Herr Dr. Steger, die Stiko empfiehlt eine vierte Corona-Impfung für bestimmte Personengruppen (siehe Text unten). Warum ist diese vierte Impfung für Sie notwendig?
Stephan Steger: Die aktuell grassierende Omikron-Variante ist deutlich ansteckender als alle bisher aufgetretenen Varianten von Sars-CoV-2. Ein effektiver Impfschutz kann zum einen in einem gewissen Prozentsatz vor der Infektion schützen, in einem deutlich größeren Umfang allerdings vor einem schweren Verlauf. Die Entscheidung des Robert-Koch-Instituts, für bestimmte Personengruppen eine vierte Impfung zu empfehlen, liegt auch genau darin begründet. Das Infektionsrisiko steigt mit der Virusexposition, also der Menge an Viruspartikeln, denen man ausgesetzt ist. Diese ist natürlicherweise bei Menschen, die aus beruflichen Gründen mit an Covid-19-Erkrankten zu tun haben, deutlich höher als in der übrigen Bevölkerung. Die bisher veröffentlichten Studien zur zweiten Boosterimpfung, die vornehmlich in Israel durchgeführt wurden, zeigen eindeutig, dass der Impfschutz durch eine einfache Boosterung in älteren Bevölkerungsgruppen rascher abnimmt als in jüngeren. Aus diesem Grund und auch, um vor einem schwereren Verlauf zu schützen, wird die zweite Booster-Impfung für Menschen ab 70 und andere mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf empfohlen.
Nun ist es aber mittlerweile doch so, dass die Zahl der Geboosterten auf Intensivstationen fast so hoch ist wie die Zahl der Ungeimpften. Laut RKI-Wochenbericht lag diese Zahl im Februar bei 31,9 Prozent, die der Ungeimpften bei 34,3. Man könnte daraus schließen, dass die Wirksamkeit der Impfung bei Omikron auch bei einem schweren Verlauf doch recht eingeschränkt ist, oder?
Steger: Das ist eine Diskussion, die wir seit längerem führen. Ein direkter Vergleich der beiden Zahlen führt in die Irre, weil die Gruppe der Geboosterten mit 60 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung viel größer ist als der Anteil der Nicht-Geimpften mit 24,5 Prozent. Die sehr große Zahl an Covid-19-Erkrankten, die es derzeit gibt, führt zwangsläufig dazu, dass auch mehr ins Krankenhaus kommen. Und die bringen ihre jeweiligen Schicksale mit. Es gibt Patienten, die liegen wegen ihrer Immunschwäche oder Grunderkrankung mit Corona auf der Intensivstation oder hatten zum Beispiel einen Verkehrsunfall und bringen die Corona-Infektion schon mit.
Was ist mit Menschen, die sich nach der Boosterimpfung infiziert haben? Sollen die auch nochmal geimpft werden?
Steger: Eine durchgemachte Erkrankung bietet im Anschluss einen sehr guten Immunschutz. Für Menschen, die sich nach einer Boosterimpfung infizieren, ist eine weitere Boosterung eine Einzelfallentscheidung, die nach einer individuellen Beratung getroffen werden sollte.
Für viele ist es die vierte Covid-Impfung innerhalb von gut einem Jahr. Wie verträglich ist das für den Körper? Steigt dadurch nicht das Risiko schwerer Nebenwirkungen wie Thrombosen oder Herzmuskelentzündungen?
Steger: Es gibt bisher keine Studien, die negative Auswirkungen von vier Impfungen innerhalb eines Jahres gezeigt hätten. Das Risiko, Thrombosen zu entwickeln, ist in signifikantem Umfang dem Impfstoff Vaxzevria von Astrazeneca zuzuordnen. Die Entstehung der Thrombosen ist dabei aber auch durch einen bestimmten Mechanismus, wie wir ihn schon von anderen Medikamenten kennen, verursacht. Es ist salopp formuliert eine allergische Reaktion auf den Impfstoff und zum Glück sehr selten. Dieser Impfstoff ist aber in Deutschland eigentlich nicht mehr in Verwendung. Der Impfstoff, der mit einem vermehrten Auftreten von Herzmuskelentzündungen in Verbindung steht, ist Comirnaty von der Firma Biontech. Aktuelle Studien zeigen aber, dass das Auftreten von Herzmuskelentzündungen nach der ersten Boosterimpfung sogar höher ist als nach der zweiten. Für eine sichere Aussage ist es hier noch zu früh.
Rechnen Sie damit, dass auch für Normalbürger bald die vierte Impfung empfohlen wird?
Steger: Ich denke nicht, dass es zu einer generellen Empfehlung einer zweiten Boosterimpfung kommen wird. Dafür ist der Vorteil, den gerade israelische Studien ermittelt haben, für die Personengruppen außerhalb der aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut zu niedrig. Im Gegensatz dazu rate ich dringend zur ersten Boosterimpfung. Die dritte Impfung führt zu einer deutlichen Verbesserung der Immunantwort und damit zu einem besseren Schutz vor Corona.
Nun arbeiten Moderna und Biontech gerade an Omikron angepassten Impfstoffen, die bei Biontech für April oder Mai angekündigt sind. Warum soll man sich jetzt, kurz vorher, mit einem nicht angepassten Vakzin nochmal boostern lassen?
Steger: Das ist eine berechtigte Frage. Genauso berechtigt ist es aber zu fragen, ob künftige Virusvarianten tatsächlich noch viele Elemente der Omikron-Variante enthalten werden. Ich habe da meine Zweifel, aber ich kann leider nicht künftige Virusmutationen vorhersagen. Aus meiner Sicht ist eine vollständige Impfung plus Boosterung – je früher desto besser – ein optimaler Schutz gegen weitere mögliche Corona-Varianten.
DK
Das Interview führte Ruth Stückle
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Die vierte Impfung
Ingolstadt – Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat die weitere Corona-Auffrischungsimpfung für alle Menschen ab 70 Jahren, für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Personen ab fünf Jahren, die an einer Immunschwäche-Krankheit leiden, sowie darüber hinaus für Angestellte im Gesundheitsbereich, in der Pflege sowie mit Patientenkontakt empfohlen. „Es können aber auch unter 70-Jährige kommen“, ergänzt Georg Orth, Leiter des Ingolstädter Impfzentrums, im Gespräch mit dem DK. Diese werden nach ärztlicher Beratung auf Wunsch ebenfalls geimpft, die letzte Impfung muss mindestens drei Monate her sein.
Besonders gefährdete Menschen können sich drei Monate nach dem ersten Booster zum vierten Mal impfen lassen, Beschäftigte im Gesundheitswesen nach einem halben Jahr, so Orth weiter. Für Personen, die nach der ersten Auffrischung eine Corona-Infektion durchgemacht haben, ist eine Impfung derzeit nicht nötig.
Bei den Erst- und Zweitimpfungen ist die Ingolstädter Impfquote mit 87 und über 82 Prozent recht hoch. Bei den Auffrischungsimpfungen gibt es laut Orth jedoch noch Luft nach oben. Aktuell haben sich rund 60 Prozent der Ingolstädter eine dritte Impfung verabreichen lassen. Die Auffrischung wird allen empfohlen, bei denen seit dem Abschluss der ersten Impfserie mindestens drei Monate vergangen sind.
Die vierte Impfung haben sich in Ingolstadt bislang rund 1000 Menschen geben lassen. Möglich ist dies zu den Öffnungszeiten des Impfzentrums sowie bei den niedergelassenen Ärzten. Termine können im bayernweiten Impfportal vereinbart werden (impfzentren.bayern). Ohne Termin ist die Impfung im Impfzentrum in der Hindenburgstraße 66 von Montag bis Mittwoch von 16 bis 19 Uhr möglich. Wer zu einer anderen Zeit ohne Termin vorbeikommt, wird laut Orth aber auch „nicht weggeschickt“.
rl
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