Ingolstadt
Vor der Abstimmung über die Mittelschule am Augraben: Fakten und Argumente

Es gibt was zu klären – ein Überblick

22.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:55 Uhr

Düstere Wolken über dem Augraben in Oberhaunstadt: Auf diesem Maisfeld (hier im Juli 2021) soll die Mittelschule Nord-Ost gebaut werden. Die Bäume im Hintergrund bleiben stehen. Gegen das Projekt hat sich Widerstand formiert, denn das Grundstück liegt im zweiten Grünring rund um Ingolstadt. Foto: Pehl

Noch zwei Tage. Am Sonntag entscheidet sich, ob die Mittelschule am Augraben in Oberhaunstadt gebaut wird. Sie liegt im zweiten Grünring. Die Positionen der Befürworter und Gegner sind nicht zu vereinen. Schutz stadtnaher Natur versus Weiterentwicklung der Schullandschaft – entlang dieser Front verläuft die Debatte. Hier Fakten und zentrale Argumente beider Seiten:

• Die Ausgangssituation:

Seit etwa 2012 steigt die Zahl der Geburten in Ingolstadt wesentlich stärker als in den Jahren davor. Die vielen Kinder brauchen en masse Kita-Plätze und Klassenzimmer. Um zu reagieren, präsentierte Bildungsreferent Gabriel Engert 2016 einen Schulentwicklungsplan. Dessen Kern: Die Grund- und Mittelschulen Auf der Schanz, in Friedrichshofen, an der Pestalozzistraße sowie an der Lessingstraße sollen reine Grundschulen werden. Deshalb müssen drei neue Mittelschulen her: Mitte-West (in Friedrichs-hofen), Süd-Ost (an der Asam-straße) und Nord-Ost am Au-graben in Oberhaunstadt.

Engerts Plan wurde jedoch wegen des Widerstands der damaligen CSU-Fraktion erst mit langer Verzögerung vom Stadtrat beschlossen; auch deshalb steht noch keine neue Schule. Die Schülerzahlen stiegen derweil weiter. Der Schule am Au-graben kommt eine Schlüsselrolle zu. Verhindert sie der Bürgerentscheid, funktioniert der Entwicklungsplan nicht mehr. Hunderte Kinder und Jugendliche müssten dann über Jahre in einer großen Containeranlage unterrichtet werden. Engert: „Wir haben keinen Plan B.“

• Was lief schief? Alle Verantwortlichen haben geschlafen. 2019 stimmte der Stadtrat dem Kauf der zwei Hektar großen landwirtschaftlichen Fläche für die Schule am Augraben zu. Eine Formsache, so schien es. Keinem fiel auf, welches Dilemma das Gremium damit heraufbeschwor. Bis der damalige Stadtrat Peter Springl (FW), der von Berufs wegen gut Pläne lesen kann, im Plenum sinngemäß kund tat: „Wisst’s ihr eigentlich, wo das ist? Im zweiten Grünring!“ Aber da war es zu spät. Grüne und SPD ärgerten sich besonders über ihr Versäumnis. Alle erinnerten sich an das heftige Gezerre um ein Gebäudeensemble im Grünring zwischen Haunwöhr und Hundszell. Von 2013 bis 2016 ging es rund. Am Ende zugunsten der Bauherren.Viele Naturschützer schworen sich nach dieser Erfahrung, künftig jeden Quadratmeter des Grünrings hartnäckig zu verteidigen. Initiiert von ÖDP, Bund Naturschutz und Fridays For Future formierte sich 2020 das Bündnis „Hände weg vom Grünring!“ Die Argumentation: Das Areal für die Mittelschule am Augraben (derzeit ein Maisfeld) sei eine ökologisch hochwertige Fläche, die in einem Biotopverbund liege. Die Naturschützer sammelten in kurzer Zeit fast 6000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Die Stadt Ingolstadt erklärte es für nicht zulässig (und vermied den Reizbegriff „Grünring“), scheiterte damit aber vor dem Verwaltungsgericht München. n Das geplante Gebäude: Ausmaß: 5840 Quadratmeter Hauptnutzfläche. Maximale Kapazität: 660 Schüler. Allerdings rechnet die Stadtverwaltung gemäß der Prognose mit 580 Schülern, die Differenz dient als Raumreserve. Geplante Eröffnung: 2028. Das Gebäude soll die Heimat der Mittelschülerinnen und Mittelschüler aus Oberhaunstadt, Mailing und von der Mittelschule an der Pestalozzistraße werden.Die Architekten sprechen von einer „Musterschule der Umweltverträglichkeit mit einem ökologischen Profil“. Ihr Entwurf sieht drei Lernhäuser und eine Zweifachturnhalle in Holzbauweise mit bepflanzten Dächern vor. Ein Teil der zwei Hektar Land bliebe unbebaut. Die Grünring-Schützer erwidern: Es müsste trotz allem ein großes Grundstück versiegelt werden. Begrünte Dächer ersetzten keine echte Natur. Das Maisfeld ließe sich ökologisch aufwerten. Zudem würde das Gebäude „in der einzigen durchgängigen Frischluftachse im Biotopverbund“ entstehen. Jedoch: Was genau zum zweiten Grünring gehört, ist amtlich nie definiert worden. OB Christian Scharpf (SPD) argumentierte im Juli 2021: „Es geht um Kinder! Wir gehen mit der Schule auf einen Acker. Wir hauen keine Bäume um.“ Es würden sogar neue gepflanzt. n Container:

Sie werden so oder so nötig, da in der Schule Oberhaunstadt und an der Pestalozzistraße die Schülerzahlen steigen. Die Menge der Container hängt vom Ergebnis des Bürgerentscheids ab. Falls die Schule am Augraben wie geplant 2028 eröffnet wird, sind bis dahin für den Zwischenbedarf rund 15 Container mit 2000 Quadratmetern Hauptnutzfläche erforderlich. Laut Engert würde das Provisorium 10 Millionen Euro kosten. Scheitere die Schule am Sonntag, müsste über Jahre „eine komplette Mittelschule in Containern abgebildet werden“ – mit Hunderten Kindern und Jugendliche. Dafür brauche man 5500 Quadratmeter Nutzfläche (ohne Jugendtreff). Die Containeranlage, für die man noch einen Standort sucht, wäre drei Etagen hoch (elf Meter). Das koste zwischen 24 und 30 Millionen Euro. Staatliche Zuschüsse gäbe es dann keine. Engert: „Tritt dieser worst case ein, hätten wir ein gigantisches Problem.“

• Gewissensprüfungen:Der Stadtrat hat Ende 2020 mit großer Mehrheit beschlossen, die Schule im Grünring zu bauen. Die Auswirkungen der jahrelangen Debatte auf die Politik sind erheblich: Die Fraktion der Grünen ist – nach einer schweren Gewissensprüfung – in der Grünring-Frage gespalten. Auch die Fraktion der SPD stimmte uneinheitlich ab. Ein Ausweg aus dem Dilemma tat sich nicht auf. Die Verwaltung versichert, trotz intensiver Suche keinen anderen geeigneten sowie finanzierbaren Bauplatz gefunden zu haben

• Aussagen der Initiatoren des Begehrens:

„Die ÖDP Ingolstadt tritt für den Erhalt der Grünringe in ihrer jetzigen Form ein und fühlt sich dabei auch durch die letzte Woche vorgestellte Klimaanalyse der Stadt Ingolstadt bestätigt“, schreibt Kreisvorsitzender Franz Hofmaier. Dabei könne die Bebauung an einer kritischen Engstelle des Grünrings „auch nicht durch ein Gebäude mit höchsten ökologischen Standards kompensiert werden“. Schließlich erwarte die ÖDP, „dass die Stadt in Anbetracht des Klimawandels künftig immer nach diesen Standards baut“, ergänzt Stadtrat Fred Over.

Die Stadt habe es versäumt, ausreichend Flächen für den Gemeinbedarf wie Schulen, Kitas und mehr zu reservieren, sagt Stadtrat Raimund Köstler. „Es geht nicht um eine Schule. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen, dass die Grünringe keine Baulandreserve sind.“

Bis zum kommenden Sonntag haben die Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit, sich für eine Seite zu entscheiden.

ZUR GESCHICHTE DES ZWEITEN GRÜNRINGS

Ingolstadts erster Grünring ist das Glacis: Im 19. Jahrhundert Schussfeld rund um die Landesfestung, das nach deren Außerdienststellung aufgeforstet wurde. Eine weitgehend von einem Ring aus Bäumen gesäumte, große Innenstadt dürfte es nicht oft geben. Aber was hat es mit dem zweiten Grünring auf sich, um den dieser Tage so heftig gekämpft wird? Auch er hat mit der Festung zu tun, erzählt Maximilian Schuster, Geschichtslehrer und Vorsitzender des Festungsvereins Ingolstadt:

„Der Grünring, um den es geht, entspricht in weiten Teilen dem zweiten, also mittleren Ring der bayerischen Landesfestung aus den 1860er- Jahren. Dieser Ring ist auch als der Vorwerkegürtel bekannt, und durch diese Werke wurde Ingolstadt eine Festung ersten Ranges. Somit war Ingolstadt erst durch diesen Gürtel eine ,fertige‘ Festung. Wegen dieser Festungswerke wurde über Jahrzehnte dieser Grüngürtel gesichert und nicht bebaut, da es militärische Grundstücke waren. Ein solcher Gürtel ist eine grüne Lunge für eine Stadt und wird in der Zukunft eine immer größere Rolle spielen, was Lebensqualität, Klima etc. betrifft. Das Gartenschaugelände am Westpark, der Haslangpark oder auch Gebiete um den Baggersee liegen auf oder in diesem Grüngürtel.“

DK