Traumazentrum Ingolstadt
Fallbeispiel schwerer Motorradunfall: Zusammenarbeit von Experten ist überlebenswichtig

17.01.2023 | Stand 17.09.2023, 5:20 Uhr

Ein Team mit Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen übernimmt die Erstbehandlung und Diagnostik im Schockraum in der Notaufnahme des Klinikums. Foto: Klinikum Ingolstadt

Ein Motorradfahrer findet durch schnelle Versorgung nach einem Unfall wieder zurück ins Leben. Dank der Erfahrung der ärztlichen und pflegerischen Teams im Klinikum Ingolstadt mit Schwerstverletzten.



Das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie unter Leitung von Professor Michael Wenzl ist kürzlich erneut für drei Jahre als Überregionales Traumazentrum zertifiziert worden. Ein Fallbeispiel hat die Pressestelle des Krankenhauses zur Verfügung gestellt.

Schwer verletzt nach Motorrad-Unfall



Rund vier Wochen hat Rainer Schmottermeyer auf der Intensivstation des Klinikums zugebracht. Ein Autofahrer hatte ihm zwischen Treuchtlingen und Gunzenhausen die Vorfahrt genommen. Schmottermeyer versuchte mit seinem Motorrad auszuweichen und kollidierte bei Tempo 90 mit dem Wagen, wie er nachträglich aus dem Unfallgutachten erfuhr. Seine Verletzungen waren so schwer, dass erst in den letzten Tagen seines Aufenthalts im Klinikum die Erinnerung wieder einsetzt.

Mit einer Schädelfraktur, zertrümmertem Becken, verdrehten Füßen, Brüchen aller Rippen und starken, nur schwer stillbaren Blutungen brachte der Rettungsdienst den Verletzten ins Überregionale Traumazentrum des Klinikums. Polytrauma nennen die Mediziner Verletzungen, die bereits für sich oder in der Kombination lebensbedrohlich sind - wie bei Schmottermeyer. „Im Klinikum Ingolstadt sitzen meine Lebensretter. Die Versorgung dort ist optimal gelaufen“, blickt er zurück. Als Arzt muss er es wissen: Der 59-Jährige ist niedergelassener Neurologe in Ansbach.

Viele Motorradfahrer unter den Schwerstverletzten



Mit dem Motorrad war knapp ein Fünftel der rund 150 Schwerstverletzten unterwegs, die 2020 im Überregionalen Traumazentrum am Klinikum Ingolstadt behandelt wurden. Der Anteil der Autofahrer liegt bei 25 Prozent, Fahrradunfälle machen 16 Prozent der Polytraumen in Ingolstadt aus, Stürze aus einer Höhe von über drei Metern sind in 18 Prozent der Fälle die Ursache für die schweren Verletzungen.

Überregionale Traumazentren müssen Tag und Nacht aufnahmebereit sein und unter Umständen auch zwei Schwerstverletzte gleichzeitig behandeln können. „Die Versorgung von schwerstverletzten Unfallopfern ist eine unserer anspruchsvollsten Aufgaben. Traumazentren der höchsten Versorgungsstufe wie bei uns bieten mit ihrer strukturierten Notfallversorgung die besten Überlebenschancen für die Patientinnen und Patienten“, erklärt Andreas Tiete, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer Medizin, Pflege und Informationstechnologie.

Im Traumanetzwerk für das nördliche Oberbayern zuständig



„Neben dem Universitätsklinikum Rechts der Isar in München sind wir im Traumanetzwerk für das nördliche Oberbayern zuständig. Wir übernehmen damit Verantwortung für die medizinische Versorgung auch über die engere Region hinaus“, so Jochen Bocklet, Geschäftsführer Finanzen und Infrastruktur, Personal und Berufsbildungszentrum Gesundheit.

Für die erfolgreiche Behandlung schwer verletzter Patienten müssen viele Fachdisziplinen eng zusammenarbeiten, die Abläufe der Erstbehandlung und Diagnostik im sogenannten Schockraum der Notaufnahme eingespielt sein. Das Schockraumteam besteht aus acht bis zehn Personen: mindestens jeweils eine Fachärztin oder ein Facharzt für die verschiedenen Disziplinen Unfallchirurgie, Anästhesie, Radiologie, Neurochirugie und Bauchchirurgie sowie Pflegekräften und Radiologieassistenten.

37 Minuten vom Eintreffen bis zur Verlegung in den OP



Technisch ist das Klinikum für Polytraumen gerüstet. Ein spezieller Computertomograph und ein eigens entwickeltes Transportsystem ermöglichen innerhalb von Minuten Bilder des gesamten Körpers. Das System spart viel Zeit und garantiert, dass Patienten von der Rettungsliege aus dem Notarztwagen nur noch einmal umgelagert werden müssen, bevor sie auf den OP-Tisch oder in das Intensivbett gebracht werden. Der Zeitraum vom Eintreffen im Klinikum über die Diagnostik und Erstbehandlung bis zur Verlegung beträgt durchschnittlich 37 Minuten. Für die Überlebenschancen zählt jede Minute.

Nach der ersten – in der Regel operativen – Stabilisierung der Patienten schließt sich die nächste Behandlungsphase auf den anästhesiologischen Intensivstationen an. Auch dort werde intensiv mit der Unfallchirurgie zusammengearbeitet.

Auch Patienten bei planbaren Operationen profitieren



Das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Ingolstadt ist nicht nur als Überregionales Traumazentrum zertifiziert, sondern auch für das Schwerstverletztenartenverfahren der Berufsgenossenschaften anerkannt. Diese Einstufungen sind an zahlreiche personelle und apparative Qualitätsnachweise gebunden und werden erst nach aufwendiger Prüfung erteilt.

„Kliniken, die regelmäßig Polytraumen behandeln, besitzen automatisch große Erfahrung nicht nur in der Behandlung aller Arten schwerster Verletzungen, sondern auch in der Behandlung von Unfallfolgezuständen. Davon profitieren auch Patienten, die sich planbaren Eingriffen aus dem Gebiet der Orthopädie und der Unfallchirurgie unterziehen müssen“, so Michael Wenzl, Direktor des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie.

„Ich lag ein halbes Jahr nur im Bett“



Für Schmottermeyer ist auch nach anderthalb Jahren der Weg zurück ins Leben noch nicht zu Ende. „Ich lag ein halbes Jahr nur im Bett“, berichtet er, „und habe es mir so gewünscht, wenigstens in der Wohnung umherzulaufen und wieder selbstständig auf die Toilette gehen zu können. Schon jetzt habe ich mehr erreicht, als ich mir damals in den kühnsten Träumen vorgestellt habe.“ Geholfen haben ihm dabei mehrere Monate in einer Spezialklinik für Querschnittsgelähmte. Vier Monate lang hatte er kein Gefühl im rechten Bein. Erst langsam wird es besser. Schmerzen im Sitzen sind ihm geblieben.

Der Arzt geht heute ohne Krücken ins Fitnessstudio und läuft mit Walkingstöcken eine halbe Stunde durch die Stadt. Er trainiert fünf Mal die Woche, schwimmt regelmäßig. Hofft: „Nerven können sich bis zu zwei Jahre nach dem Unfall regenerieren, der Muskelaufbau ist sogar noch länger möglich.“