Lieber bestehende Einrichtungen fördern
Gesundheitskiosk für Ingolstadt: Arzt aus dem Piusviertel und Bruder Martin sehen dafür keinen Bedarf

10.02.2023 | Stand 17.09.2023, 3:28 Uhr

Blutzucker messen: Solche medizinischen Leistungen macht Bruder Martin in der Straßenambulanz seit 17 Jahren. Foto: Hammer

Sogenannte Gesundheitskioske sollen nach den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Gesundheitsversorgung in sozial benachteiligten Regionen verbessern. Wie sieht es in Ingolstadt aus?



Langfristig sollen bundesweit 1000 solcher Beratungsangebote aufgebaut werden, bei denen nach den Plänen Lauterbachs neben der Beratung und Unterstützung bei der Klärung gesundheitlicher und sozialer Angelegenheiten auch einfache medizinische Routineaufgaben durchgeführt werden könnten. Finanziert werden sollen die Einrichtungen anteilig von den Kostenträgern und den Kommunen.

Wie berichtet, könnte sich die Stadtratsfraktion der Grünen einen solchen Gesundheitskiosk – gegebenenfalls in mobiler Form – auch in Ingolstadt vorstellen. Weil die Initiative dazu von den Kommunen ausgehen muss, hat sie beantragt, zu prüfen, ob nicht auch in Ingolstadt ein Gesundheitskiosk errichtet werden könne. Doch ist der Bedarf für eine solche Einrichtung in der Stadt überhaupt gegeben?

Grüne fordern Gesamtkonzept



In Ingolstadt gebe es einen nicht unerheblichen Anteil in der Bevölkerung, der in sozial benachteiligten Verhältnissen lebe und aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren in Verbindung mit dem zunehmenden Ärztemangel erschwerten Zugang zur Gesundheitsversorgung habe, heißt es im Antrag der Fraktion. Die Grünen fordern auch ein Gesamtkonzept unter Berücksichtigung der sozialräumlichen Strukturen und der bereits bestehenden Beratungsangebote sowie der Schnittstellen zum ärztlichen Versorgungssystem. Doppelstrukturen seien zu vermeiden.

Genau die fürchtet mit einer solchen Einrichtung der Arzt und SPD-Stadtrat Anton Böhm. Zumal es in Ingolstadt mit der Straßenambulanz von Bruder Martin schon seit Langem eine Einrichtung gebe, an die sich Obdachlose wenden – auch in medizinischen Angelegenheiten. Das pflegerische Personal, das im Gesundheitskiosk eingesetzt werden würde, fehle an anderer Stelle, fürchtet Böhm. Den Ärzten, etwa im Piusviertel, wäre mehr gedient, wenn es stattdessen einen Sozialarbeiter gebe, an die sich Menschen mit ihren Problemen wenden könnten. Als es um die Ausgestaltung der Hausarztverträge gegangen sei, hätten die Kostenträger die Einsetzung von Sozialarbeitern abgelehnt, erinnert sich Böhm. „Wir machen sehr viel Sozialarbeit als Ärzte“, sagt der Mediziner, der unter anderem im Piusviertel eine Hausarztpraxis mit mehreren Ärzten betreibt.

Medizinische Versorgung seit 17 Jahren durch die Straßenambulanz



Bruder Martin Berni und seine Straßenambulanz St. Franziskus ist nicht nur Anlaufstelle für Obdachlose, die sich aufwärmen, essen oder in der Notschlafstelle der Ambulanz übernachten wollen. „Wir machen die medizinische Versorgung seit 17 Jahren“, sagt der gelernte Krankenpfleger und verweist auf etwa 20 niedergelassene Ärzte, „die super mit uns zusammenarbeiten“. Kleinere medizinische Leistungen wie Wunden versorgen, Verbände anlegen, Blutzucker messen oder ein benötigtes Medikament ausgeben übernimmt er selbst – in seinem zum Behandlungsraum umfunktionierten Büro. Laut Jahresbericht 2022 wurden 2021 genau 8081 medizinische Behandlungen und Pflegeleistungen in der Straßenambulanz durchgeführt. Bruder Martin Berni, der 2007 den Orden der Franziskaner verlassen hat und seitdem Mitglied der ökumenisch franziskanischen Gemeinschaft San Damiano ist, verweist auf die gute Vernetzung der Straßenambulanz mit Ärzten. „Ziel ist, dass die Leute nicht in die medizinische zweite oder dritte Klasse rutschen, sondern Zugang zu Arztpraxen haben und Termine bekommen“ – auch, wenn sie nicht krankenversichert sind. So gebe es allein „13 Zahnärzte in Ingolstadt, die unsere Leute versorgen“. Die Zahl der Personen, die täglich in die Straßenambulanz kommen oder in andere Einrichtungen weitervermittelt werden, liegt laut Bruder Martin bei rund 400.

In manchen Großstädten mögen Gesundheitskioske sinnvoll sein, sagt Martin Berni. Ingolstadt sei keine solche Stadt. Die Antragsteller seien „aufgesprungen auf eine Sache, für die es Fördergelder gibt, ob sie gebraucht wird oder nicht“. Berni plädiert vielmehr dafür, den Fokus auf die bestehenden Einrichtungen zu legen und diese stärker zu fördern. Zwar bekomme die Straßenambulanz seit 2008 monatlich 1400 Euro von der Stadt, doch allein 1000 Euro müsse für die Miete bezahlt werden. Würde die Stadt eine solche Einrichtung betreiben, „würde sie wissen, was das kostet“.

Lieber günstigen Wohnraum schaffen



In Ingolstadt gibt es laut Bruder Martin an anderer Stelle Handlungsbedarf. Man müsse dringend „Wohnraum schaffen für Leute, die sich eine normale Miete nicht leisten können“. Das Jobcenter bezahle für „versiffte Pensionen“ zum Teil 1000 Euro pro Monat. Darunter seien welche, bei denen im Winter die Heizung und das Wasser abgestellt werde. „Das ist unmenschlich“, sagt Bruder Martin. In günstigen Wohnraum zu investieren wäre für ihn – zumindest in Ingolstadt – sinnvoller, als in einen Gesundheitskiosk.

DK