Schamhaupten/São Paulo
Gottes Wort hinter Gittern

Schwester Petra aus Schamhaupten auf Heimaturlaub: Bericht über die Lage in Brasiliens Gefängnissen

18.03.2023 | Stand 17.09.2023, 0:51 Uhr

Durch Gitter getrennt: Nähe und Zeit ist den Seelsorgerinnen und Seelsorgern in den brasilianischen Gefängnissen genommen worden. Fotos: Schwester Petra

Es ist eine andere Welt, in die man eintaucht, wenn man mit Schwester Petra Pfaller aus Schamhaupten über ihre Arbeit als Seelsorgerin spricht. Es ist eine Welt voller Waffen, Hunger, Leid, von der die Ordensschwester berichtet. Seit rund 32 Jahren lebt sie in Brasilien und kümmert sich um Menschen, um die sich sonst keiner kümmern will: Häftlinge. Gerade auf Heimatbesuch, hat Schwester Petra mit unserer Zeitung über die Situation der Häftlinge nach der Corona-Pandemie gesprochen – eine Entwicklung, die jegliche Menschlichkeit vermissen lässt.

Zwei Jahre sei die Gefängnisseelsorge verboten gewesen, das gleiche galt auch für Familienbesuche, sagt Schwester Petra. Und obwohl die Pandemie nun so gut wie überstanden ist. Viele Einschränkungen sind geblieben. Familien hätten weniger Besuchszeit, ebenso die Seelsorgerinnen und Seelsorger.

Zeit und Nähe genommen

Es ist aber nicht nur die Zeit, die genommen wurde, sondern auch die Nähe: „Früher ist man auf dem Hof mit 300 Männern zusammengesessen“, erzählt Schwester Petra. Heute trennen oft Gitterstäbe den Seelsorger von den Häftlingen – oder schwer bewaffnete Gefängniswärter stehen mit im Raum. „Sie haben die Pandemie genutzt, um Kirchen und Familien weniger Zugang zu geben.“ Der Grund: „Wenn man nicht reinkommt, sieht man die Missstände weniger.“ Damit man nichts von den Zuständen mitbekomme, achten Wärter zudem darauf, dass es in den Gesprächen rein um Religion gehe. Die einfache Frage „wie geht es dir“, könne schon zu viel sein.

Wie Schwester Petra erzählt, haben die Gefängnisse, ja das ganze Land, in den vergangenen Jahren unter Präsident Jair Bolsonaro eine Militarisierung erfahren. „Die Wärter sehen aus wie die Polizei hier in Deutschland bei Demonstrationen.“ Wärter mit schweren Waffen, die in die Zellen schreien. Häftlinge die auf den Knien kauernd auf den Boden sitzen, die Arme an den Kopf – keine Seltenheit.

Neben Gewalt herrschen in vielen brasilianischen Gefängnissen zudem Hunger, Krankheiten und Überbelegung. Keine neue Situation, doch sie verschlimmert sich. Vor der Pandemie gaben die Familienbesuche den Häftlingen einen kleinen Lichtblick. Oft bekamen sie von ihren Angehörigen Pakete mit dem Nötigsten. Einfache Hygieneartikel und Essen. Doch damit ist nun auch Schluss: „Man kann vielleicht noch ein paar Kekse mitbringen.“ Die Korruption macht auch vor dem Essen in den Haftanstalten keinen Halt. Die Ordensfrau gibt ein Beispiel: „Jemand der mit 90 oder 100 Kilogramm ins Gefängnis geht, hat dann nur noch 55 oder 60 Kilogramm.“

„Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen“

In den letzten Jahren hat sich jedoch nicht nur die Welt in den Gefängnissen verschlechtert. Während der Pandemie dezimierte sich auch die Anzahl an Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Momentan seien es 3000 Seelsorgerinnen und Seelsorger, die direkt in die Gefängnisse gehen. Dem gegenüber stehen eine Millionen Gefangene. Das Gute: 90 Prozent der Diözesen in Brasilien haben eine organisierte Gefängnisseelsorge und untereinander sei man gut vernetzt, sagt Schwester Petra.

Viele der Freiwilligen, die für ihr Ehrenamt kein Geld bekommen, machen diese Arbeit aus dem Glauben heraus, sagt sie. Dazu zitiert Schwester Petra Matthäus 25: „Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.“

Dabei haben es die Seelsorgerinnen und Seelsorger selbst nicht leicht. Ihre Arbeit wird von den Haftanstalten oft nicht gerne gesehen. Sie müssen seit der Pandemie mit mehreren Verboten leben. Warum es dabei besonders die katholische Gefängnisseelsorge trifft: „Wir machen Anklagen“, sagt Schwester Petra. Deswegen würde bei den Gottesdiensten manchmal der Wein verboten und es würden weniger Bibeln verteilt werden. Die Erklärung der Haftanstalten: „Weil man die anzünden könnte.“

Viele Folteranklagen

In Sachen Anklagen macht Schwester Petra keiner etwas vor. Um den Häftlingen besser helfen zu können, hat sie in Brasilien sogar Jura studiert. Als Rechtsanwältin bei Prozessen dabei zu sein, dafür hat sie keine Zeit, ist sie doch die Vorsitzende der brasilianische Gefängnisseelsorge. Sie sei eher beratend tätig. „Wir machen viele Folteranklagen“, sagt sie. Und dabei werden alle Instanzen genutzt. Von Anklagen vor Ort, bis zum Internationalen Strafgericht. Ziel sei es, den Staat unter Druck zu setzen, die Missstände aufzuzeigen damit sie aufhören.

Besonders schlimm sei es im Gefängnis für arme Menschen. „Die Prozesse können Jahre dauern“, weiß Schwester Petra. Arm zu sein, würde gleichzeitig bedeuten, einen Pflichtverteidiger vom Staat zu bekommen. Und diese seien vollkommen überbeschäftigt. Nicht das einzige Problem: „Die medizinische Versorgung in den Gefängnissen ist sehr prekär.“ Medikamente gebe es dort überhaupt nicht. Wenn, dann gibt es ein Rezept. Von da an ist die, oft sehr arme, Familie an der Reihe und muss es selbst besorgen.

Momentan ist Schwester Petra die Vorsitzende der brasilianischen Gefängnisseelsorge mit Sitz in São Paulo. Das heißt: viele Vorträge, Pressearbeit und Kurse über die Gefängnisseelsorge. Zeit für die Arbeit in den Gefängnissen bleibt da nicht. Vier Jahre war sie schon als Vorsitzende im Amt, im Dezember vergangenen Jahres folgte die Wiederwahl. Einige Überlegungen habe es gebraucht, bis sie sich dafür entschieden habe, es nochmal zu machen, sagt sie. Denn auf die Frage, ob sie die Arbeit als Seelsorgerin im Gefängnis vermisse, antwortet sie entschieden: „Ich vermisse es gescheit.“

Noch bis Ostern ist Schwester Petra auf Heimatbesuch. Dann geht es wieder zurück nach Brasilien. Weder Gefängnisseelsorgerinnen und -seelsorger, noch Schwester Petra Pfaller als Vorsitzende der brasilianischen Gefängnisseelsorge bekommen für ihre Arbeit Geld. Deswegen sind sie auf Spenden angewiesen, um sich um die Häftlinge zu kümmern und für ihre Grundrechte zu kämpfen. Die gebürtige Schamhauptenerin ist sehr dankbar für die vielen Spenden, die sie immer wieder aus ihrer alten Heimat erreichen: „Ich könnte nicht so arbeiten, wenn ich nicht die Unterstützung aus der Heimat hätte.“ Mit dem Geld unterstützt man ihre persönlichen Ausgaben, wie zum Beispiel ihr Handy oder den Computer, den sie für die Arbeit braucht. Das Geld kommt aber auch direkt den Häftlingen zu Gute. Den armen Familien wird geholfen, Medikamente, Essen und Hygieneartikel zu besorgen. Dabei ist es Schwester Petra wichtig zu erwähnen, dass wirklich nur die nötigsten Hygieneartikel wie Zahnbürsten, Seife und Zahnpasta gekauft werden. Wer gerne Spenden möchte, kann dies unter den folgenden Daten: LIGA Bank, München, Kontonummer 2146045, BLZ 75090300, Missionarinnen Christi, Linderhofstr. 10, 81377 München, Vermerk: Sr. Petra Pfaller.

DK