Konzertkritik
Grenzen sprengend: Das Signum Quartett bei den Audi-Sommerkonzerten

27.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:27 Uhr

Ein Abend wie kein anderer: Das Signum Quartett. Foto: Audi AG

Was für ein Auftritt! Dieses Konzert war, wie Annekatrin Hentschel von BR-Klassik es in ihrer Einführung treffend formulierte, im wahrsten Sinne des Wortes „ein Abend wie kein anderer“. Sowohl, was die Zusammenstellung des Programms als auch die Interpretationsweise der Musiker betraf. Wohl kaum ein anderes Kammermusik-Ensemble erweist sich als derart kreativ, mutig und experimentierfreudig.

Schon der Einstieg mit einem Schubert-Arrangement von „Wandrers Nachtlied“ im licht- und sonnendurchfluteten Museum mobile geriet ungewöhnlich – aber gerade deshalb umso fesselnder. Denn die sanfte Stimmung transportierte das Quartett ganz wunderbar auch ohne die gewohnte Singstimme, ließ sich von der friedlichen Atmosphäre ungemein filigran gefangen nehmen. Die Essenz der Musik kam ungebrochen zum Tragen, erhielt eine ganz eigene, hauchzart gezeichnete kantable und klangsprachlich-lyrische Form. Die führte ideal und nahtlos hinein in einen solitären Quartettsatz von Schubert, der als rätselhaftes Fragment für sich steht. Düster, fragil, zerbrechlich, feinnervig, brodelnd, eruptiv und organisch ließ das Ensemble diese Phrasierungen aufscheinen.

Eine leise, tief empfundene Melancholie schwang dagegen im mutmaßlichen Walzer des russischen Schriftstellers Lew Tolstoi mit – als stimmungsvolle, thematisch-inspirative Vorbereitung auf das erste Streichquartett von Leoš Janáček, dessen Entstehung durch Tolstois Novelle „Die Kreutzersonate“ angeregt wurde. Den schmalen Grat von Ekstase zu Wahnsinn, die rasende Eifersucht, die dämonischen Abgründe dieses Psychogramms wissen Florian Donderer (1. Violine), Annette Walther (2. Violine), Xandi van Dijk (Viola) und Thomas Schmitz (Cello) in unvergleichlichen, extremsten Emotionsschattierungen heraufzubeschwören. Kompromisslos, mit Haut und Haaren loten sie sämtliche Schmerzgrenzen aus.

Aber der noch atemberaubendere Teil sollte erst nach der Pause folgen: „Rock Lounge“ betitelt ihn das Ensemble experimentell-grenzüberschreitend – und setzt an den Anfang ausgerechnet Mozart. Schnell wird allerdings klar, warum. Denn das Signum Quartett musiziert sein für ihn erstaunlich dunkles „Adagio und Fuge c-Moll“ so fetzig, so rockig, wie man es zuvor wahrscheinlich nie gehört hat. Auch die Rockmusik ist mit solchen Elementen verquickt, speist sich aus den überlieferten Quellen, indem sie deren Radius nach außen erweitert. Und selbst wenn der kammermusikalische, analog-unverstärkte Charakter der Streichquartett-Besetzung nach wie vor gewahrt bleibt, erweisen sich die Unterschiede zu einer Rockband doch als gar nicht so groß. Das gegenseitige Verlassen aufeinander, der gemeinsame Kern des Zusammenspiels sind bei beiden Formationen identisch. Bearbeitet wurden die Songs („Sunshine of your love“ von Cream, „Heartbreaker“ von Led Zeppelin und „Paranoid Android“ von Radiohead) von Xandi van Dijks Bruder, dem Komponisten und Musiker Matthijs van Dijk. Er schuf gewissermaßen Potpourris, die subtil abgemischt zwischen den Stilen changieren. Da fungiert das Cello schon mal als perkussives Groove-Instrument, die Geige produziert gitarrenähnliche, schräge Glissandi-Läufe über den zündenden Beats, oder das gesamte Quartett liefert sich in komplett neuen, völlig verrückten Spieltechniken einen regelrechten – einmal sogar paarweisen – Schlagabtausch untereinander. Sensationell!

Ähnlich progressiv, allerdings „klassisch“ geschrieben und interpretiert, zeigt sich Matthijs van Dijks Eigenkomposition „(rage) rage against the“ nach einem Gedicht des walisischen Autors Dylan Thomas. Die Musik beginnt sehr still, nach innen gekehrt, schwelend, um sich im weiteren Verlauf in die komplett andere Richtung zu drehen. Ein Parforceritt, zu dem das Ensemble den Bogen krachend auf die Saiten niedersausen lässt, mit den Füßen stampft, seine Instrumente zum Jaulen und Quietschen bringt oder mit seinen eigenen Stimmen summt. Das flirrt, das bebt, das glüht.

Als grandioser Schlusspunkt dann Beethovens revolutionär wegweisende „Große Fuge“. Die neuartige, freie Tonsprache aus Dissonanz und kontrapunktischer Komplexität musiziert das Ensemble mit unerhörter archaischer Sprengkraft und visionärer, aufrechter Erhabenheit, lässt jedoch auch kurze Momente voll inniger, zärtlicher Schönheit durchschimmern.

Ein Kammermusik-Abend, wie ihn Ingolstadt wohl noch nicht erlebt hat.

DK