Standing Ovations im Stadttheater
Zwischen Rache und Liebe

Das Staatstheater Meiningen gastierte mit dem Erfolgsmusical „Der Graf von Monte Christo“ in Ingolstadt

11.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:16 Uhr

Gaben zwei Vorstellungen in Ingolstadt: Edmond Dantès (Marc Clear) wird während seiner Verlobungsfeier mit der schönen Mercédès (Anna Preckeler) Opfer eines perfiden Komplotts. Foto: Christina Iberl

Mit dem Musical „Der Graf von Monte Christo“ gastierte das Staatstheater Meiningen an zwei Abenden im Stadttheater Ingolstadt. Die opulente Inszenierung von und mit Cusch Jung wurde lange bejubelt.

„Gerechtigkeit denen, die sie sich nehmen! Liebe jenen, die sie geben!“, ist auf dem durchscheinenden Vorhang zu lesen, der sich zu Beginn im Großen Haus des Stadttheaters hebt. Genau zwischen diesen beiden Polen bewegen sich die Musik wie auch die Spannung von Frank Wildhorns opulentem Musical „Der Graf von Monte Christo“, welches das Staatstheater Meiningen in seinem Gastspiel fulminant auf die Bühne bringt.

Die Inspirationsvorlage dazu bildet natürlich der gleichnamige Abenteuerroman von Alexandre Dumas. Doch die weit verzweigte Handlung mit all ihren Nebenschauplätzen wird in Wildhorns Adaption rasant verdichtet, dramaturgisch geschickt gestrafft, auf die wesentlichen Kernpunkte und Figuren konzentriert erzählt: Eine Geschichte voll Neid und Missgunst, Hass und Rache, aber auch voll Barmherzigkeit und Verzeihen um den Seefahrer Edmond Dantès, der am Tag seiner Hochzeit von vermeintlichen Freunden hintergangen und eingekerkert wird, um Jahre später als reicher, geheimnisumwitterter Graf zurückzukehren.

Marc Clear in der Titelrolleals Idealbesetzung

Für die facettenreiche Hauptrolle gibt Marc Clear sowohl stimmlich als auch schauspielerisch geradezu eine Idealbesetzung ab. Deutlich ist zu spüren, wie intensiv der in Deutschland geborene britische Tenor sich im Lauf seiner Karriere bereits mit der Partie auseinandergesetzt hat, wie sehr er sie sich innerlich zu eigen macht. Tief verschmilzt er als Darsteller mit seinem Charakter, zeichnet beeindruckend den Wandel vom grundehrlichen, gutgläubigen Jungspund zum geläuterten, reifen Mann nach, ohne seine Menschlichkeit zu verlieren, berührt mit leidenschaftlichen, verzweifelten Ausbrüchen ebenso wie mit inniger Gefühlsphrasierung. Ihm zur Seite verkörpert Anna Preckeler mit ihrem sensibel schwingenden, vibrierend aufleuchtenden Timbre auf anrührende Weise eine emotional untrennbar verbunden bleibende Mercédès, verleiht ihr viel Wärme, Würde, Haltung und Eleganz.

Auf der finsteren Gegenseite steht das skrupellose Widersacher-Trio: Shin Taniguchi als Mondego ist ein Bösewicht par excellence, düster, gefährlich, unberechenbar und habgierig, weiß mit seinem mächtigen Bariton perfide aufzutrumpfen. Fies, schmierig und verschlagen legt Stan Meus seinen Baron Danglars an, während Johannes Moosers Oberstaatsanwalt Villefort aalglatt, aber doch heimtückisch, korrupt und machtbesessen zu agieren versteht.

Eine Spagatleistung vollbringt Regisseur Cusch Jung persönlich: Er mimt nämlich nicht nur auf hinreißende, tiefsinnig komische Art den greisen, philosophierenden Universalgelehrten Abbé Faria, der Edmond zur Flucht aus dem Gefängnis und zu unermesslichem Reichtum verhilft, sondern im Anschluss auch dessen späteren treuen Weggefährten, Diener und Freund Jacopo. Sowohl in der Inszenierung als auch in seinen Rollen beweist er großes Geschick für konstellatorische Linienführungen, feines Gespür für liebevolle Details und wohldosierten Sinn für gewitzten Humor.

Ihren ganz eigenen Auftritt hat Sara-Maria Saalmann als – abweichend von der literarischen Grundlage – weibliche Piratenbraut Louisa Vampa. Sinnlich, verrucht, burschikos und fetzig zugleich kapert sie zu ihrem rockigen Song temperamentvoll die Bühne. Jugendlichen Charme und erfrischenden Zauber dagegen bringen Niklas Clarin und Monika Reinhard als junges Paar Albert und Valentine ins turbulente Spiel, das durch die schillernde Erotik des schwungvoll-verführerischen Kurtisanen-Terzetts (Katharina Fulda, Heidi Lynn Peters, Elisabetha Kapanadze) im Tarantella-Tanz zusätzlich angefacht wird.

Von Anfang an fasziniert der glänzend disponierte, fantastisch singende Chor des Staatstheaters Meiningen. Die reichhaltigen, monumentalen Passagen, wie etwa gleich das sakrale, packende „Kyrie eleison“ zu Beginn, gelingen großartig. Daran hat insbesondere die hervorragende Meininger Hofkapelle unter der souveränen Leitung von Tamara Lorenzo Gabeiras wesentlichen Anteil: Das Orchester sorgt für wunderbare, mal expressive, mal elegische Klang-Stimmungsgemälde, für überbordenden Furor, für opernhafte Dramatik, ja bisweilen sogar für Shanty-Sound und Hardrock-Feeling.

Raffinierte Kostüme,opulente Videoprojektionen

Stimmig zu diesem musikalischen Kosmos, der sich aus Intrigen und Verrat hin zu Vergebung und Erlösung erhebt, zeigt sich das geschmackvoll-dezent eingesetzte, im Stil des frühen 19. Jahrhunderts belassene Bühnenbild (Karin Fritz) samt ausgeklügelten Bodenklappen im Verlies und seitlichen Verspiegelungsbahnen für mehr Raumdimension. Modisch wie historisch korrespondieren dazu harmonisch die raffinierten Kostüme (Sven Bindseil). Maßgeblich lebt die Atmosphäre von den farbenprächtigen, eindrücklichen Video- projektionen (Karl-Heinz Christmann): Schiffe, Festungsanlagen, nächtliche Landschaften, Kathedralen, Gefängniszellen, das offene Meer, eine gigantische Höhle, funkelnden Diamanten, der Sternenhimmel, lodernde Flammen, ein Feuerwerk oder ein Pariser Prunksaal entführen die Zuschauer in eine zwischen Wirklichkeit und Fantasie verschwimmende Welt aus Abenteuer, Schatzsuche und einer gehörigen Portion Romantik.

Am Ende, nachdem die letzte der spektakulären Kampf- und Fechtszenen glücklich ausgestanden ist, geht alles in einem glühenden Sonnenball auf. Endlich können Edmond und Mercédès ihren Schwur wahrmachen: „Niemals allein!“

Das Ingolstädter Publikum jubelt lange unter begeisterten Standing Ovations.

DK