Ingolstadt
"Wir sagen ja auch nicht Nordis und Südis"

Ossis und Wessis sind Geschichte: Wolfgang Bosbach spricht pointiert-humorvoll über die Deutsche Einheit

03.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:06 Uhr
CDU-Grandseigneur Wolfgang Bosbach bei seiner Rede zur Einheit Deutschlands. −Foto: Silvester

Ingolstadt - Er wird sehr gerne eingeladen, weil er mitreißend reden kann und "für seine intelligenten Analysen beliebt ist".

So kündigt Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll am Samstagabend den Ehrengast des Festakts der Stadt zum Tag der Deutschen Einheit an. Vielleicht, wer weiß, hat Wolfgang Bosbach, CDU-Bundestagsabgeordneter von 1994 bis 2017, schon ähnlich viel Zeit in Talkshows verbracht wie der Parteifreund Armin Laschet in Karnevalssitzungen. Gleich zu Beginn stellt Bosbach seine bühnentaugliche Schlagfertigkeit unter Beweis. Deneke-Stoll begrüßt wirklich jeden Würdenträger und jede Würdenträgerin im Rudolf-Koller-Saal der VHS und das sind nicht wenige. Kaum am Rednerpult, fährt der Gast fort: "Ich begrüße auch alle, die noch nicht namentlich begrüßt worden sind - und das sind ja nicht mehr viele. "

Zack. Den muss er machen, der pointensichere Rheinländer aus Bergisch-Gladbach. So humorvoll geht es weiter. Sogar die historische Talfahrt seiner CDU auf 24,1 Prozent bei der Bundestagswahl kann einem wie Bosbach die Laune nicht verderben. Obwohl seit 2017 offiziell im Ruhestand - nächstes Jahr wird er 70 -, hat er vor der Wahl mitgekämpft wie in alten Zeiten: 56 Termine. Das blieb nicht unkommentiert. "Meine Frau sagt: Damals im Bundestag warste nie da und heute biste weg. "

Bosbach hat es bis zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bundestag gebracht. Fünf Jahre lang lag sein Büro neben dem von Helmut Kohl. Da könne er Geschichten erzählen, deutet er mit karnevaleskem Lächeln an. Schweigt dann aber, was wohl besser ist. Kohl hin, Laschet her - in der Union müsse man sich heute fragen "ob wir noch eine Volkspartei sind", auch wegen des hohen Durchschnittsalters der Mitglieder: 61. Spitzenwert.

Elegant leitet er zu einem anderen ernsten Thema über: die Deutsche Einheit. Für Bosbach mehr als ein Ereignis, nämlich ein Prozess, an dem bis heute weitergearbeitet werde - ein Auftrag, bei dem allen klar sein müsse: "Frieden ist nicht selbstverständlich. Freiheit ist nicht selbstverständlich. " Er erinnert daran, welch enormes Risiko Ungarn im Mai 1989 einging, als der Warschauer-Pakt-Staat - Monate vor dem Fall der Berliner Mauer - einsam beschloss, die Grenzzäune zu Österreich abzubauen und die Flüchtlinge aus der DDR passieren zu lassen. "Die Ungarn wussten ja nicht, wie die DDR und die Sowjetunion darauf reagieren. " Die Regime schickten keine Panzer los. Aber auch das war nicht selbstverständlich.

Bosbach ist dankbar, "dass im Grundgesetz der Gedanke an die Wiedervereinigung nie aufgegeben wurde". Die Einheit Deutschlands sei ohne historisches Vorbild gelungen. An nichts konnte man sich orientieren. "So etwas gab es auf der ganzen Welt noch nicht. " Der Tag der Deutschen Einheit sei deshalb "auch ein Tag des Innehaltens und der Zuversicht". Es komme nur darauf an, was die Deutschen eint, nicht was sie trennt. Das Gerede von "Ossis und Wessis" gehört für Bosbach gottlob der Vergangenheit an. "Man sagt ja auch nicht Nordis und Südis. "

Sicher, im Prozess der Wiedervereinigung sei vieles falsch gelaufen, aber das meiste habe sich zum Guten gewendet. Nur ein Beispiel: Die vergiftete Umwelt und die verpestete Luft in DDR-Industriemolochen wie Leuna oder Bitterfeld - heute blühende Landschaften, nicht nur sprichwörtlich. Die Deutschen, sagt Bosbach, dürften ruhig mal ein bisschen stolz sein auf Erfolge. "Auf unser Gesundheitssystem wird immer geschimpft. Außer, jemand wird im Ausland krank. " Ihm sei niemals von jemandem berichtet worden: "Ich liege in Marrakesch im Krankenhaus - super! Ich will nicht zurück. "

Bosbach stürmt mit hoher Bonmot-Dichte über das weite Feld der Politik. Er hadert mit dem deutschen Unternehmertum: Weltklasse in alten Industrien (Auto), aber zweitklassig in der Informationstechnologie. Ein Deutscher, Konrad Zuse, habe den Computer erfunden, doch den Reibach machen Amerikaner. Bei der Rente mit 67 spricht er der erwerbstätigen Seniorenschaft in Bosbach-Manier Mut zu: "Die Jüngeren laufen schneller, aber die Alten kennen die Abkürzung. "

Zur Dauer der Koalitionsverhandlungen hat er eine Prognose: "Die nächste Neujahrsansprache hält Bundeskanzlerin Angela Merkel. " Armin Laschet also eher noch nicht.

DK

Christian Silvester