„15-Minuten-Städte“
Mit der Seilbahn zum Einkaufen? THI-Studenten entwickeln Mobilitätskonzepte

26.03.2022 | Stand 26.03.2022, 20:48 Uhr

Studierende der TH Ingolstadt entwickelten für die beiden Südtiroler Städte Bruneck und Brixen Verkehrskonzepte, die sie der Landesregierung präsentierten. Mit dabei Landesrat Daniel Alfreider (6.v.r.) und THI-Professor Harry Wagner (6.v.l.). Foto: THI

Ingolstadt – Mit der Seilbahn zum Einkaufen und anschließend in die Arbeit? Klingt ein wenig nach Science-Fiction, ist aber gar nicht mal so realitätsfern. Eine Gruppe von Studenten an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) hat Vorschläge erarbeitet, wie die beiden Südtiroler Städte Bruneck und Brixen zu 15-Minuten-Städten werden können. Die zehn Teilnehmer aus dem Masterstudiengang „Automotive & Mobility Management“ stellten ihr Konzept schließlich der dortigen Landesregierung vor. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Harry Wagner, Mobilitätsexperte und Leiter des Seminars, was es mit dem Projekt auf sich hat.

Herr Wagner, das Konzept der „15-Minuten-Stadt“ sieht vor, dass die Einwohner alle Einrichtungen des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten erreichen. Illusion oder realistisches Zukunftsbild?
Harry Wagner: Das kommt natürlich auf die Stadt an. Eine 15-Minuten-Stadt in São Paulo ist wahrscheinlich schwieriger zu realisieren als in Brixen oder Bruneck. Ich glaube, es geht auch gar nicht darum, von jedem Punkt A zu jedem Punkt B zu kommen, sondern die Bedürfnisse des täglichen Bedarfs innerhalb dieser Zeit zu erreichen. Ich muss zum Arzt kommen, ich muss in die Arbeit kommen, ich muss zur nächsten ÖPNV-Anbindung kommen, ich muss zum Einkaufen kommen. In Tokyo gibt es ja auch innerhalb einer großen Stadt immer wieder kleinere Stadtkerne. Insofern würde ich es als eine visionäre, realitätsnahe Zielstellung sehen.

Ein Teil des Konzepts ist, dass die Menschen auf ihr Auto verzichten sollen. Ist eine autofreie Stadt überhaupt möglich?
Wagner: Auch hier hängt es davon ab, in welcher Stadt man sich befindet und vor allem, welche alternativen Angebote existieren. In Berlin komme ich beispielsweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln viel leichter von Ort A nach Ort B als mit dem Auto. Die autofreie Stadt ist auf jeden Fall möglich. Im Detail hängt es natürlich immer vom individuellen Bedürfnis ab. Besorgungen im Möbelhaus werden weiterhin mit dem Individualverkehr komfortabler sein. Aber für Alltagsbedürfnisse ist es ein durchaus denkbares Szenario.

Welches Potenzial sehen Sie für die Stadt Ingolstadt?
Wagner: In Ingolstadt halte ich es für möglich, dass zumindest der Stadtkern und der engere Umkreis des Stadtkerns autofrei werden. Aber: Es braucht wie gesagt Alternativen und diese Alternativen müssen von den Menschen auch als ebenso komfortabel und zuverlässig wahrgenommen werden. Das ist der springende Punkt. Mehr Vernetzung der einzelnen Verkehrsmittel wäre ein erster Schritt: Ich muss in der Lage sein, mein Fahrrad auch mit in den Bus zu nehmen; ich brauche andere Bustaktungen; ich brauche auch andere Buslinien. Also möglich ja, es braucht aber eine Weiterentwicklung der übriggebliebenen Verkehrsmodi.

Unter Ihrer Leitung haben THI-Studenten nun Vorschläge erarbeitet, wie Bruneck und Brixen in Südtirol zu 15-Minuten-Städten werden können. Welche konkreten Maßnahmen sind dabei herausgekommen?
Wagner: Ganz unterschiedliche. Teilweise sehr einfache und wirkungsvolle Maßnahmen wie zum Beispiel eine Erweiterung der Fahrradinfrastruktur – was auch kostentechnisch relativ einfach umsetzbar ist. Teilweise auch Maßnahmen, die mehr kosten und länger dauern, aber dafür einen entsprechenden Hebel haben, wie beispielsweise die Verbindung von Punkten durch Seilbahnen und die Integration von Seilbahnen in den öffentlichen Personennahverkehr.

Wie groß sehen Sie die Chancen, dass die Vorschläge auch wirklich umgesetzt werden?
Wagner: Das ist schwer zu beurteilen. Wir haben ja im Auftrag des Landesrates gearbeitet; der Auftrag kam nicht direkt aus den Städten heraus. Ich denke, dass vieles durchaus umsetzbar wäre. Was genau umgesetzt wird, hängt sehr stark von den lokal Verantwortlichen ab, wir sind da nicht weiter involviert. In erster Linie war es ein Studentenprojekt, bei dem die Vermittlung von Inhalten an die Studierenden im Vordergrund stand.

Wie ist die Projektgruppe bei der Bearbeitung der Aufgabe vorgegangen?
Wagner: Das Ganze startete mit einem Kick-off im Regierungsgebäude der Landesregierung Südtirols, bei dem wir uns vorgestellt haben und die Projektzielsetzung präsentiert wurde. Dann haben sich die Studierenden auf die beiden Städte verteilt: Die eine Gruppe ist nach Brixen gereist, die andere nach Bruneck. Da waren sie zwei Tage lang. Im Vorfeld mussten die Studierenden recherchieren: Wo sind die Problempunkte in den einzelnen Städten? Wie ist die Taktung im ÖPNV? Dann haben sie die Städte selbst mobil erlebt. Der eine ist die Strecke von A nach B mit dem Fahrrad gefahren, der andere mit Bus, der dritte wiederum mit dem Auto. Dabei haben sie die Zeiten gemessen. Das, was sie vorher theoretisch recherchiert haben, haben sie in der Praxis verifiziert oder falsifiziert. Neben dem Erleben haben sie auch die Leute vor Ort befragt. Dann haben sie im Nachgang weitere Fachinterviews geführt. Auf Basis dieser Erkenntnisse haben sie dann ihr Konzept entwickelt. Ziel wäre gewesen, das Konzept wieder vor Ort in Südtirol vorzustellen. Das hat leider nicht persönlich geklappt und wurde aufgrund der Corona-Situation digital gemacht. Schade eigentlich – es war geplant, mit den Studenten noch einen Skitag dranzuhängen.

DK

Das Gespräch führte Julian Meier.