Schrobenhausen
Von Hamburg über das Baltikum nach Schrobenhausen

Wilfried Seemann, der in St. Petersburg, Riga und Vilnius gelebt hat und nun im Spargelland zuhause ist

07.01.2023 | Stand 17.09.2023, 6:07 Uhr

Verstehen sich bestens: Wilfried Seemann (r.) und Eva Klingenberg (l.) haben für die Kinderhilfe Litauen gemeinsam Weihnachtskarten eingesammelt. Fotos: Budke

Wilfried Seemann kommt gebürtig aus dem Landkreis Pinneberg, der westlich von Hamburg liegt und genau wie die Hansestadt an die Elbemündung angrenzt. Seit zwei Jahren lebt er in Schrobenhausen, nachdem er beruflich 20 Jahre im Baltikum verbrachte. Und so lag es irgendwie nahe, dass er Kontakt zur Kinderhilfe Litauen aufnahm und dort gleich in die Weihnachtskartenaktion eingebunden wurde.

Sein Nachname klingt zwar, als ob er typisch für die Nordseeküste sein könnte, ist er aber nicht: „Es gibt nicht viele Seemänner da oben“, sagt der 73-Jährige mit einem Lachen. „Man ist natürlich im Einflussgebiet von Hamburg. Meine Eltern hatten die Bahnhofswirtschaft und so lebten wir am Puls der Zeit.“ Ab dem ersten Zug musste in der Früh der Kiosk geöffnet sein und bis weit in die Nacht galt das für die Wirtschaft. „Wir haben über der Kneipe gewohnt und ich habe die Hausaufgaben in der Gaststätte gemacht“, erinnert sich Seemann noch heute an seine Kindheit.

Nach der mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung bei der Hamburger Vereinsbank ab, die später in der Hypo-Vereinsbank aufging: „Ich war 42 Jahre dort“, sagt Seemann und erzählt, wo ihn diese Anstellung überall hingeführt hat. „Ich war in der Auslandsabteilung und habe mich hochgearbeitet, denn ich war offen für Neues.“ Im Jahr 1990 ging er für ein Digitalisierungs-Projekt für eineinhalb Jahre nach München: „Ich bin gependelt – montags hin und freitags wieder nach Hause.“

Als das Projekt in München beendet war, kam in Hamburg eine Anfrage der Bayerischen Vereinsbank an, ob man nicht jemanden habe mit Erfahrung im Außenhandel, der Interesse hätte, nach St. Petersburg zu gehen. Seemann sagte zu: „Ich habe einen Tag überlegt und dann ging alles ganz schnell.“ Im Februar 1992 war er das erste Mal in St. Petersburg und blieb drei Jahre in der Fünf-Millionen-Stadt. „Ich habe viel gesehen dort. Die Weißen Nächte, das habe ich vorher nicht geglaubt: Die Sonne geht unter und nachts um zwei stehst du am Fluss und kannst die Zeitung lesen.“

Von der Stadt an der Newa ging es ins Baltikum – nach Riga: „Dort wurde eine Bank von Null aufgebaut. Ich habe zuerst mit unserem Architekten ein Gebäude gesucht, dann das Personal.“ Die Lage als Hafenstadt kam ihm entgegen, „die Kurische Nehrung und der schöne Ostseestrand, das war schon gut“, sagt Seemann. Fünf Jahre blieb er in Riga, wechselte nach Vilnius, um wieder eine Bank aufzubauen. 350 Mitarbeiter hatte der Verbund im Baltikum zuletzt an drei Standorten. Seemann übernahm für die letzten drei Jahre bis zur Rente einen Vorstandsposten in der Zentrale, die in Riga eingerichtet worden war.

Mit dem Ende der Berufstätigkeit entschied sich Wilfried Seemann, nach Bayern zu ziehen, landete zunächst für einige Jahre in Pfaffenhofen und zog schließlich in die Spargelstadt: „Schrobenhausen mag ich eigentlich ganz gern – so mit dem Spargel, da weiß man im Frühjahr, was man essen kann“, meint er lachend, seit 2020 wohnt er auf der Platte. Wegen gesundheitlicher Einschränkungen fiel es ihm zuerst nicht leicht, Kontakte zu knüpfen, „und dann kam noch die Pandemie dazu – aber zum Glück habe ich nette Nachbarn“, freute sich Seemann.

Wenn er in die Stadt nach Schrobenhausen möchte, fährt er gern mit dem Fahrrad: „Zum Markt am Donnerstag, das mache ich schon manchmal.“ In Pfaffenhofen hatte er bereits 2016 begonnen, für Regens-Wagner Bus zu fahren. Nach einem Herzinfarkt und auch wegen der Pandemie musste er pausieren, seit dem vergangenen Sommer fährt er wieder: „Man trifft Leute und es bringt mir Spaß. Ich hatte früher gar nichts mit Behinderten zu tun. Jetzt habe ich Leute im Bus, die arbeiten in der Werkstatt und sind relativ fit.“

Im Herbst las Wilfried Seemann in der Schrobenhausener Zeitung einen Artikel über die Kinderhilfe Litauen: „Da habe ich gedacht, Litauen, das wäre doch was. Ich habe zehn Jahre dort gelebt, vielleicht kann ich mich einbringen.“ Er meldete sich bei Eva Klingenberg, Vorsitzende der Kinderhilfe, und als es zu einem Treffen kam, war er gleich dabei: „Ich wollte erst mal verstehen, was sie machen und es tat mir leid, dass sie dieses Jahr keinen Spendentransport organisieren konnten.“ Als Klingenberg ihn fragte, ob er Lust habe, sie beim Einsammeln der Weihnachtskarten zu begleiten, sagte er gern zu: „Das war toll, mit welcher Begeisterung die Kinder mitgemacht haben und was sie in den Schulen und Kindergärten alles vorbereitet hatten.“

Inzwischen fühlt sich Wilfried Seemann gut angekommen in Schrobenhausen, auch wenn er das Meer „manchmal schon“ vermisst. So fährt er im Sommer gern zum Baden, zum Beispiel nach Radersdorf: „Ein Badetag am See, das ist doch schön.“

SZ