Ingolstadt
Den Kindern in der Krise beistehen

Birgit Baumgartner, Rektorin der Grundschule Ringsee, über den Unterrichtsalltag im Ausnahmezustand

22.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:31 Uhr
Die Maskenpflicht gilt auch an der frischen Luft, die Kinder halten sich diszipliniert daran. Birgit Baumgartner mit Mädchen und Buben aus der 1a auf dem Spielplatz der Ringseer Schule. Der Pausenhof ist in sechs Zonen eingeteilt, um die Schüler zu verteilen. Die Schulleiterin resümiert: "Wir haben einiges geschafft - manches gut, manches weniger gut -, und das gibt mir eine gewisse Ruhe." −Foto: Silvester

Ingolstadt - Sie sind Kinder.

Sechs bis zehn Jahre alt. Die Corona-Pandemie wirkt auf viele von ihnen gewiss besonders furchteinflößend. Wochenlang kein Unterricht, Besuchsverbot bei Oma und Opa und bis heute überall diese Masken; auch da zeigt die Krise ein sehr ernstes Gesicht. Die Kleinen mussten schnell lernen, was ein Virus ist, wozu all die Maßnahmen gut sind - und dass seit diesem Jahr ziemlich vieles anders ist. Von den 4866 Mädchen und Buben, die im laufenden Schuljahr eine Ingolstädter Grundschule besuchen, sind 1244 Erstklässler; ihre Schullaufbahn begann im Ausnahmezustand. Grundschüler mussten im Unterricht nie Masken tragen, auf den Fluren, Pausenhöfen, Schulgärten, Toiletten und anderen so genannten Begegnungsflächen ist es aber nach wie vor Pflicht.

Wie gehen die Kinder mit der besonderen Situation um? Wie reagieren sie auf die Krise? Wie sollen sich Lehrerinnen gegenüber Grundschülern verhalten, die Nähe suchen, Nähe brauchen? Was ist im Heimunterricht gut gelaufen, was weniger gut? Und welche Lehren haben die Schulen aus sechs Monaten Corona-Krise gezogen? Fragen an Birgit Baumgartner, Rektorin der Grundschule Ringsee.

Frau Baumgartner, wie regeln Sie im Unterricht bei voller Schülerzahl das Abstandsgebot in den Klassenzimmern?
Birgit Baumgartner: Für die Kinder einer Klasse gilt die Abstandsregel zueinander nicht mehr, das heißt, die Kinder dürfen wieder nebeneinander sitzen. Allerdings gilt die Abstandsregel für uns als Lehrer. Wir müssen weiterhin zu den Kindern mindestens 1,50 Meter Abstand halten.

Für Sechs- bis Zehnjährige ist das sicher ungewohnt.
Baumgartner: Das dürfte bei größeren Kindern kein Problem darstellen. Bei uns an der Grundschule funktioniert es aber nur sehr eingeschränkt. Gerade bei unseren Erst- und Zweitklässlern ist es schwer vorstellbar, dass die Lehrerin nicht zu einem Kind hingehen und diesem etwas noch einmal persönlich im Flüsterton erklären darf. Oder dass die Lehrerin einem Kind kein Pflaster aufs blutende Knie kleben darf. Oder dass die Lehrerin keinem Kind tröstend über den Kopf streichen darf. Oder dass die Lehrerin keinem Kind helfen darf, ein Heft in der Schultasche zu finden oder einen Stift zu spitzen. Oder, oder, oder. Gerade die Schulanfänger suchen oft die körperliche Nähe der Lehrerin, möchten bei der Lehrerin an der Hand gehen oder der Lehrerin etwas zeigen, auf das sie stolz sind. Das alles ist mit 1,50 Meter Abstand äußerst schwer umsetzbar.

Welche speziellen Hygienevorkehrungen gibt es bei Ihnen?
Baumgartner: Unsere Corona-Hygiene-Regeln haben sich vor den Sommerferien recht gut bewährt und wir haben sie im Großen und Ganzen beibehalten. Auf den Einsatz von Desinfektionsmitteln zur Händedesinfektion verzichten wir an unserer Schule aus verschiedenen Gründen wie mögliche allergische Hautreaktionen, leichte Entzündbarkeit etc. . Wir legen großen Wert auf das regelmäßige Waschen der Hände mit Seife. Die Maskenpflicht auf den Begegnungsflächen klappte von Anfang an sehr gut, auch die Schulanfänger kommen damit problemlos zurecht. Die Zahl der täglich vergessenen Masken bewegt sich im niedrigen einstelligen Bereich. Wir haben Ersatz-Einwegmasken für diese "Notfälle". Übrigens haben wir Stoffmasken in Auftrag gegeben - in unserer Schulfarbe: knalligem Orange, und mit aufgedrucktem Schullogo. So werden demnächst viele Ringseer Kinder den gleichen Mundschutz tragen, was hoffentlich zu einem guten Gemeinschaftsgefühl beitragen wird. Wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen!

Welche Szenarien für mögliche neue Einschränkungen gibt es in Ihrer Schule?
Baumgartner: Hierfür haben wir bereits vor den Sommerferien ein Konzept entwickelt, in das wir unsere Erfahrungen aus der Homeschooling-Zeit mit einfließen haben lassen. Was sich an unserer Schule gut bewährt hat, sind sogenannte Padlets, eine Online-Unterrichtsplattform. Damit haben während der Schulschließungen schon einige Kolleginnen der Grundschule Ringsee gearbeitet. Da die anderen Lehrerinnen auch daran interessiert waren, werden wir nun nächste Woche eine schulhausinterne Lehrerfortbildung durchführen zum Erstellen eines Padlets - für den Fall, dass wir wieder teilweise in den Distanzunterricht gehen müssen.

Womit haben Sie während des Distanzunterrichts weniger gute Erfahrungen gemacht?
Baumgartner: Indirekt mit Videokonferenzen. In einer unserer Klassen hat eine Mutter täglich eine Videokonferenz angeboten. In diesen Videositzungen hat sie zum Beispiel jedes Kind, das teilnahm, die Lesehausaufgabe vorlesen oder Rechenaufgaben lösen lassen. Später haben wir erfahren, dass die Eltern eines Kindes über Wochen hinweg gezielt die anderen Kinder, vor allem im Hinblick auf deren schulischen Leistungsstand, täglich beobachtet haben und ein klasseninternes Ranking erstellt haben. Da ging es um Fragen wie: "Welches Kind liest noch stockend? " Ich habe das als erschreckend empfunden. Den meisten Eltern ist sicherlich, wenn sie ihr Kind an einer Videokonferenz teilnehmen lassen, nicht bewusst, dass sich auch Außenstehende ein durchaus differenziertes Bild von einzelnen Kindern machen können und hier einen unerwünschten Einblick gewinnen können.

Wie steht es um die Corona-Risikogruppe im Kollegium?
Baumgartner: Bei uns haben im neuen Schuljahr alle Lehrerinnen ihren Dienst angetreten. Das ist für mich als Schulleiterin natürlich sehr erfreulich und auch für die Kinder gut.

Was haben sich die Kolleginnen und Sie noch für das neue Schuljahr einfallen lassen oder bereits umgesetzt?
Baumgartner: Im Vorfeld des Schulanfangs habe ich mich um einen regelmäßigen Kontakt zu unseren Familien mit ABC-Schützen bemüht. Ich habe viele Mails und Anrufe erhalten und alle Fragen ausführlich beantwortet. Für die Kinder haben wir über ein Padlet versucht, ein digitales Angebot zu schaffen. Recht putzig war etwa der kleine Schulhausführungsfilm mit Kathi, Schülerin der 4. Klasse, und Mimi der Lesemaus, da die echten Schulführungen vor den Sommerferien ja leider nicht stattfinden konnten. An unserem ersten Schultag vor zwei Wochen wurden die Schulanfänger dann in der Turnhalle von Kathi und Mimi "in live" begrüßt und die Mädchen und Buben sahen gleich "bekannte Gesichter".

Die bayerischen Schulen waren von Mitte März bis Ende April geschlossen und wurden dann schrittweise geöffnet. Was hat sich Ihre Schule einfallen lassen, um in dieser schwierigen Zeit den Kontakt zu halten?

Baumgartner: In der Woche, in der im Frühjahr unser alljährlicher Aktionstag stattgefunden hätte, haben die Schulanfänger einen Stempelpass mit vielen verschiedenen Aufgaben erhalten. Außerdem haben sie einen Stempel bekommen, mit dem sie sich selbst die Erledigung der Stationen bestätigen konnten, und sogar ein kleines verpacktes Küchlein, denn am "echten" Aktionstag gibt es auch für jedes Kind ein Stück Kuchen umsonst. Die Stempelpässe und das "Zubehör" wurden übrigens von einigen Elternbeiratsmitgliedern zu den Schulanfänger-Familien gebracht - mit dem Radl oder zu Fuß. So sind bereits im Frühjahr erste Kontakte zwischen "Alt-Eltern" und "Neu-Eltern" entstanden. Ein schöner Nebeneffekt war, dass wir letzte Woche keine Probleme hatten, neue Mitglieder für unseren Elternbeirat zu finden.

Was ist Ihr Fazit als Rektorin nach einem halben Jahr Krise?
Baumgartner: Ich wage zu behaupten, dass wir in den letzten Monaten vor allem alle gelernt haben, spontan zu reagieren, rasch etwas zu organisieren und vieles einfach mal auszuprobieren. Wir haben einiges geschafft - manches gut, manches weniger gut -, und das gibt mir eine gewisse Ruhe und Zuversicht, dass wir auch das bewältigen werden, was auf uns zukommt - was auch immer das sein mag.

DK

Die Fragen stellte
Christian Silvester.