Helga Schubert bei den Literaturtagen
Von Liebe und Tod

Helga Schubert hat ein Buch über die Pflege ihres Mannes geschrieben

20.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:19 Uhr

„Ich schreibe alles auf den letzten Satz hin, der steht fest, das andere wird darauf aufgebaut.“ Helga Schubert in Ingolstadt. Foto: Buckl

Von Walter Buckl

Ingolstadt – „Auf keinen Fall pathetisch sein! Auf keinen Fall missionieren! Auf keinen Fall Übergriffe machen, weder politisch noch moralisch!“ Diesem Credo folgt Helga Schubert streng. Vor allem das erste Gesetz hat sie penibel beachtet, als sie ihr Buch „Der heutige Tag“ verfasste, das sie am Mittwoch bei den Literaturtagen im Lechner-Museum vorstellte, moderiert von Ines Geipel: Ohne jede Sentimentalität oder gar Selbstmitleid spricht die Autorin in dieser Prosa davon, wie ihr narratives Ich es erlebt, mit 83 Jahren den palliativ umsorgten dementen und nicht mehr mobilen 96-jährigen Ehemann zu pflegen.

Um sie als „Meisterin des Faktischen und Präzisen“ vorzustellen, las Geipel lange Passagen aus der Laudatio, die sie vor drei Jahren auf Schubert verfasst hatte, als diese 2020 zur ältesten Bachmann-Preisträgerin avancierte – eine Anmoderation, die etwas opulent geriet, weshalb das Publikum applaudierte, als Helga Schubert schließlich an Geipel gewandt meinte, sie würde „jetzt gern dasselbe machen wie Du: etwas vorlesen!“

Schuberts „Stundenbuch der Liebe“, so der Untertitel, handelt in vielen Kurzkapiteln davon, was zu tun ist und wie es sich anfühlt, Stunde für Stunde einen geliebten schwerstkranken Menschen zu pflegen und ihm in seine Welten zu folgen, statt den 96-Jährigen einem Heim zu überlassen. Sie gibt ihm den Namen Derden („Das ist eine Wortschöpfung, meine Erfindung: Er ist der, den ich liebe“). In der Realität ist dies der Maler und frühere Psychologie-Professor Johannes Helm, mit dem Schubert in einem kleinen Dorf nahe Schwerin lebt.

„Es geht in diesem Buch um Liebe und Tod“, umreißt sie das Thema des Textes, und die Union dieser beiden Nomen erinnert nicht zufällig an die Briefe des Paulus, der die Liebe über den Tod siegen sieht. Helga Schubert macht auch keinen Hehl daraus, dass sie Kraft und Zuversicht aus ihrem Glauben bezieht, „das ist etwas, das mich trägt“. Doch gilt ja ihr Gesetz: „Auf keinen Fall missionieren!“ Außerdem brauche man oft im Leben „Einverständnis mit dem Absurden“.

Die erste Lesepartie handelt vom Requiem der Freundin Magdalena, die einen schweren Autounfall überlebte, aber dann dem Krebs erlag. Eine Episode mit Verweischarakter, auch Magdalena pflegte ihren Mann. In der zweiten Partie, von der Autorin wegen der Länge von fast 30 Seiten nur mit Zögern und auf ausdrückliches Insistieren der Moderatorin vorgetragen, geht es um die von der Ich-Erzählerin imaginierte eigene Beerdigung: „Ja, es kommt in diesem Buch sehr oft der Tod vor, aber immer auch der Trost!“, kommentiert Schubert. Auch sonst gewährt sie Einblicke in ihre Werkstatt: „Ich schreibe alles auf den letzten Satz hin, der steht fest, das andere wird darauf aufgebaut.“

Schlösse man beim Zuhören die Augen, würde man kaum glauben, dass hier eine Seniorin spricht: Wie bei ihrer ersten Ingolstädter Lesung im Juni 2021 in der Harderbastei liest sie zügig und kraftvoll gewandt; nur der Inhalt ihrer Reflexionen und Erinnerungen zeugt von der Weisheit, Würde und Wärme, von der Lebenserfahrung und Altersklugheit einer Autorin, die aber auch im Gespräch fast noch jugendlich auftritt.

Die Erlebnisse eines Lebens vergleicht Helga Schubert mit Äpfeln: „Es sind furchtbar viele davon da. Entweder machen die Menschen etwas daraus, oder sie lassen sie liegen.“ Sie selbst ziehe es vor, erst Apfelmus, später Wein, vielleicht auch Obstler daraus zuzubereiten. Mit Ruhm geht sie nüchtern um: „Ich bin zu alt dazu, davon besoffen zu werden.“ Als sie den Bachmann-Preis erhielt, „war ich eben kurz mal ein Rennpferd“. Mit Witz und irre komisch erzählt sie bei dieser Gelegenheit davon, wie das Kamerateam genervt bei der Dichterin im Dorf aufkreuzte, um für die Jury den Vorlesebeitrag zu filmen, voller Vorurteile, eine tatterige Greisin anzutreffen: „Die fragten mich, ob ich eine E-Mail öffnen könne…“

DK


Helga Schubert: Der heutige Tag, dtv, 272 Seiten, 24 Euro.