„Eine Jahrhundertzeugin“
Holocaust-Überlebende Zilli Schmidt starb mit 98 Jahren

Entschlossener Einsatz gegen Rassismus

24.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:13 Uhr

Bis ins hohe Alter klärte Cäcilie „Zilli“ Schmidt unermüdlich über den Völkermord an den Sinti auf. Sie schrieb auch ein Buch mit dem Titel: „Gott hat mit mir etwas vorgehabt!“ Foto: Neumärker

Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Verein Roma Trial trauern um Zilli Schmidt. „Sie ist am Freitag im Alter von 98 Jahren von uns gegangen“, heißt es in einer Mitteilung. „Wir drücken ihrer Familie unser tiefstes Beileid aus.

Zilli Schmidt ging nicht unerwartet, und dennoch ist ihr Tod zutiefst schmerzhaft. Nicht nur als eine der letzten Überlebenden des Völkermords an den Sinti und Roma Europas hinterlässt sie eine tiefe Lücke.“ Die Stiftung bezeichnet sie als „eine Jahrhundertzeugin“.

Zilli Schmidt, geborene Reichmann, kam 1924 in Thüringen zur Welt und wuchs in einer – wie sie stets betonte – glücklichen Familie von Instrumentenhändlern und Wanderkinobetreibern auf. Auch wirtschaftlich ging es der Familie gut. „In Ingolstadt, das war unsere schönste Zeit. Da wurden wir noch nicht verfolgt, waren alle zusammen“, erzählte sie 2020 in einem Gespräch mit dem DK. Den Stellplatz für ihre Wohnwagen hatte die Familie im Hinterhof des Wirtshauses Zum Politiker in der Becker-straße 27. Die Eltern Bertha und Anton Reichmann lebten mit den beiden jüngsten Kindern Otto („Hesso“) und Zilli in einem Wohnwagen. Abends musizierte der Vater im Wirtshaus. Zilli besuchte bis 1939 gemeinsam mit ihrem Bruder die Gnadenthal-Volksschule.

Familie Schmidt verließ 1939 Ingolstadt

1939 fühlte sich die Familie nicht mehr sicher in Ingolstadt. „Es wurde immer schwieriger“, erzählte Schmidt, „mein Vater konnte nicht mehr im Wirtshaus musizieren. Die wollten das nicht mehr. Von Ingolstadt aus begann unsere Flucht.“

Im Juni 1942 wurde Zilli Schmidt in Straßburg festgenommen und in das Konzentrationslager Lety in Böhmen überstellt. Sie floh, wurde erneut verhaftet und 1943 in das „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau deportiert. In den folgenden Monaten traf ihre gesamte Familie dort ein, schreibt die Stiftung in dem Nachruf.

Am 2. August 1944 ermordete die SS Schmidts vierjährige Tochter Gretel, die Eltern, die Schwester mit fünf Kindern und weitere Verwandte in Gaskammern. Am selben Tag wurde Zilli Schmidt zur Zwangsarbeit nach Ravensbrück verschleppt. Auch aus diesem Lager floh sie. Nach Kriegsende fand sie nur ihre Brüder wieder.

„Unsere Menschen sollen nicht vergessen werden!“

Jahrzehntelang kämpfte sie für eine Entschädigung durch die bundesdeutschen Behörden. Erst in den 2010er-Jahren begann sie, außerhalb ihrer Familie über ihr Leben zu sprechen: „Unsere Menschen sollen nicht vergessen werden! Ich will, dass die Welt erfährt, was mit den Sinti passiert ist. Ich will, dass sie wissen, wie das ist, weiterzumachen, wenn man alles verloren hat, was einem lieb war.“ Das, heißt es in dem Nachruf, sei die Richtschnur ihres Handelns gewesen: Aufklärung, Mitgefühl, Wärme, gespeist von einem hellen Geist, einem unverwechselbaren Lachen, einer einmaligen Stimme. „Zilli Schmidt war bis zuletzt eine Steh-auf-Frau.“

Darüber hinaus setzte sie sich lautstark gegen Rassismus und Ungerechtigkeit ein. „Ihr Mut, ihre Stärke und ihr Wille zu kämpfen, ihre Bereitschaft, andere zu unterstützen, und nicht zuletzt ihr Humor machen sie zu einem unvergesslichen Vorbild. Ihre Warnung vor dem erstarkenden Rechtsextremismus hallt nach.“