„Plötzlich ändert sich alles“
Blind durch das Leben: Ingolstädter Andreas Dumann will Menschen mit ähnlichem Schicksal helfen

13.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:12 Uhr

Inzwischen kommt Andreas Dumann sehr gut zurecht: Ist er draußen unterwegs, hat er seinen Langstock dabei. Er hat einige Tipps auf Lager, die den Alltag für blinde Menschen erleichtern. Fotos: Werner

Jeder Handgriff sitzt: Andreas Dumann füllt Kaffeepulver in die Espressomaschine, macht die Herdplatte an und nimmt eine Tasse aus dem Regal. Die Handgriffe wirken routiniert und schnell, man bemerkt nicht, dass Dumann blind ist.



„Bei mir hat alles seinen festen Platz. Ohne Ordnung ist es schwierig“, sagt Dumann. Das ist etwas, das er im Laufe der vergangenen elf Jahre gelernt, nahezu perfektioniert hat. Denn damals wurde es „komplett dunkel“.

Ein schleichender Prozess, der zur Erblindung führt



Dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommen wird, das wusste der 58-Jährige. Die Diagnose Retinitis Pigmentosa, eine unheilbare Augen-Erkrankung, hat er im Alter von 30 Jahren bekommen. Bei der Erkrankung sterben die Sehzellen nach und nach ab, das Gesichtsfeld wird enger. Es ist ein schleichender Prozess, der letztlich zur Erblindung führt. „Mit 30 Jahren hatte ich einen Autounfall. Jemand fuhr mir in die linke Wagenseite, ich war nicht schuld, aber ich hab mich gefragt, warum ich den anderen nicht gesehen habe“, erinnert sich Dumann zurück. Er ging zum Augenarzt und wurde sofort nach Regensburg in eine Spezialklinik überwiesen. Dort bekam er die Diagnose. Der Schock saß tief, die Ärzte sprachen ein sofortiges Fahrverbot aus. „Ich war fix und fertig. Plötzlich ändert sich alles.“ Dass mit seinen Augen etwas nicht ganz stimmt, bemerkte er schon im Kindesalter. „Ich hatte Probleme in der Dunkelheit, meine Augen brauchten zehn Minuten, um sich an dunkle Räume zu gewöhnen.“

„Ich konnte die Krankheit nicht annehmen“

18 Jahre nach der Diagnose verlor er das Augenlicht komplett. Die ersten zwei Jahre danach seien schwierig gewesen. „Damals ging es mir nicht gut, man fällt in ein Loch. Ich konnte die Krankheit nicht annehmen.“ Nach einer Beratung beschloss er, an einem zweiwöchigen Langstock-Kurs teilzunehmen. Das war der Wendepunkt. „Ich lernte andere Menschen kennen, die blind sind und mir gezeigt haben, dass das Leben weitergeht.“

Die Krankheit annehmen, das ist der erste Schritt



Nach dieser Erfahrung beschloss Dumann, dass er anderen Menschen mit ähnlichem Schicksal helfen will. Seit einigen Jahren arbeitet er ehrenamtlich für den Verein Pro Retina, eine Selbsthilfevereinigung für Menschen mit Netzhautdegenerationen. Er ist ausgebildeter Hilfsmittel- und Sozialberater und für den Arbeitskreis Sport tätig. „Ich weiß, wie schwierig es ist, mit dieser Diagnose zu leben. Ich will meine Erfahrungen weitergeben und versuchen, den Menschen zu helfen.“ Der erste Schritt sei, die Krankheit anzunehmen. „Leider gibt es einige, die das nicht schaffen und nur noch daheim bleiben. Wenn man aber nicht rausgeht, dann wird die Angst immer größer.“

Dumann geht gerne joggen, dafür hat er ein Gummiband gebastelt, das er und sein Laufpartner jeweils an einem Ende halten. Schon dreimal habe er so am Ingolstädter Halbmarathon teilgenommen. „Sport ist wichtig, so verarbeite ich auch meine Krankheit.“ Außerdem geht er gerne ins Theater oder ins Kino. Mit einem speziellen Audioprogramm wird beschrieben, was auf der Leinwand zu sehen ist. „So gelingt die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.“

In Sachen Inklusion hat sich einiges getan

In Sachen Inklusion habe sich in der Stadt einiges getan, Dumann kommt gut zurecht. Das war nicht immer so, er erinnert sich an eine Situation im Rathaus vor einigen Jahren. „Ich sollte eine Nummer ziehen, aber wusste nicht, wo der Automat stand. Als ich dann endlich den Zettel hatte, erschien die Nummer auf einem Bildschirm, den ich natürlich nicht sehen konnte.“ Situationen wie diese werden seltener. Um Dinge wie Reisen, Fahrten im öffentlichen Nahverkehr oder einen Gang zum Supermarkt zu organisieren, benötigt Dumann viel Zeit im Vorfeld. Zugfahrten müssen beispielsweise vorab angemeldet werden – bei der Bahn oder der Bahnhofsmission – damit Menschen am Gleis sind, die ihn unterstützen.

Regelmäßig ist Dumann bei Schulklassen in der Region zu Gast, dort erzählt er den Kindern, wie er seinen Alltag bewältigt und welche Tricks ihm dabei helfen. „Ich will Kinder sensibilisieren und ihnen zeigen, dass blinde Menschen ganz normal sind, und dass sie keinen Bogen um uns auf der Straße machen müssen. Also ihnen einfach ein Stück weit die Angst nehmen.“