Ingolstadt
Marktfrau mit großem Herzen

Karin Dauer spendet alles Obst und Gemüse, das sie am Samstag nicht verkauft hat

05.12.2020 | Stand 23.09.2023, 15:51 Uhr
Eine ganze Wagenladung: Marktfrau Karin Dauer mit Tochter Christina (links), Karoline Schwärzli-Bühler und Kerstin Lang (rechts) haben die gespendeten Lebensmittel verstaut. Nun werden die Gaben verteilt. −Foto: Schattenhofer

Ingolstadt - Im Lebens eines Menschen geschehen manchmal kleine Momente, die etwas Großes im Inneren auslösen. So ist es Karin Dauer aus Reichertshofen ergangen, die viele Ingolstädter vom Wochenmarkt kennen: Es war sechs Uhr am frühen Morgen, sie baute gerade ihren Stand mit Obst und Gemüse auf, da sah sie eine alte Frau, die in Mülleimern nach Pfandflaschen suchte.

Eine ordentlich gekleidete und gepflegte Frau: Karin Dauer erkannt eine frühere Kundschaft, die lange nicht mehr  zum Einkaufen gekommen war. Nur einmal hatte sie noch drei Tomaten und eine Gurke mitgenommen. „Dieser Anblick der Frau beim Stöbern  im Müll hat mir so wehgetan, dass ich mir gesagt habe: ‚Irgendwas musst du tun‘“,  schildert  Karin Dauer  ihr Erlebnis. „Ich sehe immer wieder solche Senioren, die mit Tüten umhergehen und Pfandflaschen sammeln.  Das finde  ich beschämend in so einer reichen Stadt.“

Dieser kleine Schmerz ließ Karin Dauer nicht mehr los, und so beschloss sie, eine kleine, ganz private Aktion zu starten. Im Advent. Dass unsere Zeitung darüber berichtet, gefällt der Marktfrau gar nicht, denn sie will es nicht an die große Glocke hängen. Aber schließlich willigt sie doch ein. 

Und so treffen wir sie am  Samstag auf dem Theatervorplatz. Es ist 12.30 Uhr:  Auf dem Wochenmarkt beginnt das große Aufräumen. Am Stand von Karin Dauer ist diesmal besonders viel übrig geblieben –  Obst und Gemüse türmen sich noch   in den Kisten. Doch das ist gut so, denn Karin Dauer  hat extra viel mitgenommen und spendet an diesem Samstag alles, was sie zuvor nicht verkauft hat. Die Marktfrau aus Reichertshofen will älteren  Menschen, die knapp bei Kasse sind, zum Nikolaustag eine Freude machen. Ihre Oma habe immer gesagt: „Mädel, wenn es dir gut geht, dann musst du etwas zurückgeben.“    

Von den Schmankerltouren über den Wochenmarkt kennt die  Reichertshofenerin Karoline Schwärzli-Bühler, Chefin  der gemeinnützigen Cantina International, die auch das Sozial-Café im Neuburger Kasten betreibt – ein beliebter Treffpunkt für Senioren. Zusammen mit anderen SPD-Frauen kümmert sich Karoline Schwärzli-Bühler um den Abtransport und die Verteilung der Lebensmittel. 

Kiloweise Kartoffeln, Karotten, Kürbisse: Im Eiltempo, konzentriert und schweigend, räumen Karin Dauer und ihre Tochter Christina den Marktstand leer. Lauch, Sellerie und Zwiebeln, Wirsing, Chinakohl und  Austernpilze, Melonen, Orangen und Äpfel –  was vom Markttag übrigbleibt, soll anderen Menschen eine Freude machen. Karin Dauer blickt ernst und will nicht darüber reden, was gerade in ihr vorgeht. Nach einer halben Stunde ist der Ford Transit bis unters Dach voll. 

Nach der kurzen Fahrt zu Vronis Ratschhaus wird wieder alles ausgeladen, und Frauen von der SPD füllen die gespendeten Lebensmittel in handliche blaue Plastikeimer: Veronika Peters, Inge Bechstädt, Olga Paul, Bettina Schallert und Kerstin Lang  packen mit an. „Ich dachte, in Corona-Zeiten werden die Menschen egoistischer“, meint Veronika Peters. „Aber das stimmt nicht: Sie sind großzügig.“ Sie fände  diese Aktion total gut, sagt Kerstin Lang:  „Ich mache viel ehrenamtlich, aber momentan sind uns ja oft wegen Corona die Hände gebunden. Flüchtlinge, Senioren, Kranke oder Einsame – all diese Menschen warten sehnsüchtig darauf, dass wir uns wieder um sie kümmern. Darum freue ich mich, dass ich endlich mal wieder aktiv helfen kann.“

Im Ratschhaus duftet es inzwischen nach frischen Kräutern  und Knoblauch. Eine Großfamilie nimmt  drei  Eimer mit, ein paar Schoko-Nikoläuse gibt es obendrauf: „Süßigkeiten gibt es auch? Da freuen sich meine Kinder“, sagt die Mutter.  Dann kommt ein Mann, der staunt beim Blick in den Eimer: „Sogar einen Granatapfel und Pak Choi sind dabei – richtig sündteure Sachen“, meint  Bernd. „Ich werde die Sachen unter  Freunden verteilen, die sie gut brauchen können. Ich finde so eine offene Aktion schön, denn ich weiß, dass sich viele Leute schämen, zur Tafel zu gehen.“ Glücklich macht er sich auf den Heimweg: „Das ist schon fast wie Weihnachten.“

Was noch übrig bleibt, liefert Schwärzli-Bühler  danach  mit dem Auto  frei Haus  an Bewohner   im Augustin-, Pius- und Konradviertel. In der Schwäblstraße steht Edelgard Wessel  auf dem Balkon und ist perplex über die unverhofften Gaben, die  ihr über die Brüstung gereicht werden: „Das ist ja mal ein Nikolaus“, freut sich die 73-Jährige. „Ich bekomme nur eine Witwenrente. Solche feinen Sachen  vom Wochenmarkt kann ich mir sonst nicht leisten. Dass ich mal etwas geschenkt kriege,  ist mir noch nie passiert.“

Die gehbehinderte Seniorin erzählt, wie ihr Corona zu schaffen macht. „Mein verstorbener Mann fehlt mir sehr. Vor Weihnachten fürchte ich mich richtig. Aber die Baptistengemeinde kümmert sich sehr gut um mich.“ Die 73-Jährige blickt in den Eimer: „Den Nikolaus und die Lebkuchen kriegen meine Nachbarskinder, die für mich wie Enkel sind.“  Schenken und Freude machen  – genau das will Karin Dauer mit ihrer Aktion erreichen. Karoline Schwärzli-Bühler steigt wieder in ihren Ford und fährt weiter: Auf ihrer Liste stehen weitere Adressen älterer Menschen, denen es nicht so gut geht.  

Suzanne Schattenhofer