Ingolstadt
Stadträte steigen Lidl aufs Dach

Parteiübergreifende Verärgerung darüber, dass der Discounter im Nordosten nur eingeschossig neu baut

12.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:31 Uhr
Das Ingolstädter Lidl-Flaggschiff: So wie der neue Markt an der Neuburger Straße (eröffnet im November 2017) soll auch die Filiale an der Goethestraße aussehen. −Foto: Fotos: Hauser

Ingolstadt (DK) Lidl will seine Filiale an der Goethestraße durch einen größeren Neubau ersetzen. Aber der Stadtentwicklungsausschuss weigerte sich in der gestrigen Sitzung, dem Bauantrag zuzustimmen, weil der Discounter nur eine Etage errichten will. Das sei im Zeichen des hohen Drucks auf den Wohnungsmarkt eine nicht mehr akzeptable Raumverschwendung, kritisierten die Vertreter aller Parteien. Der Bitte der Stadt, hier in die Höhe zu bauen, habe Lidl leider nicht entsprochen, sagte OB Christian Lösel.

Der Dissens mit dem Lebensmittelriesen aus dem Schwäbischen hatte sich angedeutet. Bereits im April haderten die Mitglieder des Stadtentwicklungsausschusses mit der Höhe des geplanten Lidl-Markts an der Goethestraße /Ecke Lessingstraße. Das Unternehmen will seine Filiale (mit 818 Quadratmetern Verkaufsfläche) an selber Stelle durch einen 72 Meter langen, 30 Meter breiten und knapp sieben Meter hohen Neubau mit 1338 Quadratmetern ersetzen; das zweigeschossige Rossmann-Gebäude nebenan bleibt stehen. 143 Parkplätze runden das Ensemble auf dem Plan ab.

Ein langer Flachbau soll also dem Satteldach-Bau folgen - bei dieser Aussicht ist im April mehreren Stadträten beinahe der Hut hochgegangen. "Dabei wäre es hier von den vorgeschriebenen Stellplätzen her gut möglich, einen Stock raufzugehen", so Hans Achhammer (CSU). Angesichts des Drucks auf den Ingolstädter Wohnungsmarkt sei ein Supermarkt mit einer einzigen Etage eine Platzverschwendung. Solche Pläne gelte es ab sofort zu verhindern, hatte Achhammer damals gefordert, und die Kollegen folgten seinem Vorstoß. OB Christian Lösel fasste zusammen: "Wir müssen mehr in die Höhe! Und wir müssen deshalb mit Lidl reden."

Lösel hat inzwischen mit Lidl geredet. Das Gespräch sei nicht wie erhofft verlaufen, deutete er gestern an. Er habe den Wunsch des Stadtrats, den neuen Lidl-Markt mindestens zweigeschossig zu bauen und darin - wenn möglich - Wohnungen anzulegen, den Unternehmensvertretern vorgetragen. "Doch es ist uns bekundet worden, dass man das so nicht will."

Deshalb ist im Bauantrag von Lidl wie gehabt bei 6,88 Metern Höhe Schluss. Aber der Stadtentwicklungsausschuss ist nicht dazu bereit, ihn zu genehmigen. Ingolstadt brauche Wohnungen - dringend! Deshalb müsse die Platzverschwendung endlich aufhören, noch dazu im dicht besiedelten Nordosten, hieß es reihum; in einem Gewerbegebiet wäre das etwas anderes.

Hans Achhammer eröffnete die parteiübergreifende Offensive: "Ich bin enttäuscht von Lidl! In Berlin bauen die einen Supermarkt mit Wohnungen und einem Hotel oben drauf. Wir können uns zwar nicht ganz mit Berlin vergleichen, aber wir haben auch Druck!" Ein Gebäude mit mehreren Etagen böte die Möglichkeit, "Wohnungen für die eigenen Kunden zu bauen". Wieso Lidl diese Chance in Berlin und Hamburg ergreife, nicht aber in Ingolstadt, "und die auch nicht auf unsere Bitte reagieren, verstehe ich nicht", so Achhammer. "Wir dürfen das nicht einfach so hinnehmen! Wir müssen dazu alle baurechtlichen Möglichkeiten prüfen, zum Beispiel über einen Bebauungsplan." So gehe es nicht weiter. "Der Bezirksausschuss Nordost sucht händeringend Flächen für Spielplätze!"

Nach diesem Appell, mit dem Baugesetzbuch in der Hand mehr Raum zu erkämpfen, applaudierte Manfred Schuhmann (SPD) als Erster. "Wir sind mit der Kritik des Kollegen Achhammer voll einverstanden", bestätigte auch sein Genosse Robert Bechstädt. "Es ist ein Unding, alles mit oberirdischen Parkplätzen zuzupflastern", kritisierte Christian Lange (BGI).

Die Enttäuschung seiner Kollegen über die Raumverschwendung sei "ja noch freundlich formuliert gewesen", fand Hans Stachel (FW). "Ich bin über das Verhalten von Lidl verärgert! Sicher, es gibt Zwänge und es gibt Recht, aber das alles einfach so abzunicken, ist mir zu wenig."

Juristisch steht Lidl, wie es aussieht, auf der sicheren Seite. Die Stadtverwaltung stellt fest, dass "aus baurechtlicher Sicht Anspruch auf Genehmigung des Bauantrags besteht". Dann fügt die Behörde in ihrer Beschlussvorlage warnend hinzu: "Die rechtswidrige Versagung der Genehmigung löst Schadenersatzansprüche aus."

Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle ergänzte, dass es mit einem Bebauungsplan möglich wäre, "Bauzwang bei der Gebäudehöhe anzuwenden". Doch für den Supermarktstandort an der Goethestraße gebe es keinen Bebauungsplan. Vor diesem Hintergrund und insbesondere wegen der Eigentumsgarantie "müssen wir uns Gedanken machen, wie wir künftig verfahren", gab Peter Springl (FW) zu bedenken. Die CSU werde dazu im Juli einen Antrag einbringen, kündigte Achhammer an.

Nachdem die Mitglieder des Gremiums ihrem Verdruss über die befürchtete Platzvergeudung weiten Raum gegeben hatten, machte der Ausschussvorsitzende, OB Lösel, gleich weiter: "Ich möchte mich Ihrem Ärger eins zu eins anschließen! Ich möchte auch mein Missfallen bekunden. Wir brauchen dringend Wohnungen! Und die Bauversiegelung geht zu schnell." Er habe bei Lidl "die Interessen der Stadt vertreten". Leider vergeblich. Das Unternehmen habe aber immerhin "signalisiert, bei einem seiner nächsten Objekte unserem Wunsch Rechnung zu tragen". Dennoch müsse man jetzt einen Weg finden, um es grundsätzlich durchzusetzen, "dass Hallenbauten nicht mehr nur eingeschossig und mit riesigem Parkplatz davor genehmigt werden müssen". Lösel kennt nur eine Richtung: nach oben.

Christian Silvester