Wer am Samstag pünktlich zum Start der Demo auf den Paradeplatz in Ingolstadt kommen wollte, hatte Pech. Schon eine Viertelstunde vor dem Beginn der Kundgebung ging nichts mehr. Die Menschen drängten sich bereits in der Ludwigstraße, der Reiterkasernstraße und der Ballhausgasse. An ein Durchkommen auf den Paradeplatz war nicht zu denken.
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„Ich kann mich an keine Demonstration in dieser Größenordnung in Ingolstadt erinnern“, befand Christian Hummel, der Leiter des Polizeieinsatzes rund um die Kundgebung.
Teilnehmerzahlen mehrfach nach oben korrigiert
Die Teilnehmerzahlen wurden mehrfach nach oben korrigiert. 2000 verkündete Eva Bulling-Schröter vom Bündnis Ingolstadt ist bunt, das zu der Demo gegen Rechts und für Vielfalt und Toleranz aufgerufen hatte, zunächst. Später 5000. „Das wird nicht reichen“, befand Hummel. Die Polizei habe vom Balkon des Gewerkschaftshauses aus gezählt und ist auf über 6000 Demonstranten gekommen.
„Ich bin überwältigt, heute hier so viele auf dem Paradeplatz zu sehen“, sagte Oberbürgermeister Christian Scharpf mit Blick über die Massen bei seiner Begrüßung. „Als Oberbürgermeister bin ich stolz, dass auch Ingolstadt ein deutliches Zeichen setzt für Toleranz und gegen Ausgrenzung. Hier leben mehr als 140000 Menschen aus rund 140 Nationen. Sie alle gehören zu Ingolstadt. Sie bereichern unsere Stadt“, rief er unter tosendem Applaus.
Breites Bündnis gegen ein Erstarken der AfD
Mehr als 50 Organisationen, Verbände und Vereine hatten zu der Demonstration aufgerufen. Redebeiträge kamen von Vertreterinnen und Vertretern des DGB, dem Trans Treff, den Jusos, von Solid, der Grünen Jugend, dem Offenen Antifaschistischen Forum und dem Offenen Feministischen Treffen sowie den Julis. Alle einte – trotz der teils weit auseinanderliegenden politischen Ausrichtung – die Überzeugung, dass es an der Zeit sei, rechtsextremen Gesinnungen und einem Erstarken der AfD entschieden entgegenzutreten. Manche erinnerten daran, dass der 27. Januar der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ist.
Unter den Zuhörerinnen und Zuhörern fühlen sich viele in der aktuellen Situation in Deutschland an die zunehmende Verbreitung des Nationalsozialismus vor gut 80 Jahren erinnert. „Damals hat es genauso angefangen“, befand etwa die 18-jährige Leonie. „Das darf nicht wieder passieren.“
So sieht es auch Bastian (20). „Es ist wichtig, dass die Masse gegen Ausländerfeindlichkeit auf die Straße geht. Die Ansichten der AfD sind falsch, das rechte Gedankengut gefährlich.“ Moritz (21) ergänzte: „Dank der Demokratie haben wir ein tolles Land und das gilt es zu bewahren. Der Protest ist ein Zeichen, dass viele gegen die AfD sind.“ Das findet auch Kurt. „Wenn wir jetzt bei diesem Thema nicht demonstrieren, wann dann? Es brennt und das hier ist ein starkes Zeichen gegen rechts“, so der 50-Jährige.
„Man könnte derzeit schon Angst bekommen“
Vor allem nach den Enthüllungen um den „Masterplan zur Remigration“, den Rechtsextreme offenbar schmieden, fürchten viele, das Grundsätzliches ins Wanken geraten könnte. „Ich finde es total peinlich, dass wir heute hier sein müssen, um zu demonstrieren. Mein Opa ist damals aus der Türkei nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten. Ich gehe hier zur Schule“, sagte die 18-jährige Secem, die mit der 19-jährigen Nisa zur Demo gekommen war. „Ich bin in Deutschland geboren und hier aufgewachsen. Es kann nicht sein, dass ich wegen meines Migrationshintergrund verurteilt werde. Wir sollten aus der Geschichte lernen“, findet die junge Frau.
Man könnte derzeit schon Angst bekommen“
Lilly (5) und Annika (9) waren mit ihren Eltern und ihrer Oma Lydia Betzenbichler gekommen. „Ich arbeite bei der Lebenshilfe“, sagte die 62-Jährige. „Man könnte derzeit schon Angst bekommen“, befand sie mit Blick auf die Naziverbrechen, denen ganz gezielt auch Menschen mit Behinderung zum Opfer gefallen sind. „Man kann jetzt nicht mehr wegschauen.“ Für ihre Enkelinnen war es die erste Demo ihres Lebens, erzählte Annika. Auf einem der Plakate, die sie mit Lilly gemalt hat, werden Nazis auf den Mond geschossen. „Ich finde es cool, dass so viele Leute gekommen sind“, erklärte die Neunjährige. Wenn es sein muss, würde sie auch sofort wieder zum Demonstrieren gehen.
Es könnte sein, dass Lilly, Annika und all die anderen tatsächlich noch einmal auf die Straße gehen. Eva Bulling-Schröter erklärte, dass sich weitere Gruppen solidarisiert hätten. Vielle wollten noch das Wort ergreifen. Auch die Landwirte. „Die hätten gerne mit ihren Traktoren mitdemonstriert“, sagte sie. „Aber das ging aus Sicherheitsgründen nicht.“ Vielleicht das nächste Mal. „Denn es ist ja erst der Anfang“, rief sie zum Abschluss. Und noch einmal brandete Applaus auf, der weit über den Paradeplatz hinaus zu hören war.
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