf dem Kopf wie Kreisel und machen die typischen, coolen Moves. Dazu erklingt Mozart am Klavier, in Orchestereinspielungen und modernen Hip-Hop-Interpretationen – wummernde Technobeats und dazwischen die überirdisch anmutende Stimme von Darlene Ann Dobisch als Königin der Nacht.

Hossam klatscht und klatscht und klatscht. „Das ist fantastisch – so viel Power“, meint er begeistert. „Zwei Jahre war ich nicht mehr im Theater. Normalerweise stehe ich ja auf der Bühne. Ich wäre am liebsten raufgeklettert und hätte mitgemacht. Ich will so gern wieder tanzen. Das ist meine Arbeit, mein Leben. Alle Furcht und aller Ärger vergehen, wenn ich tanze. Beim Tanzen vergisst du sogar den Terror.“

Nach der eigenen Wohnung ist es Hossams größter Wunsch, wieder als Tänzer zu arbeiten. „Ich möchte ein eigenes Team aufbauen wie in Syrien. Ich will wieder Choreographien machen. Wenn ich ein Lied höre, sehe ich sofort die Bewegungen.“ Dieser Wunsch wird wohl noch warten müssen. Aber die Karten für „Breakin’ Mozart“ waren eines der schönsten Geschenke für Hossam: „Ein Geschenk mit viel Gefühl.“