Nagendes Problem
Stadt startet weiteren Anlauf, der Kaninchen-Überpopulation im Klenzepark Herr zu werden

07.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:41 Uhr
Allein im Klenzepark leben über 1000 Kaninchen. Sie unterhöhlen Bäume und fressen Blumenbeete kahl. Der TÜV befürchtet, dass der Hang hinter dem Spielplatz wegen zahlreicher Bauten instabil werden könnte. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Die Kaninchen haben den Spielplatz für sich.

Seit die Klettergerüste im Klenzepark wegen der laufenden Sanierung eingezäunt sind, toben keine Kinder mehr auf ihnen herum, dafür haben offensichtlich die niedlichen Nager ihren Spaß. Zeitweise haben die Kaninchen Gesellschaft von Florian Aigner und Sebastian Huppertz. Aigner hat den Spielplatz vor 30 Jahren für die Landesgartenschau im Klenzepark entworfen und ist jetzt mit der Sanierung betraut. Er und sein Kollege beobachten, wie sich die Tiere immer mehr einnisten. "Die meisten Löcher hier sind erst in der letzten Zeit entstanden", berichtet Aigner. "Sie hupfen hier auch am Tag durch die Gegend", sagt Huppertz. "Sie sind wirklich zutraulich. "

Das ungestörte Verhalten der Tiere birgt Risiken. Nach Angaben der Stadt nagen sie an den Holzelementen und vor allem graben sie tiefe Gänge in die Böschung hinter dem Spielplatz und in den weichen Untergrund rund um die Rutsche und andere Spielgeräte. Ein TÜV-Gutachten sieht jetzt sogar die Stabilität des Hangs in Gefahr. Er droht abzurutschen, sollten sich die Nager weiter dort ausbreiten. Auch einige Stufen könnten instabil werden, da sie von Kaninchen - nicht immer sichtbar - unterhöhlt wurden, berichtet Bürgermeisterin Petra Kleine.

PossierlichePlage

Die Kaninchen gehören längst zum Klenzepark. Auch in anderen Grünanlagen wie dem Schwarzen Weg sind sie zu beobachten. Auf dem Gelände der einstigen Landesgartenschau sind es mittlerweile allerdings so viele, dass sie sich zu einer possierlichen Plage entwickelt haben. Abends und nachts sitzen sie zu Hunderten mümmelnd auf der Tillywiese, was am nächsten Morgen auch an ihren Hinterlassenschaften deutlich wird. Sie beknabbern flächendeckend Beete und Anpflanzungen, graben tiefe Löcher und unterhöhlen Bäume.

Im Frühjahr beschloss die Stadt deswegen, die Kaninchen zu bejagen. Nach einem Aufschrei wohlmeinender Tierfreude hat sie die Maßnahme aber vorerst abgeblasen. Das Problem blieb freilich ungelöst, die Karnickel vermehrten sich weiter. Die Zahl der Tiere im Klenzepark betrage mittlerweile "über 1000 Tiere", sagt Kleine. Jetzt startet die Stadt angesichts der Schäden und auch wegen der drohenden Gefahr am Spielplatz einen zweiten Anlauf. Im benachbarten Wäldchen sind die Nager ebenfalls zunehmend aktiv. Stellenweise haben sie so starke Wurzeln durchtrennt, dass die Standsicherheit einiger Bäume bedroht ist, berichtet Kleine. Sie beobachtet die Entwicklung mit Sorge, da in der Baumgruppe auch immer wieder spielende Kinder unterwegs sind. Einige Stämme in dem kleinen Wald sind bereits umgestürzt. "Das ist mittlerweile eine Frage der Verkehrssicherungspflicht", sagt Kleine. Schließlich sei die Stadt in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass Kinder und andere Besucher des Klenzeparks nicht in Gefahr geraten. Das Thema beschäftige auch die Polizei. Sie berichtet, dass immer mehr Kaninchen auf der Ringstraße und am Brückenkopf überfahren werden. Manche Vollbremsung aus Tierliebe soll schon zu gefährlichen Situationen geführt haben.

Fachleute empfehlen Reduzierung der Population

Alle Vergrämungsmaßnahmen von dichten Maschendrahtzäunen über stark riechende Pflanzensäume bis zu speziellen Düngungen haben das Problem nicht nachhaltig gelöst. Als einzig realistische Möglichkeit - wenn der Park auch weiter von Menschen genutzt werden soll - bleibt weiter nur, die Zahl der Kaninchen zu reduzieren, so Kleine. Das haben auch externe Spezialisten bestätigt, bei denen die Stadt um Rat gebeten hat. "Wir haben Kontakt zu einem Wildtiermanager, der unter anderem auch Frankfurt am Main berät", berichtet Kleine. Dort hat sich die Stadt schon vor einiger Zeit für eine regelmäßige Bejagung der Tiere entschieden - und fährt offenbar gut damit. Kleine hat auch die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg kontaktiert. Dort beschäftigt sich die Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement unter anderem mit Populationsdynamiken. Alle Fachleute sagen: An einer Entnahme von Tieren kommt Ingolstadt nicht vorbei.

Auch aus Fragen des Tierwohls muss demnach gehandelt werden. Ihre schiere Menge wird sich sonst über kurz oder lang für die Kaninchen zum Problem entwickeln. Da die Karnickel im Klenzepark keine Fressfeinde haben, vermehren sie sich in sprichwörtlicher Menge. Der Klenzepark ist aber nicht groß genug, um große Beutegreifer - Zoologen sprechen von Prädatoren - anzusiedeln. Deswegen wird irgendwann die Natur ihren Lauf nehmen. Seuchen sind in einer Überpopulation gar nicht zu vermeiden, warnen Experten. Biologen sprechen in diesem Fall von einem "Massenwechsel". Dabei stirbt ein Großteil der Tiere an Pandemien. Bei Wildkaninchen wie denen im Klenzepark treten vor allem die Chinaseuche RHD und die Myxomatose auf. Diese Viruserkrankung befällt Augen, Nase und Ohren. Die Tiere leiden bis zu zwei Wochen an Entzündungen, bis sie eingehen. "Sie gehen elendiglich daran zu Grunde", hatte Andreas Naumann, stellvertretender Leiter des Forstamtes schon im Frühjahr auf Anfrage des DONAUKURIER erklärt, als eine Bejagung der Tiere erstmals öffentlich diskutiert wurde. Deren Absage erzürnte auch die Nutzer der benachbarten Kleingartenanlage, die nach diversen Fressattacken mehrfach bei der Stadt vorstellig wurden. Ein Unbekannter griff vergangene Woche zu einem drastischen Mittel und legte Drahtschlingen aus, in denen sich die Nager verfangen sollten. Ein Kaninchen musste aus einer solchen Falle befreit werden. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. In ganz Deutschland berichteten Medien von dem "Tierquäler aus Ingolstadt".

Kaninchenexport nach Polen oder Spanien?

"Weil es im Klenzepark keine Prädatoren gibt, müssen wir die Füchse und Uhus sein", resümiert Kleine. Auch ihr wäre es am liebsten, wenn bei der Maßnahme keine Tiere getötet werden müssten. Sie einfach irgendwo auszusetzen, verbietet allerdings das deutsche Tierschutzgesetz. Manch ein vermeintlicher Tierfreund hatte sich zuletzt angeboten, einzelne Kaninchen bei sich aufzunehmen. Das allerdings ist kaum möglich. "Das sind Wildtiere", stellt Kleine klar. Sie können nicht wie Haustiere oder Stallhasen gehalten werden. Zumindest nicht, ohne sie zu quälen.

Ab Oktober - wenn eine Bejagung der Tiere nach der Aufzucht der Jungen wieder erlaubt ist - sollen jetzt an neuralgischen Punkten im Klenzepark Kaninchen eingefangen werden. Dazu werden Frettchen mit Glöckchen um den Hals in die großen Hauptbaue geschickt, die die Nager in Netze treiben. Theoretisch besteht dann die Option, sie im Ausland auszusetzen. In Polen und Spanien gibt es eingezäunte Wildparks, wo das möglich und auch erlaubt wäre. "Sie würden dann natürlich von den dortigen Füchsen und Wölfen bejagt", so Kleine. Möglich wäre auch, die Kaninchen an Zoos weiterzugeben, wo sie dann Fleischfressern als Nahrung dienen. Auch zur Ausbildung von Jägern und ihren Hunden werden Wildkaninchen gebraucht. Die Stadt hat mittlerweile eine Ausschreibung gestartet und hofft jetzt auf kreative Vorschläge, was mit den Karnickeln aus dem Klenzepark passieren soll.

DK

Johannes Hauser