Ingolstadt
Vor 100 Jahren wurde der Architekt des Neuen Rathauses geboren

Theodor Steinhauser stand für „Funktionalen Rationalismus“

06.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:37 Uhr

Der heutige Rathausplatz mit der Sparkasse (unten) und dem Rathaus (Mitte). Fotos: Schalles/DK-Archiv

Von Bernhard Pehl

Ingolstadt – Im Gedächtnis der Stadt ist der Name Theodor Steinhauser so gut wie nicht präsent – abgesehen von einigen Architekten und Fachleuten kennt kaum noch jemand diesen Baumeister.

Dabei war Steinhauser ein echter Schanzer und zeichnet für ein Gebäude verantwortlich, das wohl jeder schon irgendwann einmal betreten hat. Vor 100 Jahren, am 9. Mai 1922, wurde er in Ingolstadt geboren und war in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre der maßgebliche Architekt des Neuen Rathauses und der benachbarten Sparkasse. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag freilich auf Kirchenbauten in ganz Bayern (darunter auch die Thomaskirche in Friedrichshofen), wofür er später mit der Bayerischen Denkmalschutzmedaille ausgezeichnet wurde. Doch das allererste große Werk des 2014 in München gestorbenen Architekten war das Ensemble am Rathausplatz.



Während das Neue Rathaus vom Büro Auer und Weber am Beginn dieses Jahrtausends stark verändert wurde, erfuhr das Sparkassengebäude Abriss und Wiederaufbau. Doch wohl jeder ältere Ingolstädter erinnert sich noch an diese markanten Gebäude in ihrer ursprünglichen Form. „Steinhauser hat genau analysiert“, sagt Stadtbaurätin Ulrike Wittmann-Brand, die den beiden Gebäuden, die als Ensemble miteinander zu betrachten sind, einen „rationalen Funktionalismus“ bescheinigt. Diese Nachkriegsmoderne beruhe auf einer gewissen Logik und verzichte beispielsweise bewusst auf dekorative Elemente wie etwa Erker. Ins Auge springe dabei die symmetrische Ausrichtung beider Gebäude: Während das höhere Neue Rathaus vertikal gegliedert ist, zeichnet die niedrigere Sparkasse eine horizontale Struktur aus.

Rathausplatz als Mittelpunkt

Untrennbar mit beiden Bauwerken verbunden ist der Rathausplatz. Dieser hat in den vergangenen Jahrhunderten massive Veränderungen erfahren müssen. Auf dem zentralen Areal in der Mitte der Stadt standen einst das im 19. Jahrhundert erbaute Gouvernementsgebäude, der Salzstadel aus dem 14. Jahrhundert sowie auf der Südseite das alte Stadttheater: Sie wurden 1945 ein Opfer der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg, die nur das Alte Rathaus überstanden hat. Alte Aufnahmen zeigen noch, wie sich nach dem Abriss der Augustinerkirche bis weit in die 50er-Jahre eine riesige freie Fläche bis zur Donau hin erstreckt hat.

Bereits Mitte der 50er-Jahre war den Verantwortlichen bewusst, dass die wachsenden Aufgaben der Verwaltung einer immer größer werdenden Stadt und in diesem Zuge auch der Sparkasse mehr Personal und mehr Büros erforderten. Es mussten Neubauten her, und zwar gleich entsprechend große, damit der Platz einige Zeit ausreicht. Schon die ersten Überlegungen des damaligen Baudirektors Wilhelm Lutter sahen im Umgriff des Rathausplatzes ein Rathaus und eine Sparkasse vor, während ein neues Theater auf dem Gelände des ehemaligen Militärbahnhofs errichtet werden sollte – also an der Stelle, wo heute der Hämer-Bau steht.

Streitfrage: Offene Fläche oder Teilung?

Doch dagegen regte sich bald Widerstand. Dabei ging es „nicht so sehr um die architektonische Gestaltung als um die städtebauliche Seite der Angelegenheit“, so der frühere Kulturreferent Rudolf Koller in einem seiner vier Ingolstadt-Bände: Es ging um die Frage, wo das oder die geplanten Gebäude, die eine beträchtliche Größe aufweisen würden, genau stehen sollten. „Im Prinzip handelte es sich darum, ob die aus Rathausplatz und Wochenmarktplatz bestehende Freifläche durch ein Bauwerk in der Nord-Süd-Richtung zerschnitten werden dürfe oder als Großraum erhalten bleiben und das Rathaus in die Achse der Hieronymusgasse gedreht werden müsse“, fasst Koller die intensive Diskussion damals zusammen. Mit einer Drehung wäre nämlich die Ostseite des Rathausplatzes zum Donau-Ufer hin geöffnet geblieben.

Der damals existierende „Kulturverein Ingolstadt“ sprach 1955 von der „bedeutendsten Aufgabe städtebaulicher Art in der Nachkriegszeit“ und forderte interessanterweise ein Gesamtkonzept für das ganze Areal östlich des Rathausplatzes. Explizit nannte der Kulturverein – auch im Hinblick künftiger Bedürfnisse – „Rathaus, Konzertsaalbau, Stadttheater, Sparkassengebäude, Hallenbad und anderes“ sowie „Bedürfnisse des Verkehrs (Marktplatz Markthalle, Parkplätze, Freigelände etc.)“. Jahrelang ging es hin und her, der DK fasste die Debatte 1957 unter der Überschrift „Kleine Fläche, große Fläche“ zusammen. Am Ende entschied man sich für die traditionelle Platzlösung, wenn auch größer als vorher.

„Es war richtig, die östliche Platzwand zu halten“, sagt Wittmann-Brand, die 1998 als Referendarin in Workshops die Ideen zur künftigen Entwicklung des Rathausplatz begleitete und 2011 als kommissarische Leiterin des Stadtplanungsamts sich für die Pflanzung der Baumreihe vor der Sparkasse einsetzte. „Das schließt den Platz“, betont die Stadtbaurätin.

Ursprünglich Parkplätze angedacht

Einen großen Platz bis hin zur Donau, das hätte wohl keiner verstanden, ist sie überzeugt. Steinhauser selbst wollte keine Bepflanzung am Rathausplatz, er wollte dort Parkplätze: Typisch für die 50er-Jahre, als man die Mauthstraße vierspurig ausbauen wollte, um bequem ins Stadtzentrum zu gelangen, und die Bebauung am Schliffelmarkt als einziges großes Verkehrshindernis sah. „Die Aufenthaltsqualität war damals nicht so wichtig“, betont Wittmann-Brand. Heute sei das Flanieren, das Sich-Begegnen, die Aufwertung des begrenzten öffentlichen Raums ungleich wichtiger.

Um den Bereich östlich des Rathausplatzes aber nicht ganz abzuschneiden, entschied sich Steinhauser für eine Aufständerung des Rathauses, um Durchgang und Blickverbindung zu ermöglichen – im Urteil mancher Zeitgenossen eine gewagte Entscheidung, wie auch das ganze Projekt. „Es darf nämlich auch gesagt werden, dass der moderne kubische Baustil in weiten Kreisen keinen Anklang findet, ja sogar als Majorisierung durch den Modernismus gewertet wird“, betonte ein Leserbriefschreiber im DK.

Doch es blieb bei der strengen Nachkriegsmoderne, auch wenn der DK die mangelnde öffentliche Beteiligung anprangerte, eine Art Bürgerentscheid forderte und den Entwurf als schlechte Kopie eines Gebäudes des dänischen Architekten und Designers Arne Jacobsen bezeichnete. Nur eine Modifikation hat Steinhausers ursprünglicher Plan erfahren: Die als einheitliche Baumasse aufgefassten Gebäudeteile Verwaltung, Saalbau und Sparkasse wurden aufgeteilt.

DK