stadtgeflüster
Ende der Zeitverwirrung

22.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:49 Uhr

(kue) Kaum sind Gemüse und Geranien gegossen und der Hobbygärntner blickt ermattet und stolz zugleich vom Liegestuhl aus auf sein kleines Paradies, da geht auch schon die Sonne unter.

Ja, obwohl es heuer Ende August noch heißer ist, als zur Sommersonnenwende im Juni - die Tage werden halt bereits spürbar kürzer. Wäre da nicht die Sommerzeit, so mancher Feierabendschwimmer könnte seine Runde im Schwimmbad oder den Sprung in den Baggersee gar unter der Rubrik Nachtschwimmen verbuchen, und der Biergartenbesucher müsste schon auf dem Hinweg zur Bieroase die Fahrradbeleuchtung anknipsen. Dennoch, bei allen Vorzügen, die die Sommerzeit der Freizeitgesellschaft bietet, möchte man bereits jetzt mit Wilhelm Busch ausrufen: Wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!
Auch wenn der 28. Oktober noch weit zu sein scheint. Unerbittlich naht der Tag, an dem sich wieder alle Welt fragt, wird die Uhr nun vor- oder zurückgestellt, darf ich länger schlafen, oder muss ich früher aufstehen, wird's jetzt morgens früher hell oder abends eher dunkel oder doch umgekehrt? Dieser Zeitverwirrung wird die EU möglicherweise bald ein Ende setzen.

Justament jetzt, wo wir dank der Zeitverschiebung, abends noch gerne das ein oder andere Mußestündchen mehr auf Balkon oder Terrasse genießen, hat die EU ihre 500 Millionen Untertanen über die Sommerzeit abstimmen lassen. Die gern ob ihrer Realitätsferne gescholtenen EU-Bürokraten - die längst ausgesetzte Gurkenkrümmungverordnung lässt grüßen - scheinen jedenfalls diesmal den Nerv der Menschen getroffen zu haben. Denn 4,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger und damit zehn Mal so viele wie erwartet, haben vom 4. Juli bis 16. August an der "Konsultation", wie die Online-Umfrage offiziell heißt, teilgenommen und mit ihrem unerwarteten Mitbestimmungswillen sogar die Internetseite zeitweise lahmgelegt.

Aber keine Angst! Auch künftig muss wohl niemand Gurken und Tomaten im Schein der Taschenlampe gießen und im Mondenschein an den See oder zum Biergarten radeln. Denn nicht die Sommerzeit an sich wurde zur Abstimmung gestellt, sondern die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung und damit der Zeitverwirrung.

Letztere hat den Menschen schon im 16. Jahrhundert Angst gemacht, wie der Einblattdruck "die Ingolstädter Zeitverwirrung" aus dem Jahr 1554 beweist. Schuld daran war aber nicht etwa die erste Einführung der Sommerzeit, sondern ein so genanntes Halophänomen, das den Eindruck erweckte, als würden "zu Ingelstatt" mehrere Sonnen gleichzeitig am Himmel stehen.