Landkreis Roth
„Fabrik der Zukunft“ wird verkauft: Das Ende der Leoni-Geschichte in Roth

23.05.2022 | Stand 22.09.2023, 23:21 Uhr

Die „Fabrik der Zukunft“ in Roth: Das 134000 Quadratmeter große Areal an der Rother Lände , auf dem Leoni die modernste Kabelfabrik Europas errichten wollte, ist jetzt nach Thailand verkauft worden. Foto: Leoni

Von Jochen Münch

Roth – Es ist ein Paukenschlag kurz vor der Hauptversammlung an diesem Dienstag: Um seine finanziellen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen, verkauft der Autozulieferer Leoni jetzt seinen gesamten Rother Standort. Das „modernste Kabelwerk Europas“, wie das 134000 Quadratmeter große Areal an der Rother Lände bei der Grundsteinlegung vor fünf Jahren bezeichnet worden war, geht als Teil der gesamten Leoni-Sparte „Automotive Cable Solutions“ an den thailändischen Kabelspezialisten Stark Corporation.

Neuer Arbeitgeber für rund 800 Beschäftigte

Betroffen von dem Verkauf sind neben den rund 800 Beschäftigten in der „Fabrik der Zukunft“ in Roth noch weitere 2500 Menschen an neun anderen Standorten in sieben Ländern. Doch gerade in Roth schlägt die Verkaufsnachricht besonders hohe Wellen. Liegen hier doch die Wurzeln der Leoni AG, die vor 105 Jahren als Zusammenschluss der drei Firmen Johann Balthasar Stieber & Sohn aus Nürnberg, Johann Philipp Stieber aus Roth und der Vereinigten Leonischen Fabriken aus Nürnberg gegründet wurde.

Roths Bürgermeister Andreas Buckreus (SPD) gab sich am Montag allerdings recht gelassen. „Es war ja schon allgemein bekannt, dass die Kabelsparte verkauft werden soll und auch, dass Gespräche laufen. Die Nachricht ist für uns deshalb keine große Überraschung.“ Buckreus zufolge wurde dabei auch viel Wert auf den Erhalt des Standorts Roth und der Arbeitsplätze vor Ort gelegt. „Jetzt ist offenbar ein Käufer gefunden und ich gehe davon aus, dass sowohl der Standort als auch die Arbeitsplätze in Roth bleiben. Die Firma wird sich so neu aufstellen und die Arbeit wird wie gewohnt vor Ort weiter laufen.“

Zweiter großer Verkauf innerhalb eines Jahres

Für den Landkreis Roth ist es bereits der zweite große Leoni-Verkauf innerhalb eines Jahres. Erst im Oktober 2021 hatten insgesamt rund 3000 Leoni-Beschäftigte – davon 280 in Georgensgmünd und Röttenbach – einen neuen Arbeitgeber bekommen, als die schon seit einiger Zeit zum Verkauf stehende Sparte „Industrial Solutions“ für rund 450 Millionen Euro an den US-amerikanischen Konzern Bizlink verkauft wurde. Hier ging es um große Teile der Kabelherstellung, mit der beispielsweise Maschinenbauer beliefert werden.

Der aktuelle Verkauf des Unternehmensbereichs „Automotive Cable Solutions“ in dem das Geschäft mit Spezialkabeln für Autos gebündelt ist, soll mehr als 400 Millionen Euro in die Leoni-Kassen spülen. „Mit der Entscheidung stärken wir unsere Bilanz, unterstützen die laufenden Refinanzierungsgespräche und treiben unsere bekannte strategische Fokussierung auf das Geschäft mit Bordnetzsystemen weiter voran“, sagte Leoni-Vorstandschef Aldo Kamper der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Wie ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte, fokussiere sich die Leoni AG auf das Bordnetzgeschäft, weil es hier eine höhere Wertschöpfung und beim Blick auf die Entwicklung der Elektromobilität auch deutlich bessere Zukunftschancen als bei der klassischen Kabelherstellung gebe. Und in diesem Bordnetzgeschäft gilt Leoni auch als einer der weltweit führenden Spezialisten.

Insgesamt hat die Leoni AG im vergangenen Jahr einen Umsatz von 5,1 Milliarden Euro erwirtschaftet. Ein knappes Viertel davon, konkret 1,3 Milliarden Euro, steuerte das jetzt verkaufte Geschäftsfeld bei. Der Vollzug des Verkaufs unterliegt laut Leoni aber noch verschiedenen Vollzugsbedingungen, unter anderem den erforderlichen Freigaben, deren Erteilung innerhalb von sechs Monaten erwartet wird. Der Vollzug bedarf außerdem der Zustimmung durch die Geldgeber der Leoni-Gruppe.

Ukraine-Krieg stoppt Erholungskurs

Schon seit Jahren befindet sich Leoni wegen des Strukturwandels in der Autoindustrie in Schieflage und hatte während der Pandemie auch staatlich gestützte Kredite in Anspruch nehmen müssen. Vor einem Jahr hatte das Unternehmen zwar die Rückkehr in die schwarzen Zahlen gemeldet. Doch Lieferengpässe, der steile Anstieg der Energiekosten und der Krieg in der Ukraine, wo Leoni zwei Kabelwerke zwischenzeitlich schließen musste, machen dem Unternehmen nun erneut zu schaffen.

Erst am Sonntag hatte das Unternehmen mitgeteilt, mit seinen Gläubigern nach Wegen zur Beschaffung von etwa 50 Millionen Euro zu suchen. Es werde die Ausgabe neuer Aktien oder einer Wandelschuldverschreibung geprüft, um die Summe zu erlösen.

Der Kurs der Leoni-Aktie, der 2018 seinen bisherigen Höchstwert von fast 65 Euro erreicht und sich nach einem anhaltenden Absturz auf unter 5 Euro im vergangenen Jahr zumindest wieder auf über 18 Euro erholt hatte, schaffte es nach der Bekanntgabe vom Montag nur für kurze Zeit über die Marke von 8 Euro.

HK