Starkes Team in Ingolstadt
Dank Betreuer Max: Geistig beeinträchtigter Marlon verwirklicht seinen Fußballtraum

06.07.2023 | Stand 14.09.2023, 21:52 Uhr
Sabine Kaczynski

Freunde und ein starkes Team: Mit Betreuer Max an seiner Seite kann Marlon endlich Fußball spielen. Foto: Kaczynski

Die E-Jugend der DJK Ingolstadt trainiert unter Coach Marc Boehnke auf dem Fußballplatz des Vereins, gerade wird ein kleines Match mit zwei Teams ausgetragen. Einer der Buben ist der zehnjährige Marlon – und dass er zur Mannschaft gehört, ist nicht ganz selbstverständlich.



Marlon hat eine geistige Einschränkung, ist entwicklungsverzögert. Aber er ist auch ein begeisterter Fußballer, der natürlich mit anderen Kindern auf dem Feld stehen und spielen will. Also lässt man ihn in Zeiten von Inklusion, Diversität und Co einfach mitmachen – oder?

Heimatverein hielt Inklusion für nicht umsetzbar



Ganz so simpel ist das leider noch immer nicht, wie Marlon leidvoll erfahren musste. Sein Heimatverein, bei dem er eigentlich kicken wollte, befand es für nicht umsetzbar, den Zehnjährigen in die Mannschaft zu integrieren. Eine Riesen-Enttäuschung für Fußballfan Marlon und seine Mutter Sonja Manfredi, die ihrem Sohn sein Hobby so gern ermöglichen wollte. Also wandte sie sich an die Offenen Hilfen des Caritas-Zentrums St. Vinzenz und fand in der Leiterin Conny Eichlinger eine engagierte Mitstreiterin. Der Plan, Marlon einen Betreuer an die Seite zu stellen, der ihn persönlich während des Trainings unterstützt, bei Verständnisproblemen Erklärungshilfen gibt und bei schwierigen Situationen deeskalierend einschreitet, scheiterte zunächst daran, dass sich im örtlichen Umfeld des Heimatvereins niemand für diese Aufgabe bereiterklärte.

Seit einem halben Jahr in der E-Jugend-Mannschaft

Eichlinger suchte weiter und stieß bei der DJK Ingolstadt in Person von Fußballabteilungsleiter Michael Stadik, der beim FC Ingolstadt zum Trainerteam der Blindenfußballer gehört, auf offene Ohren. Zudem stellte sich ihr 17-jähriger Sohn Max, der beim Inklusionscamp der Schanzer erste Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt hatte, als Betreuer für Marlon zur Verfügung. Und so konnte das Projekt starten. Inzwischen ist Marlon seit gut einem halben Jahr Mitglied der E-Jugend-Mannschaft und trainiert regelmäßig mit den anderen Spielern. Unterstützt von Max: „Ich bin so etwas wie sein persönlicher Trainer, erkläre, was er nicht verstanden hat, und helfe bei einigen Dingen. Schon in der kurzen Zeit hat Marlon riesige Fortschritte gemacht und sich echt verbessert. Das zu sehen, macht richtig Spaß“, beschreibt der 17-Jährige. „Und wir kommen prima miteinander klar.“

Längst ist Marlon auch im Team integriert, Ablehnung oder Ausgrenzung musste er bei seinem neuen Verein nicht miterleben. „Er liebt es, ins Training zu gehen und fiebert jedes Mal auf den Dienstag hin“, erzählt seine Mama Sonja, für die es eine riesige Erleichterung ist, ihren Sohn so glücklich zu sehen: „Heute kann ich zum Fußballspielen – und mein Freund Max und meine anderen Freunde sind auch da“, freut sich der Junge jedes Mal.

„Es gab keinerlei Integrationsprobleme“

Und wie sieht Trainer Marc Boehnke den Inklusionsversuch? „Grundsätzlich ist der Verein sehr leistungsorientiert. Wir wollen die Kinder bestmöglich fördern und fordern. Eigentlich spricht diese Ausrichtung gegen die Aufnahme beeinträchtigter Kinder – und bei einem Probetraining hat sich auch gezeigt, dass es ohne eine Assistenz für Marlon nicht funktioniert“, gibt der Coach zu. „Aber mit der individuellen Betreuung von Max ist das super gelöst. Es gab keinerlei Integrationsprobleme – alle Jungs haben Marlon so genommen, wie er ist. Er bringt eine tolle Energie ins Team“, beschreibt Boehnke, dessen Ziel es ist, den Zehnjährigen auch bei Punktspielen einzusetzen. „Denn er ist ein vollwertiger Bestandteil der Mannschaft, der halt zusätzlich von Max sozial gecoacht wird“, sagt der Coach und beschreibt, wie stolz Marlon war, als er nach einem Spiel beim obligatorischen Elfmeter-Schießen dabei war und von seinen Teamkollegen angefeuert wurde. Eine besondere Schulung oder Voraussetzung brauche es für Vereine oder Mannschaften nicht, um ein beeinträchtigtes Kind aufzunehmen, ist der Trainer überzeugt: „Ich arbeite selbst zum ersten Mal mit einem Jungen mit geistiger Einschränkung – und es macht riesig Spaß“, sagt er und ergänzt schmunzelnd: „Marlon ist nicht die einzige Herausforderung in dieser Mannschaft!“

Auch Max sieht das ähnlich: „Ein bis zwei Kids mit Beeinträchtigung zu integrieren, schafft jeder Verein – oder sollte es auf jeden Fall versuchen. Denn es gibt auch gesunde Kinder, die sehr anstrengend sein können“, findet der 17-Jährige und sieht noch ein weiteres Plus in der Inklusion: „Es ist auch für die anderen Kids eine große Bereicherung, sich auf einen Mitspieler mit Beeinträchtigung einzulassen.“

Inklusive Sportangebote

Bei einigen Ingolstädter Vereinen gibt es bereits inklusive Sportmöglichkeiten, wie Sportamtsleiter Martin Diepold bestätigt. So können etwa Eiskunstläufer mit geistiger Behinderung beim ERC Ingolstadt trainieren, beim FC Ingolstadt kickt das Inklusionsteam „Elf Freunde“, zudem gibt es dort eine Blindenfußball-Mannschaft. Bei den „Westpark-Wheelys“ spielen Sportler mit und ohne Behinderung gemeinsam Basketball, der MTV Ingolstadt bot vor einiger Zeit Tischtennis für Menschen mit geistiger Einschränkung an. In naher Zukunft ist ein inklusives Training beim SC Delphin sowie beim Golf-Club Ingolstadt für Sportler mit geistiger Behinderung geplant.

„Generell glaube ich, dass viele Vereine bereit wären, ein ähnliches Angebot zu unterbreiten, wenn entsprechender Bedarf da ist“, ist sich Diepold sicher und wünscht sich eine etwa durch einen „Bufdi“ besetzte Stelle – angesiedelt bei der Caritas –, die das Angebot der Vereine und die Nachfrage auf Seiten der Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung koordiniert und Kontakte herstellt.