Geplante Schulreform
„Pisa-Offensive“ kommt bei Professoren an der Katholischen Uni in Eichstätt nicht gut an

04.03.2024 | Stand 05.03.2024, 10:57 Uhr

Mehr Mathe und Deutsch, dafür weniger Kunst, Musik, Werken oder Englisch? Gegen diese Anpassung des bayerischen Grundschulstundenplans regt sich erheblicher Widerstand. Foto: Stratenschulte, dpa

Die Diskussion um die „Pisa-Offensive“ der bayerischen Staatsregierung und die damit verbundenen Reformen des Grundschul-Stundenplans geht weiter: Nun haben sich auf Anfrage unserer Zeitung mehrere Professoren der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt eingeschaltet. Sie üben deutliche Kritik an den Plänen des Ministerrates.



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Daniel Mark Eberhard, Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik, verweist auf den verfassungsrechtlich verankerten Bildungsauftrag: „Er schließt fachliche, soziale und persönliche Zielsetzungen mit ein.“Anstelle einer Kürzung des Musik-Fachunterrichts und einer Ausweitung der Kernfächer solle Eberhard zufolge sogar „über das Unterrichtsprinzip Musik in allen Fächern nachgedacht werden“.

Wie berichtet hat der bayerische Ministerrat beschlossen, die Stundenpläne in der Grundschule nach den Ergebnissen der Pisa-Studie so anzupassen, dass durch eine Flexibilisierungsstunde mehr Deutsch oder Mathematik möglich ist. Dafür sollen Kunst, Musik, Werken oder Englisch gekürzt werden – in der Eigenentscheidung jeder Schule.

Daniel Mark Eberhard: Musik als Beitrag zu Lernprozessen



Rainer Wenrich, Professor für Kunstpädagogik und Kunstdidaktik, sieht in der Entscheidung, dass die „Fächer Kunst und Musik weiterhin unbequeme Gäste im Schulhaus bleiben, über deren Verbleib sich niemand wirklich sicher ist“. Daniel Mark Eberhard zufolge, unter anderem auch Mitglied im Bundesfachausschuss Bildung des Deutschen Musikrates, könnte Musik „zur Unterstützung von Lernprozessen in allen Fächern beitragen“. Wenrich moniert, dass man Verantwortliche für die Fächer Kunst und Musik an den bayerischen Hochschulen und Universitäten nicht in die Diskussion eingebunden habe: „Im Dialog wäre es dann offenkundig geworden, in welchem Umfang bereits über fachübergreifende und fächerverbindende Potenziale, über Weiterentwicklungen und auch Neudenken der ästhetischen Bildung geforscht und publiziert wird“, immer mit dem Ziel, so Wenrich, „die Kinder und Jugendlichen mit den notwendigen Kompetenzen für ihr zukünftiges Leben auszustatten“.

„Klingt nach Kürzung des Fachunterrichts in Kunst und Musik“



Der studierte Gymnasiallehrer, der zwei Jahre lang das Referat Kunst, Theater und Film (Gymnasium) am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung leitete, verweist auf die Außenwirkung der Reform: „Zwar wird in dem Papier der ,Pisa-Offensive‘ immer wieder die Flexibilität betont, um bestmögliche Förderung sicherzustellen, aber die Kernbotschaft einfach negativ konnotiert: Es klingt nach Kürzung des Fachunterrichts in Kunst und Musik und wird es in der Realität vielerorts auch bedeuten.“

Böttger wundert sich



Weil an vielen Schulen durch die Umstrukturierung der Stundentafel möglicherweise auch das Fach Englisch von Kürzungen betroffen sein könnte, macht der überregional anerkannte Englisch-Didaktiker Heiner Böttger aus seiner Verwunderung über die Entscheidungen des Kultusministeriums keinen Hehl: „Mit der Entscheidung begibt sich das frühe Fremdsprachenlernen in Bayern freiwillig auf die Position als Schlusslicht aller Bundesländer.“ Mit einer möglichen Reduzierung von wöchentlich zwei auf eine Stunde – das liegt am Ende im Ermessen der jeweiligen Schule – sei man „im Kultusministerium der Meinung, die erheblichen Defizite im Fach Deutsch und im Fach Mathematik mit der Kürzung im Fremdsprachenunterricht kompensieren zu können“. Ihn verwundere das.

Böttger, seit 2007 an der KU, führt mehrere Studien an, unter anderem eine Langzeiterhebung der Hochschule mit fast 1000 Kindern über fünf Jahre hinweg: „Im Ergebnis kam heraus, dass, trotz des Lernens in zwei Sprachen zum Beispiel auch in Mathematik die beteiligten Kinder im Fach Deutsch in den bundesweiten Standardtests abschnitten wie in den Jahren zuvor, sich also nicht verschlechterten.“ In Mathematik habe man in bundesweit verpflichtenden Demat-Tests (Deutscher Mathematiktest für erste Klassen, d. Red.) „deutlich vor dem bundesrepublikanischen Vergleich“ gelegen. Das habe man an der TU München nachrechnen lassen – „mit exakt den gleichen Ergebnissen wie in Eichstätt“, betont Böttger. Als Grund dafür nannte der Didaktiker den Zuwachs an kindlichen kognitiven Kompetenzen, die sich „auch positiv auf andere strategische Lernprozesse wie in Mathematik und den Erwerb der deutschen Sprache auswirken“.

Hiebl: Es braucht ausreichend Personal



Die Leiterin des Lehrerbildungszentrums der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Petra Hiebl, warnt vor der Flexibilisierung des Stundenplans: Sie nehme das, „ was sie dringend brauchen, den Raum für (mehr) Kreativität und Persönlichkeitsentfaltung“. Die musisch-kreativen Fächer leisteten einen wichtigen Beitrag „zu einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung und zum Auftrag der Grundschule, nämlich einer grundlegenden Bildung“. Grundsätzlich sei der Fokus auf die Stärkung der Kernfächer und die wissenschaftliche Fundierung von Diagnose- und Förderinstrumenten zu begrüßen, auch dass die frühkindliche Förderung betont werde, sagte Hiebl.

Sie verweist auf das Fach Englisch, das um eine Stunde gekürzt werden kann: Das gehe, wie bei Musik und Kunst, „zu Lasten eines Faches, das schon jetzt bei den weiterführenden Schulen umstritten ist“. Die Anschlussfähigkeit für die weiterführenden Schulen werde dazu erschwert, „weil die Lernvoraussetzungen noch heterogener sind“. Aus Sicht der Lehrerbildung sei für einen qualitätsvollen Unterricht vor allem eine gute Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte notwendig – „und ausreichend Personal an den Schulen“, fordert Hiebl.

Die Anforderungen an Grundschullehrkräfte sowie die Schulleitungen seien in den letzten Jahren immens. Die LBZ-Leiterin nennt dabei die Stichworte Inklusion, Digitalisierung, Migration, ganztägige Beschulung: Sie zeigten das Spektrum, das bewältigt werden müsse. „Kontraproduktiv könnte hier sein, dass derzeit an vielen Grundschulen mit Aushilfslehrkräften zwar Unterrichtsausfälle kompensiert werden, die Reflexion hinsichtlich Unterrichtsqualität jedoch oft nicht gewährleistet wird.“