stadtgeflüster
Graffiti mit Geist und Geschichte

12.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:58 Uhr
"Was dieser heute baut...": Graffito auf der entstehenden Glacisbrücke 1996. −Foto: unbekannt

Treue Leser dieser kleinen Rubrik wissen, dass wir uns gern die Historie angelegen sein lassen.

 

Beseelt vom Geist der Geschichte spüren wir in einem üppigen Hort voller Archivalien unerhörten Begebenheiten aus Alt-Ingolstadt nach. Ja, es gibt Kollegen, die heben sich echt alles auf. Gut: fast alles. Man könnte es ja nochmal brauchen.

In dem hohen Stapel finden wir etwa den Wettbewerbsentwurf des Büros dfz Architekten für das Museum für Konkrete Kunst. Die Hamburger wollten die Gießereihalle überbauen, "damit das Museum eine zentrale Rolle in dem städtebaulichen Umfeld einnimmt und ein kraftvolles Signal im Straßenraum setzt", wie die Architekten vorschwärmten. Aber die Stadtratsmehrheit lehnte den Hamburger Entwurf ab und stimmte für den Tiefbunker des Wiener Büros Querkraft, weil es dafür mehr Fördergeld gab; das käme dann billiger, hieß es. Eine recht historische Fehleinschätzung.

Bei einem so ausgeprägten Geschichtsbewusstsein war die Freude natürlich groß, als vor Kurzem ein Ingolstädter, der leider namenlos blieb, beim DK zwei Fotoalben abgab. Ein Geschenk für unser Archiv, ließ er ausrichten. Vielen Dank für die tollen Fotos! Sie zeigen die Entstehung des Geländes der Landesgartenschau 1992 (dem heutigen Klenzepark) und den Bau der Glacisbrücke 1996 bis 1998.

Auf einem entdeckten wir ein Graffito (eine illegale Sprühschrift im Singular): "Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein", stand auf der Brücke. Eine Hommage an das berühmte Gedicht "Es ist alles eitel" (das bedeutete einst nichtig) des Barocklyrikers Andreas Gryphius (1616 bis 1664). Schanzer Sprayer sind eben immer ein Ideechen gebildeter. Der Text passt allerdings eher mittel zum heutigen Bauboom-Ingolstadt:

Du siehst, wohin du siehst, nur eitelkeit auf erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo ietzundt städte stehn, wird eine Wiese seyn
.

Aber vielleicht sah Gryphius am Ende schon die dramatische Umwälzung wegen E-Mobilität und Digitalisierung im Ingolstadt der nahen Zukunft voraus:

Was itzundt prächtig blüth, sol bald zutreten werden;
Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen asch und bein;
Nichts ist, das ewig sey, kein ertz, kein marmorstein.
Jetzt lacht das glück uns an, bald donnern die beschwerden.

Ach und weh! Na das sind ja schöne Aussichten.

sic