Uraufführung in Ingolstadt
Anleitung zum Träumen

Großer Jubel: Mit „Nachts“ hat das Junge Theater Ingolstadt ein spannendes Projekt zum Thema Schlaf ersonnen

23.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:12 Uhr

Kissenschlacht gegen Angstgefühle: Michael Amelung, Paula Gendrisch, Enea Boschen und Benjamin Dami in der Werkstatt. Foto: Herbert



Was passiert, wenn ich träume? Welche Wesen sind im Dunkel unterwegs? Wie funktionieren Tag und Nacht? In der Produktion „Nachts“ spürt das Junge Theater Ingolstadt dem Mysterium des Schlafs nach. Am Samstagnachmittag war Premiere in der ausverkauften Werkstatt.

Monströses kündigt sich an. Erst ist da nur ein kleines mysteriöses Fellstück, das im Schlafanzug für Kitzelalarm sorgt. Dann flauscht es als Teebeutel-Ersatz in der Tasse. Später windet es sich riesenhaft und zottelig als Unendlichkeitsdecke aus einer Bodenritze, hüllt Schlafwandler in ein kuscheliges Nest, aus dem die eine mit lila Puschelmütze wieder auftaucht, der andere mit haarigen Ohrenschützern. Und dann. Ja dann. Entschlüpft dem rappelnden, zappelnden Karton unterm Bett ein lila Monster, das sein mitternächtliches Schreckprogramm startet – und verzweifelt. Denn das Kind schläft und schnarcht und reagiert kein winziges Bisschen auf sein scheusalhaftes BUH!

Um Monster, die unter unseren Betten leben, geht es an diesem Samstagnachmittag in der Werkstatt. Um das, was passiert, wenn wir (ein)schlafen und träumen. Um Wunderliches und Furchterregendes. Um Dunkelheit und Nacht. Um Sonne, Mond und Sterne. Um Parallelwelten und Gespensterpartys. „Nachts“ hat das Team des Jungen Theaters Ingolstadt sein spannendes Projekt genannt, in dem es sich zusammen mit 120 Kindern der Christoph-Kolumbus- und der Montessori-Grundschule Ingolstadt auf Forschungsreise begeben hat, um zu erkunden, was da eigentlich passiert zwischen erstem Gähnen, REM-Phase und Morgengrauen.

Die Fragen der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren rühren aus dem eigenen Erleben, sind so poetisch wie philosophisch und gaben Material für ein Stück, das das Thema von allen Seiten umkreist: Wie fühlt sich Schlaf an? Woraus sind Träume gemacht? Wo endet die Unendlichkeit? Wer hat sich ausgedacht, wie der allererste Mensch aussehen sollte? Was ist Wirklichkeit? Und warum heißt Nacht Nacht? Regisseurin Julia Mayr hat alle Ergebnisse und Erkenntnisse aus verschiedenen Workshops zu einer Geschichte geformt, in der wir vier Freunde durch die Nacht begleiten – vom Zähneputzen bis zum Zähneklappern, vom Nicht-Einschlafen-Können bis zur Schnarch-Oper, vom Traumspiel bis zur Nachtmahr-Attacke.

Dabei sind wir nicht allein: Agent 00Schlafmütze – eine vorwitzige Fledermaus – verfolgt sehr genau, was sich im Dachstübchen bei Dunkelheit alles ereignet. Denn tatsächlich ist die Kindheit der Lebensabschnitt, in dem am intensivsten geträumt wird. Entstanden ist so ein hinreißender, opulent bebilderter, irrwitzig schöner Theaterabend mit überbordender Fantasie, der Kleine und Große gleichermaßen verzaubert. Nach gut einer Stunde will der Applaus deshalb gar kein Ende nehmen.

Enea Boschen, Paula Gendrisch, Michael Amelung und Benjamin Dami sind die vier Schauspieler, die sich in weiß-grün-gestreifter Nachtwäsche für den wilden Ritt durch die Nacht bereitmachen. Gemütlich sieht es hier aus, in diesem Zimmer unterm Dach mit Bett und Bettvorleger und Fenster mit Sternenblick. Die Giebelform setzt sich rechts und links fort: Hausfront an Hausfront hat Ausstatterin Dietlind Konold wie in einem überdimensionalen Scherenschnitt aneinandergereiht. Viele Türen bieten beste Voraussetzungen für Klapp-auf-Klapp-zu-Klamauk, aber auch für heimlichen Gruselspaß. Immer wieder gibt es Audio-Einspieler von Kindern, die die Schauspieler aufgreifen und weiterspinnen. Warum wird es Tag und Nacht? Dreht sich die Erde oder die Sonne? Die Versuchsanordnung mit Topfpflanze, Schreibtischlampe und Apfel ist so kurios wie verwirrend. Daher schnell die Auflösung: Das System Erde-Mond bewegt sich um die Sonne, der Mond dreht sich um die Erde, und sowohl Erde als auch Mond drehen sich um die eigenen Achsen.

Federleicht und akrobatisch ist das Spiel der Vier: Zahnputz- und Einschlaf-Choreographie, Kissenschlacht und Spuk-Show. Aber damit nicht genug. Sie agieren auch als Puppenspieler. Herrliche Wesen hat Puppenbauerin Vanessa Valk erdacht, die sich hier lautlos durch die Traumwelt bewegen: ein glitzerschuppiger Fisch mit Schwanzfedern, eine Katze mit feuerfunkelnden Augen, ein Hund, der sich aus dem Bettvorleger manifestiert, ein zartes Traummännchen mit rundem Kopf, feingliedrigen Beinchen und melancholischem Blick aus Taschenlampenaugen, das von drei Spielern bewegt werden muss. Und auch die Projektkinder haben Traumwesen erschaffen – vielarmig, mit Schlangenkörper oder Stielaugen. Auch sie gaukeln, gleiten, flirren, spazieren durch Nacht und Nebel (Beratung Figurenspiel: Mirjam Schollmeyer), während Klänge ins Bewusstsein tropfen, sich zu kleine Melodien verweben. Eine Spieluhr vielleicht. Etwas, was herüberweht aus der Erinnerung des Tages. Chris Neuburger ist für die Musik verantwortlich, auch er hat mit den Kindern komponiert, Instrumente ausprobiert, gesungen – und professionelle Hilfestellung geleistet bei der Vertonung von Eichendorffs „Mondnacht“: „Es war als hätt der Himmel die Erde still geküsst.“

Schlafen, wachen, träumen: Julia Mayr und ihr Team nehmen das Publikum mit in ein fremdes Land, das nur einen Wimpernschlag von unserem entfernt ist. Wo bizarre Wesen hausen. Wo man Ängste besiegen kann. Wo alles möglich ist. Einfach traumhaft!

DK




ZUR PRODUKTION

Theater:

Junges Theater Ingolstadt

Regie:
Julia Mayr
Ausstattung:
Dietlind Konold
Musik:
Christian Neuburger

Vorstellungen:

13. Mai, 6. Juni

Kartentelefon:

(0841) 30547200