Ingolstadt
Wenn es anfängt zu wackeln

Im Gespräch mit zwei Schuldnerberaterinnen der Diakonie – „Wichtig ist, sich frühzeitig Hilfe zu holen“

28.05.2022 | Stand 22.09.2023, 22:48 Uhr

Christel Rückschloss-Friedel (l.) und Nadine Winkler sind Schuldnerberaterinnen bei der Diakonie Ingolstadt. Sie geben unter anderem Hilfe zur Selbsthilfe. Foto: Werner

Ingolstadt – Immer mehr Menschen kommen zur Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie Ingolstadt. Das Team hat in der Stadt Ingolstadt und der Region im Jahr 2021 mehr als 700 Klienten beraten. Im Laufe des Jahres wurden über 5300 Beratungsgespräche geführt. Die Schuldnerberaterinnen Christel Rückschloss-Friedel und Nadine Winkler berichten im DK-Gespräch von ihrer Arbeit, über das Problem der derzeitigen Preissteigerungen und wie sie Betroffenen helfen.

Zu Beginn: Wann spricht man eigentlich von einer Schuldenfalle?

Christel Rückschloss-Friedel: Menschen sind dann in einer Schuldenfalle, wenn sie mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen. Manchmal ändern sich plötzlich die Lebensumstände, und Kosten können nicht mehr bezahlt werden. Kosten wie Miete, Strom, Telefon, Versicherungen oder Autokredite und Handyvertragsgebühren. Wenn die Ausgaben regelmäßig die Einnahmen übersteigen.



Was sind die häufigsten Gründe – warum rutscht jemand in die Schuldenfalle?


Nadine Winkler: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, generell sehr niedriges Einkommen und befristete Arbeitsverhältnisse können Gründe sein. Längerfristige Krankheiten sind ein Thema. Und auch Trennungen. Jeder Fall ist anders zu betrachten.

Die Preise steigen in sämtlichen Bereichen an – Lebensmittel, Energie, Benzin. Merken Sie das bereits in der Beratung?

Rückschloss-Friedel: Ja, auf jeden Fall. Das betrifft viele Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind. In Ingolstadt arbeiten viele eben nicht bei Audi, sondern beispielsweise bei den Zulieferfirmen mit ganz anderem Einkommen. Da wird schnell gemerkt, dass es so plötzlich nicht mehr funktioniert. Die Preissteigerungen, die Energiekosten und Benzinpreise machen sich deutlich bemerkbar.

Audi kann dann auch irgendwo ein Problem sein. Vermieter setzen zum Beispiel höhere Mieten an. Hier in der Gegend sind die Mieten sehr hoch. Wenn jemand 1300 Euro verdient und 900 Euro für Miete bezahlt – dann fängt es eben an zu wackeln. Audi hat Vorteile – aber für andere eben auch Nachteile.

Wer kommt noch zu Ihnen?

Rückschloss-Friedel: Wir bemerken, dass neue Schichten zu uns zur Beratung kommen. Viele Rentner, die verstärkt große Probleme haben, ihren Haushalt zu gestalten. Die Preise steigen, aber die Renten nicht in diesem Maße.

Winkler: Wir beraten auch Jugendliche. Viele haben nicht gelernt, für etwas Bestimmtes zu sparen. Der Umgang mit Geld wurde nicht gelernt. Es wird viel über das Internet bestellt. Und wenn ein Smartphone verloren wird, läuft der Vertrag weiter. Gleichzeitig wird ein neues Handy gekauft. Anfangs sind das kleine Beträge. Mit der Zeit summiert sich das aber.

Wie helfen Sie den Menschen in der Beratung?

Rückschloss-Friedel: Wir helfen ganz konkret. Als Erstes erstellen wir einen Haushaltsplan und schauen, wo es Probleme gibt. Wie ist das Einkommen und was sind die Ausgaben? Das ist für jeden wichtig.

Manchmal haben Familien bestimmte Leistung, auf die sie Anspruch hätten, gar nicht beantragt. Zum Beispiel beim Niedrigeinkommen. Da können Familien Kinderzuschlag und Wohngeld beantragen. Das sind öffentliche Leistungen, auf die sie Anspruch haben. Viele wissen das nicht. Deshalb beraten wir und helfen, an diese Leistungen zu kommen. Manchmal muss man unter Umständen auch ein Insolvenzverfahren in Erwägung ziehen.

Winkler: Die Erstellung des Haushaltsplans ist die Grundlage. Das Ziel ist auch, dass die Menschen einen besseren Umgang mit Geld lernen und sie sich dann künftig selbst helfen können. Hilfe zur Selbsthilfe. Viele kommen mit stapelweise ungeöffneten Briefen. Hier ist schon der erste Schritt, wenn man sagt, wir machen das jetzt gemeinsam. Es ist wichtig, einen Überblick zu bekommen. Kann das Einkommen erhöht werden – etwa durch öffentliche Leistungen? Ansonsten muss überlegt werden, wo man sparen kann. Und wenn das nicht geht, wird versucht, mit Gläubigern zu verhandeln.

Arbeiten Sie auch mit anderen Einrichtungen zusammen?

Rückschloss-Friedel: Ja wir sind mit vielen eng vernetzt – Jobcenter, Sozialamt oder auch Tafel. Wir schauen auch, was die Leute außer der Schuldnerberatung brauchen. Das kann auch mal eine Suchtberatung oder eine Psychotherapie sein. Dann vermitteln wir.

DK

Die Fragen stellte Miriam Werner.