Das Leuchtturmprojekt
International renommierte Künstler haben vier Hausfassaden in Ingolstadt gestaltet – weitere sollen folgen

09.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:47 Uhr

Vier weithin sichtbare Murals sind in den vergangenen Wochen im Rahmen des Landmark Projects in Ingolstadt entstanden. Hier „Escape from old ideas“ von Akut an der Münchener Straße. Foto: Hauser

Mit dem vierten Bild ist das Landmarks Project 2022 zu Ende gegangen. Rafael Gerlach, der an der Aktion nicht nur als Künstler sondern auch als Kurator beteiligt ist, thematisiert in seiner Arbeit am Europan-Gebäude an der Richard-Wagner-Straße in Ingolstadt auch das Projekt an sich.



Die haushohen Kunstwerke, so genannte Murals, der international renommierten Urban-Artists sollen nicht die letzten gewesen sein. Die Initiatoren und Unterstützer des Projekts – neben Gerlach der künstlerische Leiter, Daniel Lange, der Stadtjugendring sowie die Sparkasse und das Kulturreferat – hoffen auf eine Fortsetzung im nächsten Jahr. Erklärtes Ziel ist es, das Stadtbild zu prägen und Ingolstadt so zu einer begehbaren Kunst-Galerie zu machen. Vielleicht lässt sich ein Rundgang etablieren. Das könnte zu einer Vernetzung der einzelnen Quartiere führen, überlegen die Initiatoren des Projekts. Dazu kommt eine positive Außenwirkung für die Stadt. In der internationalen Szene und in überregionalen Medien hat das Projekt bereits Beachtung gefunden.

Neben dem kreativ-künstlerischen Ansatz gibt es auch einen sozialen Aspekt. Der ist vor allem der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft wichtig, die die Wandflächen zur Verfügung gestellt hat. „Wir wollen eine Plattform für diese Form der Fassadengestaltung bieten, damit solche Kunstwerke geschaffen werden können. Gegenüber unseren Mieterinnen und Mietern wollen wir unsere Wertschätzung ausdrücken und eine positive Identifikation mit dem Wohngebiet erreichen“, erklärt Geschäftsführer Alexander Bendzko. Die ganz überwiegend positiven Reaktionen aus der Nachbarschaft auf die Bilder zeigen, dass dies offenbar gelingt. Für Bendzko haben die Bilder noch einen weiteren Nebeneffekt. „Wir haben den Eindruck, dass die Fassadengestaltung der in der Szene sehr bekannten Künstler ungewollte Graffitis in der Umgebung verhindert. Vielleicht aus Respekt vor der Arbeit der ,Kollegen’“.

Die GWG ist in Ingolstadt schon länger für die Unterstützung der Kunstszene bekannt. „Wir stellen mit unseren Hauswänden ja quasi die Leinwände für die Kunstwerke zur Verfügung. Bei einigen Fassaden bestand ohnehin Renovierungsbedarf, warum dann nicht gleich etwas Besonderes?“

Das Landmarks Projekt soll weitergehen. Die Organisatoren hoffen darauf, dass ihnen weitere Wände für Kunstwerke zur Verfügung gestellt werden. Die GWG jedenfalls scheint zu einer weiteren Kooperation bereit. „Wir freuen uns auf mehr“, betont Geschäftsführer Alexander Bendzko.

„Vor allem geht es mir um einen eigenständigen Stil“



Herr Gerlach, Sie sind beim Landmarks Project in einer Doppelfunktion aktiv: als Kurator, aber auch selbst als Künstler. Zunächst die Frage an den Kurator: Wie ist es gelaufen? Wie zufrieden sind Sie?

Rafael Gerlach: Da ich die Künstler beziehungsweise ihre Arbeiten bereits kannte, war für mich schon abzusehen, dass die erwartet hohe Qualität auch erreicht wird. Trotzdem: Ich bin mehr als zufrieden.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler ausgewählt?

Gerlach: Grundsätzlich geht es mir nicht um das Alter oder das Geschlecht, sondern vielmehr um eine Kontinuität, wie sich der Künstler in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Ich bin da ein sehr kritischer und scharfer Beobachter. Vor allem geht es mir um einen eigenständigen Stil. Bei Akut ist es mehr die Historie, da er – mit Crew-Kollegen – einer der ersten war, der den Fotorealismus in der Szene salonfähig gemacht hat. Sebas Velasco hat eine ganz eigene Bildsprache. Klassische „Portraitmaler“ gibt es in der Szene mittlerweile wie Sand am Meer, aber nur eine Hand voll, die ihren eigenen Duktus entwickelt haben.

Fehlt noch Shane.

Gerlach: Bei ihm ist es ähnlich. Auch er hat eine eigene Bild- und Formsprache gefunden. Auf solche Leute bin ich natürlich scharf.

Ihr eigenes Bild ist an der Richard-Wagner-Straße. Es unterscheidet sich von den anderen durch seinen hohen Grad an Abstraktion...

Gerlach: Neben der Individualität des Künstlers geht es bei abstrakten Arbeiten auch um die individuelle Wahrnehmung des Betrachters. Eine abstrakte Arbeit kann man – wenn man keine Anleitung bekommt – schließlich ganz für sich deuten.

Jetzt eine Frage an den Künstler Rafael Gerlach. Wollen Sie eine Anleitung zu ihrem Bild geben?

Gerlach: Ich wollte den Begriff „Landmark“ visualisieren. Grundsätzlich ist meine Herangehensweise, dass mir die Wand diktiert, was zu tun ist. In dem Fall bin ich weniger auf die Umgebung eingegangen, sondern auf diesen Titel, den ich mit meinem Freund und Kollegen Daniel Lange für unser Projekt kreiert habe. Die formale Inspiration der Wand ist, dass sie mich an ein großes Segel erinnert. Sie steht sehr frei mit zwei Säulen, die Masten sein könnten. Eine weitere Inspiration war ein historisches Bild: Das „Floß der Medusa“ von Théodore Géricault. Ein riesengroßer Ölschinken. Ein klassisches Gemälde, auf dem man Überlebende eines Untergangs auf einem Floß treibend sieht. Im Hintergrund ist ganz, ganz klein ein Schiff zu erkennen. Das habe ich abstrahiert, übersetzt. Die Stimmung von Géricault habe ich aufgenommen, diese stürmische Seelandschaft. Sie wird noch durch topographische Elemente durchbrochen, die etwa Landzungen andeuten, an denen ich Punkte setze, die ein bisschen sinnbildlich für die verschiedenen Wände des Landmarks Projects stehen. Der Begriff Landmarke kommt ja aus der Schifffahrt und meint einen weithin sichtbaren Orientierungspunkt. Einen Leuchtturm zum Beispiel. Die Idee unseres Projektes ist auch, Wegweiser in die Stadt zu setzen.

Noch ist Ingolstadt in der internationalen Szene ein weißer Fleck, auch wenn hier – etwa mit der Schmierage – in den vergangenen Jahren schon einiges passiert ist. Kann sich das ändern? Sie sind gut vernetzt. Wie ist Landmarks in der Szene angekommen? Auf Instagram gehen die Followerzahlen steil nach oben, es gibt Grüße fast aus der ganzen Welt.

Gerlach: Vorweg muss ich sagen: Wenn ein Künstler eine Anfrage bekommt, hat das immer auch mit Vertrauen zu tun. Durch meinen langjährigen Kontakt und die Vernetzung habe ich eine solche Vertrauensbasis geschafft. Dadurch bekomme ich leichteren Zugang zu den einzelnen Künstlern. Ich sehe Ingolstadt schon auch noch als einen weißen Fleck, weil es, anders wie vielleicht in anderen Metropolen, noch nicht so durchdrungen ist von den für mich inflationären Begrifflichkeiten wie Urban- und Streetart. Die Auswirkung ist wohl wirklich erst in zwei, drei Jahren zu sehen. Das erste Projekt, zu dem wir bereits sehr gute Künstler eingeladen haben, ist wie eine Visitenkarte. So bekommen andere Künstler mit, was wir vorhaben und dass hier alles gut geklappt hat. Dadurch öffnen sich natürlich immer mehr Türen.

Wie wünschen Sie sich, dass das Projekt weitergeht?

Gerlach: Dass zum einen die Quantität der Bilder steigt, aber auch, dass man durch diese erste „Visitenkarte“ auch an andere Künstler herankommt. Wir wollen den Qualitätsanspruch auf jeden Fall halten, wenn nicht sogar steigern. Auch innerhalb von Ingolstadt soll die Reichweite wachsen, so dass im besten Fall Hauseigentümer an uns herantreten und Flächen zur Verfügung stellen.

Das heißt, es wird weitere Bilder in Ingolstadt geben?

Gerlach: Das wäre auf jeden Fall wünschenswert.

DK

Das Gespräch führte Johannes Hauser