Auflösung oder Fortsetzung alter Strukturen?

27.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:31 Uhr

Zu "Ingolstädter Klimawandel" (DK vom 8. November), worin es um das Klima in der Stadtverwaltung geht:

Der Personalratsvorsitzenden Sylvia Schwarz ist für ihren Mut, ein heikles Thema auf der Personalversammlung der Stadt angesprochen zu haben, allergrößtes Lob auszusprechen. Als ehemaliger Mitarbeiter der Stadtverwaltung unter OB Peter Schnell kann ich sehr gut nachfühlen, wie es jetzt den Mitarbeiter/innen gehen muss. Aber in dieser Zeit durfte ich noch selbst erleben, dass die Bestenauslese bei Personaleinstellungen, fachliche Qualifikation, Einnehmen von auch widersprüchlichen Standpunkten dem Amtsleiter oder dem Stadtbaurat gegenüber geradezu gefordert waren, um im folgenden Diskurs von These und Antithese jeweils die bestmöglichste Lösung für Ingolstadt zu finden und vor dem Stadtbaurat und dem Oberbürgermeister vertreten zu können.

Letztlich hat die Politik, sprich die Legislative als Stadtrat, von dieser "Betriebsphilosophie" immer davon profitiert. In der Verwaltung entstand dadurch ein immerwährender Wettstreit von guten Ideen und Konzepten, wie diese Stadt zu entwickeln sei. In diesem Klima von bester Qualifikation und Wertschätzung arbeitete die Verwaltung mit höchster Effizienz und Zuverlässigkeit. Der Stadtrat seinerzeit war streitbar im positiven Sinne, es wurden die zuvor in der Verwaltung erarbeiteten und vorgeschlagenen Lösungen diskutiert und die für Ingolstadt besten Lösungen entschieden.

Mit der Wahl von Oberbürgermeister Alfred Lehmann hat sich diese Philosophie der Verwaltungsführung grundsätzlich verändert. Nun wurde alles digitalisiert und einer binären Denkungsweise (Ja - Nein) untergeordnet mit dem Ziel, die zuvor bestehenden Verantwortlichkeiten aufzulösen. Eigenverantwortlichkeiten und Objektivität nach dem zuvor beschriebenen Diskurs wurde einem devoten "Wie hätten Sie es denn gerne?" untergeordnet. Damit starb zugleich auch der sprichwörtliche "Ingolstädter Entwicklungs- und Teamgeist", eines starken, aber immer konstruktiven Miteinanders der Mitarbeiter. OB Lehmann hat nach dem Prinzip "Teile und Herrsche!" ("Sonnenkönig") gearbeitet, das heißt Aufsplitterung der Verantwortlichkeiten bis zur Unkenntlichkeit, keine klaren Ansprechpartner, Bildung von vielen Tochtergesellschaften (= jeder macht, was er will) mit der Folge, dass der Überblick und die so wichtige Kontinuität einer Stadt verloren gehen.

Eine Wegnahme der Verantwortung aus der Verwaltung und Verlagerung an den Kabinettstisch oder an den OB persönlich hat immer unabsehbare Folgewirkungen. Es kann auch ein Todesstoß für jede öffentliche und demokratische Verwaltung sein, wenn dieser Prozess des Ungleichgewichtes zulange anhält. Eine Verwaltung ist zweifellos der lebende Organismus einer Stadt, der städtisches Leben erst möglich macht. Die Verurteilung des OB Lehmann brachte nicht nur die gesamte Stadtpolitik in Verruf, sondern auch die Stadtverwaltung in arge Bedrängnis und Schieflage. Dem vorausgehend wurde ein Missbrauch der Stadtverwaltung eingeführt, in dem Erkenntnisse und erarbeitete Lösungen nicht einem der Allgemeinheit verpflichteten Sinn und Sachzweck zugeführt, sondern zu eigennützigen Zwecken des OB verwendet wurden.

Wie reagiert nun der amtierende OB Christian Lösel auf diese komplett verfahrene Situation? Als erster Bürger der Stadt, eben als OB, würden die Ingolstädter Bürger nach all dem Jammer und den Schaudern erwarten, dass er eine Katharsis einleitet. Aber er spricht von "Belastungen" der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen,um im nächsten Satz ausweichend überzuleiten: "Das alles beherrschende Thema ist das Wachstum der Stadt, wir haben nach wie vor einen wahnsinnigen Nachholbedarf in allen Bereich". Alles kein Problem, wir haben nur viel Arbeit? Schöne neue Welt oder Hybris?

Wo ist die Ursachenerforschung, Herr Lösel? Ihre gesamte Verwaltung steckt in der Krisis, nix geht mehr richtig voran, Sachentscheidungen, die in den Kompetenzbereich der Verwaltung fallen würden, und auf Amtsleiter - oder Stadtbauratsebene vertreten wurden, sind nach wie vor an den OB oder den Kabinettstisch ausgelagert. Auflösung oder Fortführung der Lehmann'schen Strukturen? Bedarf es nicht höchsten Mutes und einer klaren Haltung, ein solches Klima von Misstrauen und Fehlmanagement aufzulösen, um einen verantwortlichen Neuanfang zu wagen? Es bedarf eines Paradigmenwechsels: Verantwortung und das Vertrauen in die Sachkompetenz wieder dort verankern, wo sie hingehören, nämlich in die städtische Verwaltung. Nur mit einem derartigen "Klimawandel" dürfte es möglich sein, eine qualifiziert arbeitende, loyale Ingolstädter Stadtverwaltung zurückzugewinnen.

Aber: Nicht die Menge an Arbeitsbelastung ist das alleinige Problem, sondern die fehlende Wertschätzung, das verloren gegangene Vertrauen und die Akzeptanz für die vorhandene Sachkompetenz in der Verwaltung. Nachdem es nun offensichtlich zu sein scheint, dass in der Verwaltung Eigenmotivation verloren gegangen ist, sich die Mitarbeiter nicht mehr trauen, sich einzubringen, das Engagement auf Sparflamme gefahren wird, der Geist von Demotivation und Verzweiflung durch die Verwaltung weht, sind da nicht einige entscheidende Führungsvorgänge zu setzen, die den Namen eines Wandels auch verdienen? Was will OB Lösel als erster Bürger, der Stadt und ihrem Wohlergehen verpflichtet, tun für den "Klimawandel" in der Verwaltung und der Wiedergewinnung eines hohen Ansehens der Stadt Ingolstadt?

Dirk Handwerk,

Steinau an der Straße