Misstöne wegen Pisa-Offensive
Nach Entscheidung zu kreativem Fächerverbund weiter viel Kritik – Kultusministerin wehrt sich

02.03.2024 | Stand 03.03.2024, 9:44 Uhr

Grundschüler in Adelschlag umrahmen Schulfeiern mit Flötenspiel: An der Schule im Kreis Eichstätt hat die Musik einen hohen Stellenwert, kommende Woche wird ihr das Profil „musikbegeisterte Grundschule“ verliehen. Foto: Kerstin Kleinhans

Bayerische Grundschulkinder sollen künftig mehr Mathe- und Deutschunterricht bekommen. Das hat Kultusministerin Anna Stolz (FW) als Reaktion auf die schwachen PISA-Ergebnisse verkündet. Diese Entscheidung trifft auf viel Kritik.



Lesen Sie auch: Mehr Mathe und Deutsch an Bayerns Grundschulen – Lehrerverband: Nicht anderswo kürzen

Am Mittwoch verleiht Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (FW) an 140 Grundschulen im Freistaat ein besonderes Profil: die „musikbegeisterte Grundschule“. Nach den Beschlüssen des Ministerrats, im Zuge der „Pisa-Offenisve“ die musisch-kreativen Fächer zusammenzufassen, ist die Irritation an den Schulen groß.

Gymnasial-Musiklehrerin Rita Brunner aus Schrobenhausen nennt die Veranstaltung kommende Woche „einen Hohn“. Sie macht im Gespräch mit unserer Zeitung deutlich, dass musische Aktivitäten immer mehr in das Private abgeschoben würden und damit „immer mehr zu einer Angelegenheit, die sich nur noch betuchtere Eltern leisten können“. Damit leiste man einer Spaltung der Gesellschaft schon im Grundschulbereich Vorschub. „Das ist höchst unsozial“, schimpft Brunner. Auch der bayerische Musikrat warnt: „Dies ist verheerend für die Entwicklung unserer Kinder.“ Musizieren sei neben sozialen Fähigkeiten sowie die Konzentrations- und Lernfähigkeit äußerst hilfreich für die Entwicklung von Sprachfähigkeiten und beim Lernen neuer Wörter. Die Entscheidung könne, „nur als eine beschönigende Formulierung dafür verstanden werden, dass faktisch die Stunden etwa für Musik zusammengestrichen werden“, findet der Musikrat.

Teilweise Skepsis, teilweise Ärgernis



Kultusministerin Stolz wehrt sich gegenüber der Mediengruppe Bayern dagegen. Man wolle keine „Fächer ,zusammenzustreichen‘“, sie würden nicht zusammengelegt. „Es wird jedes Einzelfach weiterhin geben und das wird sich auch im Stundenplan so widerspiegeln“, versichert sie. Das legt zumindest die am Freitag veröffentlichte neue Stundentafel nahe, die allerdings einen Spielraum von vier bis fünf Stunden für den Fächerverbund vorsieht, zugleich ein bis zwei Stunden für Englisch und eine „flexible Stunde“, die jedem Fach zugeordnet werden könne.

Betroffene Schulleiter sehen die Ankündigung mit Skepsis, ja teilweise mit Ärgernis. Der Rektor in Stammham (Landkreis Eichstätt) etwa: Sie hatte „eine Signalwirkung nach außen hin: die musisch-ästhetischen Fächer werden zusammengeschrumpft, Religion bleibt unangetastet“, sagt Edgar Mayer. Seine Schule ist eine der 140 Grundschulen mit dem neuen Profil „musikbegeistert“. Es zeige zunächst, „dass wir auf diesem Feld herausragend unterwegs gewesen sind und dies auch in Zukunft sein werden“. Aber: Einen Tod wird seine Schule sterben müssen, um die Stundenvorgaben zu erfüllen. Aller Voraussicht nach reduziere man daher Englisch. Weil: Musik solle bei diesem Profil „konsequent im Schulalltag verankert“ sein, sagt das Kultusministerium. Mayer, selbst mit der kirchlichen Lehrbefähigung ausgestattet, zeigt sein Unverständnis, weil die Religionsstunden unangetastet bleiben, „obwohl hier meiner Ansicht nach der Rotstift angesetzt hätte werden können“.

„Kreativbereich ist pädagogisch viel zu wichtig



Nicole Freundl, Rektorin der Grundschule Mühlried (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen), berichtet von Zweifeln an der Sinnhaftigkeit aus der gesamten Schulfamilie. Es sei richtig, dass Lesen, Schreiben und Rechnen stärker gefördert werden müssten, aber das Problem sei eher in der gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen. „Das beginnt damit, wie viel in Familien vorgelesen wird“, sagt die erfahrene Pädagogin, deren Schule auch „musikbegeisterte Grundschule“ ist. Der Kreativbereich sei pädagogisch viel zu wichtig, als an dieser Stellschraube zu drehen.

Das findet auch Rita Brunner: Musische Fächer dürften nicht alibimäßig „in einer Stundenplanresterampe nach Belieben der einzelnen Schule herumgeschoben“ werden. „Aktives Singen hebt die Stimmung, ist gut für die Psyche, sogar auch körperlich gesund, das sind Erkenntnisse, die längst belegt sind“, betont Brunner.

Die Kultusministerin, die kommende Woche die Auszeichnungen zumindest laut Ankündigung ihres Hauses persönlich vornehmen will, versichert: „Unsere Stundentafel ist so flexibel gestaltet, dass jede Schule, die das möchte, den Musikunterricht im selben Umfang wie bisher anbieten kann.“