Ingolstadt
Süleyman Paschas faltbarer Feldpalast

1687 erbeutetes Schlafzelt eines osmanischen Großwesirs kommt im Schloss wieder prachtvoll zur Geltung

02.02.2021 | Stand 06.02.2021, 3:33 Uhr
  −Foto: Silvester

Ingolstadt - Die staatlich auferlegte Tatenlosigkeit während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr beflügelte bei vielen Menschen die Kreativität.

Sie widmeten sich wieder einst erlernten Musikinstrumenten, begannen zu malen oder pflegten das Stricken. Ansgar Reiß, der Leiter des Bayerischen Armeemuseums, schuf eine filigrane Bastelarbeit, während das Neue Schloss zugesperrt war.

Er nahm ausgedruckte Fotos von einem der bedeutendsten Objekte seines Hauses, schnitt sie zurecht und fertigte ein Modell im Maßstab 1:16. Die Miniatur schob er schlachtplanmäßig über einen Grundriss des Schlosses, um zu erkunden, an welcher Stelle die historische Kostbarkeit am besten zur Geltung kommt. Reiß wählte einen Turmraum, der mit dem Schönen Saal eine Sichtachse bildet. Dort wird es im Frühling nach sieben Jahren wieder dauerhaft zu sehen sein: Das prachtvolle Zelt des osmanischen Großwesirs Süleyman Pascha, erbeutet von bayerischen Truppen un-ter der Führung des Kurfürsten Maximilian II. Emanuel in der Schlacht bei Mohács anno 1687 - einer der wenigen Siege in der Militärgeschichte Bayerns.

Entsprechend protzig haben die Wittelsbacher ihre Kriegstrophäe daheim zur Schau gestellt. Das Zelt aus Leinen, Seide und Wolle, Höhe 3,80 Meter, Durchmesser fünf Meter, hatte dem osmanischen Heerführer (der nach der Niederlage in Istanbul hingerichtet wurde) im Felde als Rückzugsort gedient. Hier nächtigte Süleyman Pa-scha, trank Kaffee oder tat, was Großwesire aus dem Reich der Osmanen sonst so in ihrer Freizeit zu tun pflegten.

Kurfürst Maximilian präsentierte den einstigen Privatbereich seines Feindes auf Festen, ließ darin Gäste bewirten - seine Art, diesen Triumph zu zelebrieren. "Man sah es als Burg des Gegners", erklärt Reiß. Napoleon ließ das Zelt 1800 auf seinem Siegeszug durch Bayern konfiszieren und nahm es mit nach Paris; Paschas portables Schlafgemach war in der Tat ein gefragtes Stück. Nachdem Napoleon die ihm ergebenen Wittelsbacher zur Königsfamilie befördert hatte, bekamen sie ihre alte Trophäe zurück.

1810 zierte das Zelt vermutlich anlässlich der Hochzeit des Kronprinzen Ludwig (des späteren Königs Ludwig I. ) eine Wiese bei München, die bald nach seiner Gattin Therese von Sachsen-Hildburghausen benannt wurde: Theresienwiese. Bier floss bei diesem - wie die Nachwelt dichtete - "Ersten Oktoberfest" noch keines, weder in dem winzigen Wiesnzelt kleinasiatischer Herkunft noch sonst wo auf dieser Feier.

Das Armeemuseum präsentiert das Zelt schon lange nicht mehr als Kriegsbeute. "Wir stellen die Geschichte dieses Objekts dar", sagt Reiß. Die Fragen lauten: "Wann wurde ihm welche Bedeutung zugemessen? Welche Funktion erfüllte das Zelt? " Die hat sich über die Jahrhunderte gewandelt. "Von einer Trophäe über ein osmanisches Schmuckstück zu einer exotischen Ergänzung für Feste - die Orientalisierung war damals in Europa beliebt. " All das soll auf großen, beleuchteten Schautafeln erläutert werden.

Als das Armeemuseum 1972 im Ingolstädter Schloss wiedereröffnet wurde, fehlte das Zelt; es waren noch Restauratoren daran zugange. 1973 kam es in die Ausstellung und avancierte schnell zum Klassiker. Generationen von Schanzern und Gästen der Stadt haben Süleymans Schlacht-Séparée bewundert. Ab 1987 war das Zelt im Tanzsaal ausgestellt. "Unter Wert", findet Reiß, "es stand zu sehr am Rand". 2014 wurde das Neue Schloss für die Landesausstellung "Napoleon und Bayern" leergeräumt. Teil eins der neu konzipierten und modernisierten Dauerausstellung des Museums wurde 2019 eingeweiht. Ab dem Frühling - wenn es die Viruspandemie zulässt und die Staatsregierung es erlaubt - können die Besucher das Prachtstück in neuer Umgebung bewundern. "Innen ist die schönste Seite", sagt Reiß, "deshalb haben wir das Zelt auf ein Podest gestellt, damit man gut reinschauen kann. " Rund um das raumfüllende Exponat ist wenig Platz. Das soll auch so sein. "Man muss nah rangehen. Das ist überwältigend! "

Die Historiker rücken das Osmanische Reich mehr in den Blick. Reiß: "Wir wollen weg von der eurozentrierten Sicht. " Eine Karte mit den Territorien des 17. Jahrhunderts zeigt, was für ein gewaltiges Gebiet die Osmanen beherrschten - und wie kümmerlich dagegen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wirkt.

Tobias Schönauer, Historiker und Konservator im Armeemuseum, erzählt von einem amüsanten historischen Zusammentreffen: In dem Saal des Schlosses, der einst als Schlafgemach der Herzöge und später des Kurfürsten Maximilian I. galt (er starb 1651 im Ingolstädter Schloss), hätten die Hoheiten gar nicht genächtigt. Sondern in dem Turmzimmer, das jetzt das Zelt beherbergt, in dem einst Großwesir Süleyman Pascha zu Bette sank.

DK