Von der Disco in den Sonderzug

14.12.2008 | Stand 03.12.2020, 5:20 Uhr

Ist das Knut? Hoch motiviert wollten sich diese Ingolstädter als Eisbärenfänger hervortun. Doch daraus wurde auf dem Eis nichts.

Ingolstadt/Berlin (DK) Als das Taxi vor dem Ingolstädter Hauptbahnhof zum Stehen kommt, wird es laut. Vier junge Männer, mit Krachlederner und darüber Eishockey-Trikots, steigen aus und ihr Sing-Sang beginnt: "Wir sind die Schanzer aus Oberbayern, wir sind diejenigen, die immer wieder feiern."

Immer "weiter" feiern, das wäre an diesem frühen Sonntagmorgen korrekter gewesen. Es ist kurz nach 4 Uhr früh und die jungen Männer kommen unzweifelhaft aus einer der Innenstadt-Diskotheken. Der Hauptbahnhof ist für sie nur Zwischenstation. Ihr eigentliches Ziel lautet Berlin, die Bundeshauptstadt. Das haben sie nicht exklusiv. Sie sind nur vier von knapp 1000 Fans des ERC Ingolstadt, die diese Reise für ihr Team in einem Sonderzug auf sich nehmen.

Stärkung am Bahnhof

Zuerst einmal ist alles wie sonst. Wie sonst die Nachtschwärmer am Wochenmarkt mit Weißwürstl und Wienern den Morgen einläuten, kommen sie auch vor der Zugfahrt in den Genuss. Der Hunger ist unerwartet groß: Schon um halb fünf stehen Andi, 21, aus Oberstimm und sein Freund Domi, 22, vor einer Bank am Bahnsteig eins und kauen das allerletzte Paar Würste.

Seit weit mehr als zwölf Stunden sind sie da bereits auf den Beinen und haben schon die Weihnachtsfeier bei der DJK in den Knochen. Doch es gibt kein Halten: "Beim Sonderzug sind wir inzwischen immer dabei." Für Andi ist es die vierte Fahrt, für Domi die dritte. Bei der insgesamt achten Auflage hat sich die Massenfahrt der Fans zu einer Herzensangelegenheit entwickelt. Manche kommen nur einmal im Jahr mit zu einer Auswärtsfahrt und dann suchen sie sich den Sonderzug aus.

Hier ist vieles inklusive: Überfüllte Partywaggons, in denen der Fußboden schon nach wenigen Schienenkilometern klebt. Schwankende Personen, von denen einige das Eishockeyspiel in Berlin nicht mehr bei vollem Bewusstsein erleben. Eine Lok Baujahr 1946, dazu Wagen, die nicht viel jünger sind. Aber auch ein eingespieltes Planungs- und Helferteam vom Fanprojekt, der Dachorganisation der ERC-Anhänger.

Jede Fahrt ist zudem ein bisschen ein Trip ins Ungewisse. Sogar für den Kult-Radioreporter Hans Fischer am gestrigen Tag. Die gigantische und erst vor drei Monaten eröffnete Multifunktionshalle am Berliner Ostbahnhof ist für ihn Neuland. Im alten Wellblechpalast, liebevoll Welli genannt, in Hohenschönhausen war er oft. Doch die neue Halle: "Da muss ich mich auch erst zurecht finden." Den Weg geben die Fans vor, als sie nach acht Stunden Anfahrt singend in Berlin ankommen. Die Hauptstadt nimmt zunächst erstaunt Kenntnis von den Neuankömmlingen. Doch auf der Straße vor dem Ostbahnhof, in Sichtweite der letzte Mauerreste, kühlt das Interesse der Millionenstädter schnell ab.

"Ein Monstrum"

Wie vor einem Jahr in Düsseldorf versammeln sich die ERC-Fans auch dieses Mal hinter einer überdimensionalen Fahne. Dieses Mal steht aber nicht "Invasion" drauf. Sondern das, was der ERC nun mal seinem Namen nach ist: Der Eissport- und Rollschuhklub. Die wenigen Meter bis zum Betonkoloss namens O2-World legen sie gemeinsam zurück. Keine Polizeieskorte weit und breit. Über den ersten Anblick der angeblich modernsten Halle Europas sind einige enttäuscht. "So ein Monstrum", ruft einer über die wartende Menge hinweg. Wie auch der Sonderzug jedes Mal ausverkauft ist, bleibt aber auch in der neuen Halle des Deutschen Meisters bisher kaum ein Platz frei. Musik kracht aus den Lautsprechern, ein Mini-Feuerwerk sprüht bei der Vorstellung der Spieler. Die Gästefans sind wie inzwischen in vielen Hallen in den Oberrang verbannt. Doch von hier aus machen die Ingolstädter selbst ordentlich Krach. Auch wenn ihre Mannschaft im Mitteldrittel auf die Verliererstraße gerät und letztlich 3:4 unterliegt. Ein Trotspflasterchen haben die Fans. Die Mannschaft gesellt sich zu ihnen auf der Heimfahrt (siehe Bericht). Geteiltes Leid ist eben halbes Leid.