Ingolstadt
Digitaler Fortschritt und "Zombiefirmen": Was von Corona bleibt

Studierende der THI untersuchen Auswirkungen der Pandemie auf Handel und Gastronomie

19.07.2021 | Stand 23.09.2023, 19:50 Uhr
Neue Wege aus der Krise: Mit zusätzlichen Angeboten wie dem Ingolstädter Lieferservice Order Local haben Gastronomie und Handel auf die Corona-Beschränkungen reagiert. Viele Entwicklungen wurden beschleunigt, aber nicht jeder Unternehmer konnte das Tempo mitgehen. Wie viele aufgeben mussten, lässt sich noch nicht sagen. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Es gibt kaum einen Lebensbereich, der in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht von der Corona-Pandemie beeinflusst worden ist.

Über die mittel- und langfristigen Auswirkungen dieser beispiellosen Situation wird viel spekuliert. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Krise wird dauern. Eine Gruppe Studierender der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) hat einen Anfang gemacht und im jetzt zu Ende gegangenen Semester viele Quellen durchforstet, um die Folgen der Pandemie - und der mit ihr verbundenen Maßnahmen - für Handel und Gastronomie zu untersuchen. Die Aufgabenstellung war, belastbare Zusammenhänge zu finden und sich nicht auf Spekulationen zu verlegen, erklärt Stefan Rock, Professor für Internationales Handelsmanagement. Dabei sollten auch die Auswirkungen auf die Innenstädte beleuchtet werden. Da die Situation der darbenden Stadtzentren meist von Städteplanern erörtert werde, könne die Perspektive von Handelsspezialisten bereichernd sein, ist Rock überzeugt.

Verschleppte Insolvenzen und Zombieunternehmen

Ende März, zu Beginn des Semesters, machten sich die Viertsemester Yvonne Betz, Franziska Braun, Riccarda Lory und Markus Stegmayr ans Werk. Zunächst galt es, das Forschungsfeld etwas einzuschränken. "Wir haben uns an den Angaben des statistischen Bundesamtes orientiert, welche Branchen besonders betroffen sind", erklärt Betz. Manche Unternehmen fielen aus der Betrachtung, da ihre Situation noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Lory nennt als Beispiel Clubs und Diskotheken, die seit über einem Jahr geschlossen sind. "Es ist klar, dass die unter der Situation extrem leiden", sagt sie. "Welche Konsequenzen daraus gezogen werden, ob es zum Beispiel neue Geschäftsmodelle gibt, wird man aber erst sehen, wenn sie wieder öffnen dürfen. "

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Corona-Pandemie bereits angelegte Entwicklungen beschleunigt hat. Viele Geschäftsleute waren gezwungen, die Digitalisierung ihres Angebots schneller als geplant voranzutreiben, moderne Liefer- und Abholkonzepte zu entwickeln. "Für viele war der Aufwand dafür vor Corona zu groß", erläutert Stegmayr. "Corona hat sie gezwungen, solche Dinge schnell anzugehen. Viele Geschäftsleute standen im Lockdown vor der Entscheidung: Online oder gar kein Geschäft. "

Dieser offensichtliche Effekt lässt sich mittlerweile in Zahlen fassen. "Es gibt eine Studie, die besagt, dass die Corona-Pandemie diesen Strukturwandel um sieben bis acht Jahre beschleunigt hat", berichtet Betz.

Nicht alle konnten dieses Tempo mitgehen, die Krise zur Chance machen. "Corona hat wahnsinnig viel kaputtgemacht", sagt Betz. Noch sind die Schäden in der Wirtschaft nicht abzuschätzen, erklärt Braun. Das liege unter anderem am geänderten Insolvenzrecht. Pleiten müssen derzeit nicht angezeigt werden. Deswegen ist zu erwarten, dass die Zahl der Insolvenzen nach der Pandemie deutlich steigen wird. Auch, weil dann staatliche Hilfen wegfallen, die jetzt das eine oder andere Geschäft noch am Leben halten. Bei der Aufarbeitung der Krise werde es manchmal unmöglich sein, zu beurteilen, ob eine Insolvenz tatsächlich im Zusammenhang mit Corona steht oder nicht. So manches Unternehmen war schon vor der Pandemie finanziell am Ende, ist aber noch immer nicht offiziell insolvent. Die Studierenden sprechen von "Zombieunternehmen".

Dazu kommen kleinere, meist inhabergeführte Geschäfte, die nach dem Lockdown "einfach nicht mehr aufmachen", erklärt Lory. "Viele von ihnen sind so klein, dass sie gar keine Insolvenz anmelden müssen. " Sie sterben leise. Entsprechend werden sie nirgends offiziell aufgeführt.

Corona legt Defizite der Innenstädte offen

Manche Krisenphänomene werden mit der Pandemie verschwinden. Nicht jeder gastronomische Betrieb, der in Zeiten von Lockdown und Homeoffice ein Liefersystem aufgebaut hat, wird es auch danach behalten. Dazu ist das Angebot oft zu aufwendig und teuer. Viele Geschäfte haben - gezwungenermaßen - Angebot wie "Click und Collect" oder "Click and Meet" entwickelt, die sie aufgegeben haben, sobald die Kunden wieder problemlos in die Geschäfte konnten.

Anderes wird bleiben. So hat etwa die Bedeutung der Außengastronomie zugenommen. Zeitweise durften in der Pandemie keine Gäste in Innenräumen bewirtet werden, weswegen einige Gastronomen eigens einen Außenbereich angelegt haben. Die sind mittlerweile so beliebt, dass viele Gäste gar nicht mehr im Wirtshaus sitzen wollen, sondern nur noch davor. Ein Trend, der sich auch schon zu Zeiten des Rauchverbots angekündigt hat.

Manche setzen bewusst auf diese Entwicklung. Stegmayr berichtet aus seinem Heimatort Schrobenhausen: "Hier gibt es mittlerweile mehr Straßencafés in der Innenstadt als vor der Pandemie. "

Die Corona-Pandemie hat auch das Sterben der Innenstädte beschleunigt. Wo der Einzelhandel das prägende Element der City ist, bedeutete der Lockdown einen Todesstoß für die ohnehin schon darbenden Einkaufsstraßen. "Hier hat die Pandemie den Handlungsbedarf klar offengelegt", sagt Lory. Ein guter Mix an Angeboten sei die einzige Möglichkeit, Besucherfrequenz in die Stadt zu bekommen und damit das wirtschaftliche Überleben der Innenstädte zu sichern. "Die Zeiten, in denen man einfach einen Primark in der Stadt aufgemacht hat, und dann sind die Leute schon gekommen, sind vorbei", sagt sie. "Die Innenstädte müssen völlig neu gedacht werden. Es braucht Kultur, attraktive Gastronomie und vielleicht auch alternative Angebote wie Co-Working-Spaces oder eine Kinderbetreuung. "

Auch Aspekte der Nachhaltigkeit gelte es dabei zu beachten, da sich viele Menschen der Klimakrise bewusst werden und verstärkt danach handeln. Das hat unter anderem Auswirkungen auf die Gastronomie. Immer mehr Kunden legen Wert auf biologische, faire und hochwertige Angebote.

Ingolstadt habe dabei gar nicht so schlechten Chancen. Es gebe Untersuchungen, die die Schanz im Vergleich zu anderen Städten als "relativ stabil gegen externe Krisen", erachten. Das liege vor allem an der vergleichsweise großen Kaufkraft in der Stadt. Dieses Potenzial gelte es zu nutzen. Mit Interesse verfolgen die Studierenden der THI deswegen den jetzt gestarteten Innenstadtprozess in Ingolstadt.

DK

Johannes Hauser