Reinwarzhofen
Zeitreise zu den Anfängen der Atomdebatte

Jungpfadfinder aus ganz Bayern setzen sich auf dem Zeltlagerplatz Reinwarzhofen vor allem mit Klimapolitik auseinander

14.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:51 Uhr

Von Jürgen Leykamm

Reinwarzhofen – Ein riesiger Plastikkontinent inmitten der Weltmeere, ein sich bedrohlich aufheizendes Weltklima und viele Umweltschrecken mehr: Was ist in den letzten Jahrzehnten der Menschheit bei ihrem Umgang mit der Natur nur schief gelaufen? Diese Frage haben nun 420 Jungpfadfinder inklusive Betreuer bei einem Zeltlager in Reinwarzhofen bei Thalmässing beantwortet und sich dabei auf eine gefährliche Zeitreise begeben.

Eine solche hat vor den 9- bis 14-Jährigen schon ein recht zwielichtiger Geselle unternommen: „Dr. Monochrom“, der eine einheitliche, graue Welt erschaffen will, die keine bunte Vielfalt erlaubt. Gelandet ist er dabei ausgerechnet im Jahr 1968, als die Hippies sich daran machten, den Planeten mit Flower Power zu prägen. Sehr zum Ärgernis des bösen Doktors, der deshalb die Zeit von damals einfach in seinem Sinne manipuliert.

Das gilt es nun rückgängig zu machen. Und zwar unter dem Motto „BluRal 22“, in das die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) als Veranstalter gleich mehrere Botschaften hineingepackt hat: „Wir sind viele“ etwa, das Bekenntnis zum Pluralismus, einen bestimmten Blauton samt Jahreszahl, der zugleich die Farbe der Jungpfadfinderstufe darstellt. Passend zum Kobaltblaus ist das Maskottchen der Kobold – hier lässt die Außenministerin grüßen.

Im Jahr der Zeitreise ist Annalena Baerbock noch gar nicht geboren. Und so müssen sich die Jungpfadfinder („Jupfis“) selbst in einem Gewirr verschiedener, imaginärer Parteien zurechtfinden, um mit ihrer Wahlentscheidung die Erde wieder in die richtige Zeitstrahlrichtung zu lenken. Auseinandersetzen müssen sie sich etwa mit einer mächtigen „Atomkraft-ja-bitte-Partei“, welche die Umweltschützer glatt als „Biomüll“ abkanzelt. „Wir wollen eine strahlende Zukunft“, werben jene Vertreter der Kernenergie. „Unsere Forderung: Fünf Kilogramm Uran für jeden Haushalt – ums Endlager soll sich jeder dezentral selber kümmern.“

Atommüll in Form von gelben Enten gibt es zu Demo-Zwecken reichlich auf dem Willy-Brandt-Zeltlagerplatz. Die Kinder sammeln die Tierchen fleißig auf, wissen aber bezeichnenderweise nicht wohin mit ihnen und erleben so die Endlagerproblematik am eigenen Leib. Bald landen sie einfach bei den Hippies. Was eine richtige Konfrontation der beiden Gruppen verursacht. Dazwischen stehen die „Jupfis“, von denen sich einige zu einer Demonstration zusammenrotten und zeigen, wo sie stehen: „Wählt den Umweltschutz!“ skandieren sie lauthals, während eine weitere Partei für Bildungsgerechtigkeit unabhängig vom Gehalt der Eltern wirbt. Oder für ein verpflichtendes, soziales Jahr.

Die Gebrüder R.Eich (Rainer und Richard) versprechen Wohlstand für alle. Dazu müsste man für schnellere Handelswege nur „die Alpen wegsprengen“, denn Tunnelbauten seien viel zu teuer. Außerdem wird die 50-Stunden-Woche gefordert. Dann hätte niemand mehr Zeit, um krank zu werden, was am Ende das Gesundheitssystem entlaste.

Eine gespaltene Gesellschaft, die sich da offenbart – unserer heutigen nicht ganz unähnlich. Seitens der Betreuer ist man aber richtig froh, dass das Zeltlager so gut angenommen wird. 2020 begannen dafür schon die Planungen. „Wir hatten dabei ständig mit der Corona-Ungewissheit zu kämpfen“, erinnern sich Kathi Schmid von der Lagerleitung, Antonia Bauer als Hauptverantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit und ihre Mitstreiterin Jutta Mohnkorn. Umso schöner sei die große Resonanz: „Aus allen Ecken Bayerns sind Stämme hier.“ Mit im Boot ist der Diözesanverband Eichstätt mit den Jungpfadfindern aus Weißenburg und Gunzenhausen. Und dieHelfer sind für das einwöchige Zeltlager bis aus Hamburg angereist.

Bei der Organisation gilt es aber auch so manche Widrigkeit zu meistern, die ebenfalls direkt mit dem Klimawandel zu tun hat. So gibt es beispielsweise ein „digitales Lagerfeuer“, mit dem originalen Knistern, aber eben mit künstlichem Licht. „Die Waldbrandgefahr ist einfach zu hoch“, betonen die drei Frauen. Dass es ohnehin gefährlich werden kann, wenn Natur und Mensch aufeinandertreffen, macht das Landen eines Hubschraubers deutlich, der einen Notarzt aussteigen lässt. Zum Glück muss nur eine Schnittwunde versorgt werden.Bald schon geht es weiter mit den Spielen.

Wem das alles mal zu viel wird, darf mal abschalten, wofür ein eigenes „Spiri-Team“ parat steht. Hier können die Buben und Mädchen auf eine individuelle Traumreise gehen. Für weiterführende spirituelle Angebote – ohne Zwang oder Verpflichtung – halten sich Kuraten bereit. Aber auch ganz praktische Aktionen kommen nicht zu kurz. Auf Bambuszahnbürsten kann der eigene Name eingebrannt werden.

Das Einüben der Halstuchknoten versteht sich für einen „Jupfi“ von selbst. Zum bislang letzten Mal gab es vor zehn Jahren ein bayernweites Zeltlager für sie. Die DPSG an sich ist aber Stammgast in Reinwarzhofen, wo beispielsweise Freizeiten der einzelnen Stämme veranstaltet werden.

HK