Preisgekrönter Psychothriller
Ein Lehrstück über Angst, Gewalt und Mut

Für „WEIL.“ hat Martin Muser den Kinder- und Jugendbuchpreis Luchs erhalten – Am 5. Mai liest er daraus in Ingolstadt

11.04.2024 | Stand 12.04.2024, 13:50 Uhr

Martin Musers Buch „Kannawoniwasein“ wurde verfilmt. Auch für „WEIL.“ gibt es Interesse an einer Verfilmung. Foto: Binder, Carlsen

Manuel, Selin, Esther, Knut, Philipp: Fünf Jugendliche fahren aufs Land, um fürs Abi zu lernen. Unterwegs nehmen sie einen Anhalter mit, der sich allerdings so danebenbenimmt, dass sie ihn an einer Tankstelle stehen lassen. Am nächsten Tag steht der Junge mit Verstärkung vor der Tür und es beginnt ein Lehrstück über Angst, Gewalt, Ohnmacht und Mut. Martin Muser wurde für seinen Jugendroman „WEIL.“ auf der Leipziger Buchmesse mit dem Kinder- und Jugendbuchpreis Luchs ausgezeichnet. Im Rahmen der Ingolstädter Literaturtage liest er daraus am 5. Mai in der Fronte.

Herr Muser, „Dieses Buch ist eine Geschichte der Angst. Vor allem auch meiner Angst“, schreiben Sie im Nachwort. Woraus resultiert die Angst vor dem radikal Bösen, „das keinen Grund braucht zu tun, was es tut“?
Martin Muser: Diese krassen Erfahrungen, die die Protagonisten in meinem Buch machen, habe ich nicht gemacht. Ich glaube aber, dass Gewalterfahrungen etwas Universelles sind. Dass man ohne solche Erfahrungen nicht durchs Leben kommt. Im Kleinen habe ich sie auch gemacht. Situationen auf der Straße, in denen ich mich bedroht gefühlt habe, auch physische Gewalt. Das Interessante ist die innere Gespaltenheit, die daraus resultiert: Ohnmacht, die man empfindet, weil es einem nicht möglich war, sich zu wehren. Scham, weil man es nicht konnte. Das beschäftigt mich bis heute.

Haben Sie das als Jugendlicher erlebt oder als Erwachsener?
Muser: Solche Situationen gab es schon in der Schule. Heute würde man das wahrscheinlich Mobbing nennen. Aber ich glaube, wer es erlebt, ist für das Leben in gewisser Weise gerüstet. Man hat geübt, wie man sich verhält. Es gibt ja auch sinnvolle Gewalt, die jemand ausübt, um etwas zu beenden oder etwas zu verhindern. Die Angst hat etwas damit zu tun, einer unrechtmäßigen Gewalt ausgeliefert zu sein. Oder dass die Gewalt eskaliert. Dass keine Seite mehr in der Lage ist, aus der Gewaltspirale auszusteigen. Das kann man gerade an der weltpolitischen Lage sehen.

Wie kam die Idee zu „WEIL.“?
Muser: Der deutlichste Bezug zur Entstehung des Buches sind die beiden Motti am Anfang, wo ich auf die Filme „Funny Games“ und „The Texas Chainsaw Massacre“ verweise. In gewisser Weise habe ich die beiden Filme ineinander geschoben und meine eigene Variante des Genres „Home Invasion Thriller“ geschrieben.

Wie haben Sie sich in Ihre Protagonisten hineinversetzt? Und wer ist Ihnen von den Fünfen am Nächsten?
Muser: Ich hatte ein bisschen das Problem, wie ich den emphatischen und identifikatorischen Anteil so justiere, dass alle Figuren gleichermaßen wahrgenommen werden. Vor allem wollte ich die Protagonisten nicht zu strahlend und sympathisch zeichnen, damit mir die Antagonisten nicht wegrutschen. Ich wollte eine irritierende Kühle im Blick auf alle Figuren. Ich würde sagen: Die fünf Jugendlichen verkörpern Facetten der Verhaltensmöglichkeiten in so einer Situation. Ich habe an ihnen exemplarisch durchgespielt, wie man sich verhalten und welche Folgen das haben könnte.

Neben den Jugendlichen und den Bedrohern gibt es eine sehr interessante Figur: ein Nachbar, der eingreifen könnte...
Muser: Diese Figur hat mir diebische Freude bereitet. Der Nachbar steht ein bisschen für meine eigene dunkle Seite. Ich hatte tatsächlich mal einen Nachbarn, den ich als extrem bösartig empfunden habe. Vielleicht war ich in dieser Phase auch kein einfacher Nachbar. Das wäre so ein Beispiel, wo ein Konflikt eskaliert – und beide Seiten nur verlieren. Das konnte ich alles in dieser Hanika-Figur unterbringen. Ich sehe ihn richtig vor mir. Er gehört nicht zu den Protagonisten, nicht zu den Antagonisten. Er darf so dazwischen sein – auf eine menschlich niederträchtige Weise. Gleichzeitig ist es aber niederschmetternd, wenn wir damit rechnen müssen, dass in größtmöglicher Not der Nachbar nicht hilft.

Der Punkt hinter dem „WEIL“ ist wichtig, weil es sich um eine Antwort handelt. Wie kamen Sie auf den Titel?

Muser: Der Titel war eine einzige Suche – und ist eigentlich über einen Umweg entstanden. Weil ich merkte, dass ein programmatischer Titel nicht funktionieren würde, wollte ich einen Ortsnamen nehmen. Der Ort im Buch, der jetzt Rehberg heißt, hatte alle möglichen klangvollen Namen. Meine Lektorin hatte dann die Idee, den Ortsnamen Weil zu wählen, weil es den häufiger im deutschsprachigen Raum gibt. Das war für mich ein Schlüsselmoment. „Weil“ fand ich toll als Titel – nicht als Ortsnamen, sondern das kausale „weil“ mit Punkt. Wir kennen das auch als trotzig-kindliche Antwort auf eine Warum-Frage.

Sie haben schon viele Kinderbücher geschrieben. Ihre „Kannawoniwasein“-Reihe wurde verfilmt. Auch für „WEIL“ gibt es Filmpläne. Muss man für Kinder anders schreiben als für Erwachsene?
Muser: Wenn ich für Kinder schreibe, stelle ich mir die Frage: Hätte ich als Kind so ein Buch lesen wollen? Oder auch: Würde es mir Spaß machen, dieses Buch meinem Kind vorzulesen? Ein berühmter Schriftsteller hat mal gesagt: „Für Kinder muss man schreiben wie für Erwachsene. Nur besser!“ Ich würde sagen: Ein gutes Buch ist ein gutes Buch. Es muss eben den Weg zu seiner Zielgruppe finden.

Was haben Sie als Kind gelesen?
Muser: Kreuz und quer. Enid Blyton, Michael Ende, Otfried Preußler. „Kalle Blomquist“ von Astrid Lindgren. Ein prägendes Buch war für mich „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“.

Stimmt es, dass Sie Erfinder oder Detektiv werden wollten?
Muser: Ja. „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ hat bei mir diesen Erfinderwunsch ausgelöst. Und Kinderkrimis fand ich auch immer super spannend, daher der Wunsch, Detektiv zu werden. Ich kann mich noch erinnern, als „Die drei Fragezeichen“ rauskamen, das waren für mich besondere Bücher. Die Vorstellung, so ein kleines, geheimes Detektivbüroversteck auf einem Schrottplatz zu haben, fand ich großartig. Die Faszination für detektivische Arbeit ist geblieben. Ich schreibe ja heute auch Krimis fürs Fernsehen und finde es immer spannend, dafür auch bei der Polizei zu recherchieren.

Sie haben Drehbücher für Fernseh-Krimis geschrieben. Was ist spannend an diesem Genre? Wo finden Sie Stoffe?
Muser: Wenn man Drehbücher schreibt, ist man viel mehr Lohnschreiber, als wenn man eigene Bücher schreibt. Man schreibt im Auftrag und meist für ein bestehendes Format. Stoffe zu finden, ist nicht schwer. Man muss nur Zeitung lesen. Es gibt bewährte Krimiplots, die man immer wieder neu variieren kann. Das Interessante an Krimis ist, dass es immer auch Geschichten über menschliche Dramen sind. Im deutschen Fernsehen zielen sie oft auf die Wiederherstellung der Ordnung ab. Gerade im Vorabend-Segment. Angelsächsische Krimis trauen sich da oft mehr, weil sie oft auch die Abgründigkeit der Ermittler miterzählen. Der Krimi ist ein Spiegel der Gesellschaft, wo viele Themen ihren Platz finden können.

DK

Die Fragen stellte Anja Witzke.



Martin Muser liest am 5. Mai um 18 Uhr in der Fronte aus seinem Buch „WEIL.“, Carlsen Verlag, 13 Euro.

Ingolstädter Literaturtage:

Von 19. April bis 5. Mai finden die Ingolstädter Literaturtage statt, die heuer in Gedenken an Marieluise Fleißer stehen, deren Todestag sich zum 50. Mal jährt. Deshalb werden Fleißerpreisträger wie Herta Müller, Gert Heidenreich, Petra Morsbach oder Christoph Ransmayr erwartet. Highlight für junges Publikum ist Margit Auers Lesung aus „Die Schule der magischen Tiere“. Mit Martin Muser wird erstmals eine Lesung für Jugendliche angeboten. Karten gibt es unter www.ticket-regional.de.

DK