Stadtbücherei
Historiker Hans Woller liest aus „Jagdszenen aus Niederthann“

22.10.2023 | Stand 22.10.2023, 11:26 Uhr

Hans Woller liest anlässlich der Ausstellung „Unsere Menschen“ im Stadtmuseum. Foto: Stefan Eberl

Das kleine Dorf Niederthann im Landkreis Pfaffenhofen wird im Jahr 1972 Schauplatz eines Verbrechens: Es fallen vier Schüsse, eine junge, schwangere Romni verliert ihr Leben, eine andere wird schwer verletzt. Der Historiker und Autor Hans Woller hat den Kriminalfall rekonstruiert und liest am Dienstag um 19.30 Uhr in der Stadtbücherei aus seinem neuen Buch „Jagdszenen aus Niederthann. Ein Lehrstück über Rassismus“.

Die Autorenlesung findet im Rahmen der Ausstellung „Unsere Menschen – Sinti und Roma in Ingolstadt vor, während und nach der NS-Verfolgung“ statt.

Dass Hans Woller auf diesen Fall gestoßen ist, ist reiner Zufall, wie er im Gespräch erzählt. „Während der Recherche für ein Buch zu Gerd Müller habe ich sämtliche Zeitungsartikel durchforstet“, sagt Woller. Dabei sei er in der Süddeutschen Zeitung auf einen Artikel zu Niederthann gestoßen. „Da hat es mich gepackt.“ Der Fall habe ihn aus zwei Gründen regelrecht elektrisiert: Zum einen kommt Woller, Jahrgang 1952, selbst aus einem kleinen Ort in Niederbayern und ist vertraut mit den Vorurteilen und Ressentiments gegenüber Sinti und Roma, die zu dieser Zeit auf den Dörfern herrschten. „Ich war auch davon kontaminiert.“ Die Recherche stellte für ihn eine Möglichkeit der „Entgiftung“ dar.

Zum anderen fühlte sich Woller auch beschämt: „Als ich auf den Fall gestoßen bin, war ich schon fast 50 Jahre als Historiker im Geschäft, 20 Jahre davon am Institut für Zeitgeschichte. Und ich habe nichts unternommen in puncto Sinti und Roma. Ich habe die Chancen aus Ignoranz nicht ergriffen.“ Neben den Aktenpaketen aus dem Staatsarchiv in München las Woller auch sämtliche Zeitungsartikel zum Fall: DK, „Süddeutsche Zeitung“, „Spiegel“, „Zeit“ … „Und dann habe ich mit Zeitzeugen gesprochen.“ Er konnte in Amsterdam den Sohn der erschossenen Romni ausfindig machen, der ihm seine weitere Geschichte erzählen konnte.

„Die Ressentiments sind nach wie vor riesengroß“

Den Umgang mit dem Todesschützen thematisiert und kritisiert Woller in seinem Buch: „Die Kirche hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, die CSU erst recht nicht.“ Er würde sich ein Signal aus der Region wünschen, eine Reaktion auf die Aufarbeitung. „Wie ein wirkungsvolles Signal aussehen könnte, weiß ich noch nicht. Aber vielleicht finden wir das in der Lesung in Ingolstadt heraus.“

Auch wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles an der Situation der Sinti und Roma in Deutschland verbessert habe, so sagt Woller auch: „Alle Studien zeigen, dass die Ressentiments nach wie vor riesengroß sind.“

Sein Wunsch wäre, mit dem neuen Buch etwas anzustoßen. Auf seiner Lesereise bisher hatte er bei seinem Publikum schon das Gefühl, dass er bei Einigen einen Aha-Effekt auslösen konnte. „Viele sagen: Das wusste ich gar nicht.“