Eichstätt
Die barocke Lebensfreude pausiert

Jetzt hätte die Schäffler-Saison 2022 begonnen – Reifenschwinger Karl Daum erklärt den Tanz

05.01.2022 | Stand 23.09.2023, 15:22 Uhr

Erst am 6. Januar 2023 wird die Schäfflermelodie „Oba heit is sakramentisch koit“ erneut erklingen. Wegen der Corona-Pandemie wird der Auftakt um exakt ein Jahr verschoben. Auch der Vorstand des neuen Vereins Schäfflertanz e.V. musste die Tracht nach diesem Fototermin wieder in den Schrank hängen (von rechts): Roland Reuder (Vorsitzender), Karl Daum (Vorsitzender und Reifenschwinger), Jochen Ziegler (Vorsitzender) und Klaus Dorsch (Schriftführer und Schnapstruppe). Foto: Schramm

Eichstätt - „Ihr Bürger der Stadt! Die sieben sind um! Schon gellen die Pfeifen, In zierlichen Reifen, Die Gläser geschwungen, Den Achter geschlungen, Wohlauf nun zum Tanz, Mit dem buchsenen Kranz!“ So lautet der Prolog, mit dem der Reifenschwinger der Eichstätter Schäffler den ersten Tanz jeder Saison eröffnet. Sie beginnt alle sieben Jahre am 6. Januar mit einem Tanz zu Ehren des Bischofs. Heuer aber werden die Eichstätter Schäffler den Sieben-Jahres-Rhythmus coronabedingt unterbrechen müssen. 

Weil die Eichstätterinnen und Eichstätter jetzt auf den Tanz verzichten müssen, erläutert der Vorsitzende des Schäfflertanz-Vereins und Reifenschwinger, Karl Daum, in unserer Heimatzeitung die mit den Tanzfiguren verbundene Botschaft. Es ist der Auftakt einer kleinen Schäffler-Serie, die unsere Leserinnen und Leser bis zum Faschingsdienstag begleiten soll.

Die paradiesische Harmoniewird kurz getrübt

Der Tanz, so erklärt Daum, wolle „der barocken Lebensfreude der Stadt Eichstätt und ihrer Bürger Ausdruck verleihen“, und das in vielen geordneten Formen. „In den Tanzfiguren erkennen wir ein Abbild unseres Lebens“: Der Vortänzer gibt den Takt an. Er bestimmt die Abfolge der Figuren. Nur durch gegenseitige Rücksichtnahme und Achtung kann ein Gemeinwesen wachsen und gedeihen. Das Senken der grünen Bögen zum Gruß soll die Hochachtung gegenüber dem Stifter der jeweiligen Aufführung und deren Anwesenden ausdrücken. Dem Gruß folgt zuerst der Laubentanz. Er versinnbildlicht paradiesische Harmonie der mit Gott und untereinander versöhnten Menschheit unter dem Dach der immergrünen Kränze. Ein hoffnungsvoller Rückzugsort und Ruhepunkt bis zu dem Tag, an dem der Friede gestört wird.

Im Schlangentanz schleicht der Widersacher durch die aufgelösten Laubengänge: Die Schlange steht allegorisch für alles, was die göttliche und menschliche Ordnung aus dem Gleichgewicht bringt. Im Jahr 1517, als in München erstmals die Schäffler getanzt haben sollen, sei es die Überwindung der Pest gewesen. „In unseren Tagen ist es mit Corona, aber auch Misserfolg, Krieg, Streit und Missgunst begleiten uns stets, schlingen sich um Menschen und versuchen sie zu würgen.“

Die Tänzer lassen sich nicht beirren und tanzen weiter: „Wir dürfen mit dem eigenen Scheitern und dem Scheitern anderer barmherzig umgehen, denn es eröffnen sich immer wieder neue Wege“: Nach Niedergeschlagenheit durch Pest, Krankheit und Tod fordern die Schäffler nun im Tanz der vier kleinen Kreise auf, das Leben mit neuem Mut in die Hand zu nehmen. Das Räderwerk des Lebens muss auch nach Niederlagen und Rückschlägen wieder ineinanderlaufen, sorgt es doch letztlich für Wohlstand und Zufriedenheit.

Darin steckt eine christliche Botschaft: „Gott richtet auf nach jedem Scheitern. Es liegt an uns, immer wieder neu zu beginnen“, erklärt Daum. Die Fassschläger symbolisieren diesen Aufbruch durch Arbeit, die nach überstandener Pest wieder zum Alltag der Menschen gehören soll.
 

Alle Figuren beginnenund enden im Kreis

Dieses Streben nach Wohlstand ist allerdings keine egozentrische Einbahnstraße: Die vier kleinen Kreise lösen sich auf in den großen Kreistanz aller Teilnehmer. Das Streben des Einzelnen soll von Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft getragen sein, nur dann mündet alles in ein schöpferisches und verantwortungsvolles Ganzes. Beim Changieren oder Kontratanz bewegen sich die Schäffler grüßend aufeinander zu und ermahnen die Umstehenden: Der schwarze Tod ist besiegt, begegnet einander und sorgt Euch um einander, geht aufeinander zu und seid fröhlich!
Alle Figuren beginnen und enden im Kreis, dem Symbol für das Vollkommene, das Ewige, für das es keinen Anfang und kein Ende gibt: Hoffnung, Glück, Freundschaft, Liebe. Schließlich strebt der Tanz dem Höhepunkt zu, der Krone, die von den sechzehn Tänzern geformt wird. Die Mitte der Krone bildet auf dem Kronenbaum eine goldene Kugel, die von einem Kreuz bekrönt wird. „Stat crux – dum volvitur orbis!“ lautet die Botschaft: „Die Welt mag sich drehen – das Kreuz bleibt bestehen!“ Es gibt eine immer gültige Wahrheit, einen Dreh- und Angelpunkt in allem Streben der Menschen. Christen nennen diese Mitte Jesus. Der Kronenbaum wird erhoben und auf das Fass gestellt: in der Arbeit soll sich der Mensch selbst verwirklichen, dabei aber nicht vergessen, dass das Göttliche über allem steht. Alles soll diesem Ziel zustreben: dem Wohl aller und der größeren Ehre Gottes. An diese Wahrheit erinnert auch der Reifenschwinger, wenn er mit dem anschließenden Reim auf den Großmut der Stifter den Tanz mit dem Ruf beendet: „…zur größeren Ehre Gottes und dass er dem Deife recht stinkt!“ Dieser Verpflichtung stellen sich die Eichstätter Schäffler mit einer in Bayern wohl einmaligen Vereinssatzung, in der festgeschrieben ist, dass der Reinerlös der Tanzsaison einem wohltätigen, karitativen Zweck an die Bürger der Stadt Eichstätt zu stiften ist.
 

Ermunterung zu Engagementund weltoffener Kultur

Dieses ehrenamtliche und unentgeltliche Engagement steht gewissermaßen repräsentativ für jede Bürgerin und jeden Bürger, die sich für das Gemeinwohl in dieser Stadt einsetzen. Die Eichstätter Schäffler ermuntern mit ihrem Tanz aber auch alle Bürger zum Engagement für Eichstätt, zu Rücksichtnahme und gegenseitiger Achtung und zu gegenseitiger Hilfe, kurzum: zu den Grundlagen einer weltoffenen Kultur. In diesem Sinne wird der Reifenschwinger zu gegebener Zeit den Eichstättern zurufen: „Die sieben sind um! Ihr Schäfflergesellen, Heraus auf die hellen, liebfreundlichen Gassen, Euch sehen zu lassen, Zu lustigem Fest Wie einst nach der Pest!“

EK