Ingolstadt
Ende und Anfang in St. Anton

Ausstellung mit Fotos Erich Reisingers erinnert an Zerstörung und Neubau der Kirche im Süden der Stadt

26.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:54 Uhr
Im Krieg zerstört, in einer Notzeit neu erbaut: die Kirche St. Anton auf einem Foto Erich Reisingers für die Ausstellung. −Foto: Reisinger, Archiv

Ingolstadt - Es war eine Tragödie mit vielen Toten. Am 9. April 1945 wurde die Augustinerkirche beim Angriff US-amerikanischer B17-Bomber getroffen. Es starben 73 Menschen, die in der Gruft des Rokoko-Gotteshauses Schutz gesucht hatten. Die Ruine der Augustinerkirche stand jahrelang wie ein Mahnmal gegen den Krieg mitten in der Stadt.

 

Viele Ingolstädter hofften, ja beteten, dass die beliebte Kirche wieder aufgebaut werde, wollten mithelfen. Doch anders als in Dresden, wo die 1945 zerstörte Frauenkirche 2005 nach einer geradezu unglaublichen Rekonstruktionsleistung neu erstand, war den Schanzern keine glückliche Wendung vergönnt. 1950 wurden die Relikte der Augustinerkirche abgebrochen; an ihrer Stelle entstand später der Viktualienmarkt.

Diese traurige Geschichte ist dank der Erinnerungsarbeit historisch engagierter Ingolstädter im kollektiven Gedächtnis der Stadt fest verankert. Was jedoch auch mit dazu beitrug, dass ein anderes beliebtes Ingolstädter Gotteshaus etwas im Schatten der Augustinerkirche steht: St. Anton an der Münchener Straße. Die Kirche wurde bei einem Luftangriff am 11. April 1945 weitgehend zerstört - fünf Menschen starben im Inneren - und binnen zweieinhalb Jahren wieder aufgebaut. Nicht originalgetreu wie die Frauenkirche, aber an den neubarocken Stil des Vorgängerbaus (Grundsteinlegung war 1914) erinnernd.

In der Not der Nachkriegszeit gelang den Kirchenbauern, darunter viele Helfer aus der Pfarrgemeinde, ein "Werk christlicher Gemeinschaftsarbeit", wie es der DONAUKURIER 1946 würdigte. Am 14. Dezember 1947 weihte der Eichstätter Bischof Michael Rackl die neue Antonkirche - ein Gotteshaus von großer Schönheit, "die man von außen leider nicht erkennt, weshalb viele an St. Anton vorbeifahren", sagt der Fotograf Erich Reisinger, ein engagiertes Mitglied des Historischen Vereins Ingolstadt. Das will er ändern. Um diesen vielfach übersehenen architektonischen wie künstlerischen Schatz ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, hat er die Antonkirche aus allen möglichen und - wie bei ihm üblich - auch einigen unerwarteten Perspektiven fotografiert.

 

Die Ausstellung mit rund 35 Bildern Reisingers wird am kommenden Sonntag, 1. März, nach dem Gottesdienst (gegen 11 Uhr) in der Kirche eröffnet und ist dort etwa drei Wochen lang zu sehen.

"Es ist wirklich eine wunderschöne Kirche ", sagt Reisinger, allein schon die prachtvolle Decke. Oder die filigranen Details wie die geschnitzten Verzierungen in den Bänken, die Motive von Gilden zeigen, darunter die der Eisenbahner. Im Süden Ingolstadts, nah am Hauptbahnhof, keine Überraschung. Die Kirche stellte den Fotografen vor bekannte Herausforderungen: "Etwa die vielen Schrägen in dem hallenartigen Raum, da muss man hohe Standorte wählen, um stürzende Linien zu vermeiden", erzählt er. "Das Licht ist in Kirchen generell schwierig. Auf dem Dachboden ist es so dunkel, dass zehn Minuten Belichtung nötig waren, damit man überhaupt etwas erkennt. "

Reisinger hat noch mehr Bereiche der Antonkirche fotografiert, die der Laie sonst nicht zu sehen bekommt, etwa die übereinanderliegenden Zimmer im Turm. "Da findet man noch alte Schriften. " Sehr reizvoll, findet er. Und deshalb ebenfalls Teil seiner Ausstellung. Ganz oben bei den Glocken war er auch mit der Kamera zugange.

 

Die Schau ist eines von mehreren Projekten der Pfarrei zu zwei Jahrestagen: die Zerstörung der Kirche vor 75 Jahren und ein rundes Jubiläum im Jahr darauf: Am 29. Juni 1921 wurde die Seelsorgestelle St. Anton eine eigenständige Pfarrei. Matthias Schickel, Mitglied der Pfarrgemeinde, kündigt an: "Wir schreiben für das nächste Jahr die Chronik und wollen mit der Ausstellung die Leute animieren, uns ihren Fotofundus zur Verfügung zu stellen. "

Ein Ziel ist die Annäherung an die dramatischen Ereignisse an jenem 11. April 1945 und der Zeit danach. Von einer Bombe getroffen, brannte die Antonkirche komplett aus. Das Schulhaus gegenüber wurde schwer beschädigt. Als der 60 Meter hohe Glockenturm einstürzte, begrub er fünf Menschen; sie starben in den Trümmern:

Unter der Führung von Stadtpfarrer Paul Spreitzer schritten die Gemeindemitglieder "vom elfjährigen Knaben bis zum 80-jährigen Greis", wie Kulturreferent Rudolf Koller 1960 schrieb, rasch zum Schuttabräumen. Sie brachen die Turmruine ab "und gewannen 150000 Ziegelsteine für den Wiederaufbau der Kirche". Dieses mühevolle Werk war tatsächlich schon am 8. September 1945 abgeschlossen.

Während der Arbeiten blickten die Helfer dem Tod ins Auge. Sie entdeckten in den Trümmern die Leichen: Pfarrer Max Königer, Kaplan Franz Mader, die Franziskanerinnen Schwester Theodolinde Häckl (die Mesnerin) und Schwester Eugenie Lehle (die Organistin) sowie den Soldaten Paulus Kettner.

Die Beschäftigung mit Ende und Anfang in St. Anton kann mithin als Würdigung einer aufopferungsvollen Gemeinschaftsleistung gelten. Und als Erinnerung an die Toten.

DK

Christian Silvester