Neuburg
"Massive Misshandlungen"

Urteil im Missbrauchsprozess: 40-Jähriger zu 28 Monaten Haft verurteilt

24.07.2018 | Stand 23.09.2023, 4:12 Uhr
Katrin Kretzmann

Neuburg (DK) Es sei ein Fall gewesen, in dem das Gericht immer wieder vor demselben schwierigen Problem steht: nur zwei Beteiligte, Aussage gegen Aussage.

Mit diesen Worten eröffnete Jugendrichter Gerhard Ebner gestern die Urteilsbegründung in einem langwierigen Missbrauchsprozess am Neuburger Amtsgericht. Wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs an einem Jugendlichen sowie Vergewaltigung muss ein 40-Jähriger nun zwei Jahre und vier Monate ins Gefängnis.

Zwischen 2015 und 2017 soll der Familienvater dem heute 17-Jährigen immer wieder Pornos gezeigt, ihn mehrfach zu sexuellen Handlungen gezwungen und ihn schließlich vergewaltigt haben. So steht es in der Anklageschrift. Während der 40-Jährige den gesamten Prozess über zu den Vorwürfen schwieg, äußerte sich das mutmaßliche Opfer in den vergangenen Verhandlungstagen zum Geschehen, beantwortete die vielen Fragen - auch die von Gutachterin Uta Hirschberg.

Der Prozess fand bereits im vergangenen Jahr statt. Auch damals sagte der 17-Jährige aus. Allerdings zweifelte Verteidiger Marcus Knoller an den Angaben. Er stellte den Antrag auf ein Glaubwürdigkeitsgutachten, dem Jugendrichter Ebner und die beiden Schöffen stattgegeben hatten. Jedoch wurde die maximal dreiwöchige Unterbrechungsfrist der Verhandlung überschritten und der Prozess begann von vorne.

"Seine Angaben sind glaubhaft, er hat es nicht erfunden. " Zu diesem Schluss war Hirschberg vergangene Woche gekommen, als sie ausführlich ihr Gutachten erläuterte. Seine Aussage sei für sie im Gesamten stimmig und entspreche der Wahrheit. Auch wenn sich der 17-Jährige an vieles nicht mehr erinnern könne, sei an seiner Aussage nicht zu zweifeln.

Rechtsanwalt Knoller sah dies gestern allerdings anders. Immer wieder zweifelte er die Erläuterungen Hirschbergs an. "Er hat nun insgesamt viermal ausgesagt und jedes Mal war etwas anders", sagte Knoller. Der 17-Jährige habe gewisse Details erst später genannt, Ergänzungen hinzugefügt sowie Ort und Zeit nicht immer einheitlich beschreiben können. "Welche Aussage hat das auf die Glaubwürdigkeit? ", fragte er Hirschberg. "Es ist gedächtnispsychologisch normal, dass sich Widersprüche ergeben", antwortete die Gutachterin. Eine von vielen Antworten, mit denen sich der Verteidiger nicht zufrieden gab. "Das Problem ist, dass Sie jede Frage, die ich Ihnen stelle, nur ausreichend beantworten", so Knoller. Für ihn seien zu viele Widersprüche in den Schilderungen des 17-Jährigen. Der Verteidiger ging auch immer wieder auf die Vermutung ein, dass sich der Jugendliche möglicherweise alles ausgedacht habe, um eventuelle homosexuelle Neigungen vor seiner Familie zu vertuschen.

"Ich bin davon überzeugt, dass es sich so, wie er es schildert, zugetragen hat", sagte schließlich Staatsanwältin Sandra von Dahl in ihrem Plädoyer. Es sei aufgrund der Aussage-Aussage-Konstellation in diesem Fall keine einfache Beweiswürdigung gewesen. Dennoch gehe es um die Gesamtschau der Aussage. "Die Art der Entwicklung der Delikte ist typisch", sagte von Dahl. So schilderte der 17-Jährige, dass es anfangs Berührungen und Küsse gab, später aber immer weitere sexuelle Handlungen hinzugekommen waren. Der Jugendliche habe immer wieder beschrieben, was er dabei fühlte, wie es im erging, dass er sich so sehr schämte. "Es ist ausgeschlossen, dass er sich das ausgedacht hat. " Zwar stimmte sie Knoller in dem Punkt zu, dass Widersprüche in den Aussagen vorhanden seien, allerdings "zerstören sie nicht die komplette Kernaussage". Da sich der Angeklagte und der 17-Jährige über die Familie näher kannten, habe der 40-Jährige das Vertrauen des Jugendlichen ausgenutzt. "Seine erste sexuelle Erfahrung wird immer diese sein. "

Von Dahls Ausführungen schloss sich auch Nebenklägervertreterin Váleria Szabó an. "Er ist traumatisiert und das vergisst er sein Leben lang nicht. " Während sowohl Nebenklage als auch Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von nicht unter vier Jahren beziehungsweise drei Jahren und sechs Monaten forderten, plädierte Knoller auf Freispruch.

"Wenn er es erfunden hätte, müsste er alles geplant haben. Das trauen wir ihm nicht zu", sagte Ebner. Auch seine Kernaussage sei stets übereinstimmend gewesen und schließlich ging es hierbei "nicht nur um Berührungen, sondern um massive sexuelle Misshandlungen". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Katrin Kretzmann