Von Sibylle Böhm
Pfaffenhofen – So gut wie ausverkauft war die lang ersehnte Premiere des Sulzberger-Theaters. „Da Märchenwoid“, so der Titel des Stücks von Hartmut Sulzberger, spielt selbst eine ganz eigene, besondere Rolle, ist er doch, als sich der Vorhang schließlich für das gespannte Publikum öffnet, vor allem eines: „Greislig“. Das muss so sein, denn es läuft etwas schief in der Märchenwelt.
Märchenfiguren und Tiere sind nicht mehr aufzufinden. Hier flattern keine Vögel oder Insekten, es rührt sich nichts, keine magischen Wesen verstecken sich im Unterholz, und die Blätter der Bäume sind vertrocknet. Gewiss war dies eine Herausforderung für die Bühnenbildner, die diese angenommen und etwas Besonderes geschaffen haben.
Ein naiver Förster (Andreas Abeltshauser) streift durch die Gegend, verwaltet den Mangel und trifft nutzlose Maßnahmen, ohne die große Katastrophe wirklich zu sehen. Gerne spricht er mal mit dem summenden Baum – ein ins Bühnenbild gepflanzter Hartmut Sulzberger, der rein mit Gitarre und mit einzigartiger Mimik viel mitzuteilen hat. Wenn er auf seiner Gitarre zu spielen beginnt, passiert es schon mal, dass die Figuren ihren Text zur Melodie singen, und so wird das Theaterstück zum Musical.
Aber ist es auch ein Märchen? Herrlich wird in diesem Stück, bei dem Tanja Hoiß die Regie übernommen hat, mit den klassischen Elementen des Theaters und des Märchenerzählens gespielt. Doch keinen Moment bleibt außer Zweifel welche Botschaft in dem Stück steckt. Denn alles wird in Frage gestellt: Die Figuren selbst kennen ihre Aufgabe nicht, müssen erst einmal herausfinden, wer sie eigentlich sind, zu welchem Zweck sie da gelandet sind in diesem halbtoten Wald. Jeder ein Einzelkämpfer, keiner mit dem Blick für das große Ganze, für das Notwendige oder wenigstens für den Anderen. Die einzige traditionelle Märchenfigur ist somit der Förster, der sich nie gefragt hat, weshalb er hier ist.
„Ist das aber kühl hier“, klagt Tanja Hoiß als stets überdrehte, fröhliche Fee, während im Saal des Pfaffenhofener Kolpinghauses das Publikum in der Hitze des Sommerabends schwitzt. Eine bessere, fast schon bildhafte Gegensätzlichkeit hätte es gar nicht geben können, längst geht es in dem Stück nicht mehr um stereotype Märchenfiguren, die „gut“ oder „böse“ sind, es geht um die ganz großen Fragen der Zeit, Klimawandel, Krisensituationen, Egoismus. Denn die drei Figuren, die, so der Plan des Märchenmeisters (exzellent dargestellt von Gerhard Daxberger) die verfahrene Situation auflösen sollen, diese drei Figuren wollen eigentlich nur zurück in ihre Bequemlichkeit: Da ist „Da Hex“, eine männliche Hexe (Gerhard Beck) aus der Jetztzeit, das ist besagte Fee aus der heilen, stets geregelte Märchenvergangenheit, und die dritte im Bunde, Bernadette Graf als „Trutschal“ aus einer düsteren Zukunft.
Die Drei kommen nicht miteinander klar, und ihr Hauptanliegen ist das Entkommen aus dem abgewirtschafteten Wald, von dem offenbar nichts Angenehmes zu erwarten ist. Die Fee wird so wunderbar und mitreißend verkörpert von Tanja Hoiß. Stets optimistisch und bereit, Gutes von anderen zu erwarten, wirbelt sie vom ersten Moment an über die Bühne, hat gleich das Publikum auf ihrer Seite. Vor allem, wenn sie sich abmüht mit der Kaltherzigkeit der anderen beiden, es ist nicht einfach für die Fee mit dem überheblichen Hex, und auch das Trutschal lässt sie abblitzen: „Mir mögen uns als ned.“ Sie kann keine Wünsche erfüllen und er kann nicht hexen. Sie kann nicht mal bairisch sprechen – „aber singen“. Der Hex braucht Internet-Empfang, um zu wissen, ob sich das Wetter bessert. Und das Trutschal? Es atmet Desinteresse aus und ein, was herrlich anzusehen ist, die Mimik ersetzt streckenweise langen Text, und ein Lächeln, ja das kann ihm erst viel später der freundliche Förster ins Gesicht zaubern. Da kann einem der verzweifelte Märchenmeister schon wirklich leidtun. Er hat sich das alles wohl etwas leichter vorgestellt. Der Märchenmeister im Zwiegespräch mit sich selbst! Gerhard Daxberger legt die entsprechende Szene gekonnt hin. Alles, auch er selbst, gerät nämlich in Schieflage. Den Märchenwoid retten? „Pfiffkaas!“
Wer wissen will, ob und wie es mit dem Märchenwoid weitergeht, und ob Fee, Hex und Trutschal nicht doch über sich hinauswachsen, der kann es in einer der nächsten Aufführungen des Sulzberger Theaterensembles erfahren.
Weitere Spieltermine sind am kommenden Wochenende von Freitag bis Sonntag und am 5. bis 7. August jeweils um 20 Uhr. Der Kartenvorverkauf lief schon sehr gut, einzelne Karten gibt es jedoch immer noch an der Abendkasse.
PK
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