Abensberg
Deutsche Einheit war kein Selbstläufer

Früherer Kohl-Berater Horst Teltschik spricht in Abensberg vor der Kreis-CSU

04.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:59 Uhr

Er kannte und kennt die Mächtigen dieser Welt: Horst Teltschik, früher Berater des gestorbenen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Foto: Rast

Abensberg – Horst Teltschik war dabei, als Weltgeschichte geschrieben wurde. Er zählte zu Beginn der 1990er-Jahre zu den Architekten einer europäischen Sicherheitsordnung, die bis zum Februar 2022 gehalten hat. Der heute 82-Jährige kannte und kennt viele internationale Spitzenpolitiker persönlich: von Helmut Kohl über Margaret Thatcher, Michail Gorbatschow, Angela Merkel bis hin zu Wladimir Putin – um nur einige zu nennen.

Am Samstag war Teltschik auf Einladung der Kreis-CSU in Abensberg und erzählte humorvoll und mit Anekdoten gespickt aus seinem reichen beruflichen Leben als außenpolitischer Berater, Manager und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Da die Christsozialen 32 Jahre deutsche Einheit feierten, standen die Ereignisse unmittelbar nach dem Mauerfall im November 1989 im Zentrum von Teltschiks Ausführungen. Er analysierte aber auch die Fehler, die nach seiner Überzeugung zum Krieg in der Ukraine und damit dem Kollaps des europäischen Sicherheitssystems geführt haben.

Beim Ausbau der Beziehungen zu Russland seien in den vergangenen drei Jahrzehnten viele Chancen vertan worden, lautete Teltschiks bittere Bilanz. Er erinnerte an das Jahr 1990, als bei einem Treffen zahlreicher Staatschefs in Paris die Charta für ein neues Europa verabschiedet worden sei. Gorbatschow habe damals von einem „gemeinsamen europäischen Haus“ gesprochen, in dem alle die gleiche Sicherheit genießen sollten.

Seinem Nachfolger Boris Jelzin und auch Putin seien in den Folgejahren schriftliche Angebote vorgelegt worden, wonach Russland Mitglied der politischen Organisation der Nato werden könnte. „Diese Idee war da. Wir haben im Westen mit dem Gedanken gespielt, Russland in die Nato zu integrieren“, wusste Teltschik. Während seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag habe Putin Russland als freundliches europäisches Land bezeichnet und damals Standing Ovations aller Parteien erhalten. Es sei ein Nato-Russland-Rat gegründet worden, der aber nie mit Leben erfüllt worden sei. Der Jugendaustausch mit Russland sei vernachlässigt worden. Zudem habe es Verhandlungen über die Bildung einer gesamteuropäischen Freihandelszone gegeben, die von Lissabon bis Wladiwostok gereicht hätte. „Es gab gute Chancen, die Beziehungen zwischen der Nato und Russland weiterzuentwickeln, aber wir haben sie nicht genutzt“ beklagte Teltschik.

Stattdessen habe der frühere US-Präsident Donald Trump sicherheitspolitische Verträge aufgekündigt, darunter den über den Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen. Teltschik riet, die nuklearen Drohungen des russischen Präsidenten ernstzunehmen. „Ich hoffe aber, dass er nicht so weit geht.“ Bei allen Drohungen und aller derzeit herrschenden Gewalt sei der „diplomatische Weg unverzichtbar“, betonte er unter dem Beifall der Zuhörer.

Teltschik unterbreitete einen Vorschlag, wie man die diplomatischen Kanäle hätte nutzen können: Bundeskanzler Olaf Scholz hätte seine Vorgängerin Angela Merkel auf eine Geheimmission nach Moskau schicken müssen. Merkel habe immer einen direkten Kontakt zu Putin gehabt „und die Russen lieben es, wenn etwas geheim ist“. Es lohne sich immer, in der Politik aktiv zu werden und Ideen zu entwickeln.

So lautet Teltschiks Lehre aus den Ereignissen des Jahres 1990, als ohne einen einzigen Schuss Deutschland wiedervereinigt, der Warschauer Pakt aufgelöst und Osteuropa demokratisiert worden war. Das größer gewordene Deutschland sei damals sogar Mitglied der Nato geblieben, weil es in den Gesprächen gelungen sei Gorbatschow davon zu überzeugen. Teltschik betonte aber, dass bei den Verhandlungen mit Gorbatschow niemals über die Ausdehnung der Nato nach Osten gesprochen worden sei. „Für uns war der Sturz Gorbatschows im Jahr 1991 eine Tragödie“, gab er zu, und erzählte, dass er zu dem vor wenigen Wochen gestorbenen früheren russischen Präsidenten bis zu dessen Tod persönlichen Kontakt gepflegt habe.

„Die deutsche Einheit war kein Selbstläufer“, erinnerte sich Teltschik. Im Auftrag von Helmut Kohl sei er damals nach London geflogen, um die Bedenken von Premierministerin Margaret Thatcher zu zerstreuen. Sie habe befürchtet, dass Deutschland nach zwei von ihm angezettelten Weltkriegen jederzeit für einen dritten gut sein würde. Auch in Paris habe Skepsis geherrscht, lediglich Washington habe für die deutsche Einheit gleich grünes Licht gegeben. „Wir haben für die Wiedervereinigung auf breiter Ebene natürlich auch mit dem Geldbeutel gearbeitet“, meinte Teltschik verschmitzt lächelnd.

Doch damals seien die Grundlagen gelegt wurden, ein jahrzehntelanges Wettrüsten in ein Wettabrüsten zu verwandeln. Alle nuklearen Mittelstreckenraketen seien abgebaut und vernichtet worden, es sei ein weltweites Verbot von chemischen und biologischen Waffen erfolgt. Zudem seien 500000 in Osteuropa und der DDR stationierte sowjetische Soldaten friedlich nach Hause abgezogen.

Teltschik stellte heraus, dass die Sicherheit des Landes „bis heute für Russland ein Schlüsselthema“ sei. Das sei eine Folge des Zweiten Weltkriegs und die Menschen wüssten bis heute, was ihnen die Deutschen angetan haben. „Völker vergessen Geschichte nicht“, lautete Teltschiks Fazit.

DK