Ingolstadt
Weiblicher Blick auf soziale Umstände

Die Festungsführung für Frauen lässt einmal andere Aspekte des Militärwesens aufscheinen

12.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:22 Uhr
Im Bunker unter der Rechbergstraße wird an den furchtbaren Bombentreffer erinnert, den dieser Teil der früheren Landesfestung bei einem Luftangriff gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hinzunehmen hatte (oben). Auch das dem Kavalier Heydeck vorgelagerte frühere Festungstor (unten links) ist Teil der Führung. Unten rechts erklärt Stadtführerin Brundhilde Deutscher die Festungsanlage am Plan. −Foto: Fotos: Heimerl

Ingolstadt (DK) Der ganze Militärkram ist den meisten Frauen ein Graus - zumindest, wenn es um Kommisston, Drill oder gar das blutige Kriegshandwerk an sich geht. Rein geschichtlich mag sich dann und wann aber auch das schöne Geschlecht mit dem Soldatentum und seinen Weiterungen befassen. In Ingolstadt ist das besonders gut möglich - jetzt auch bei einer Festungsführung "von Frau zu Frau".

Um es vorweg zu nehmen: Männer dürfen auch dabei sein. Sie sind aber leicht in der Unterzahl, als es am Sonntagnachmittag pünktlich um 14 Uhr am Treffpunkt seitlich der Rechbergstraße los geht. Stadtführerin Brundhilde Deutscher hat 17 Teilnehmer um sich versammelt, darunter zehn Geschlechtsgenossinnen. Sie hat selber einst Führungen durch Ingolstadts alte Befestigungen mitgemacht und sich dabei über die vielen technischen Details gewundert, die den männlichen Erklärern immer so wichtig sind. "Ich bin nicht so wild auf Waffentechnik", sagt sie einleitend, "aber ich weiß einige andere Dinge." Das zeigt sich bald.

Natürlich braucht es eine Einführung am alten Stadtplan. Dass unter Ludwig I. nach den Befreiungskriegen die bayerische Landesfestung an der Donau entstand und dass nur noch ein kleiner Teil der damaligen Wehranlagen erhalten ist, will einfach mal als Grundlage vermittelt werden. Warum der Monarch sich ausgerechnet für Ingolstadt als Standort seiner Zitadelle entschieden hat, ist womöglich nicht mit einem Satz zu erklären; Brundhilde Deutscher versucht es - augenzwinkernd - dennoch: "Der hat wohl gedacht, dass die Stadt ohnehin schon verschandelt war - dann soll's auch da hin..."

Nun, kleine Scherze sind erlaubt. Aber das Leben ist ernst, das der Soldaten allemal. Seinerzeit wohl umso mehr, denn selbst in Friedenszeiten war es im 19. Jahrhundert kein Zuckerschlecken, für den König die Waffen wenn auch nicht unbedingt zu führen, so doch zu verwahren. In jenen Jahren, als man noch meinte, sich mit immer dickeren Mauern und immer tieferen Unterständen verteidigen zu können, war oft wochenlanges Ausharren in den Katakomben nicht gerade amüsant. Wie viele sich in den feuchten Gewölben Rheuma oder Infektionen holten, ist nicht im Detail überliefert, doch dass das Ausharren in finsteren Gängen und modrigen Geschützstellungen nicht vergnügungssteuerpflichtig war, ist klar.

Es sind die sozialen Umstände dieser erst knapp 200 Jahre zurückliegenden Epoche, die bei dieser Führung aufscheinen. Als die Gruppe in der Fronte Rechberg auch die frühere Latrine besichtigt, wird das besonders deutlich: Als man hier früher Mann an Mann auf dem Donnerbalken zu sitzen hatte und die Grube nur einmal im Monat ausgelöffelt wurde (immerhin schon von einem externen Betrieb), war das wohl etwas, was vielleicht die Kameradschaft vertiefte, unter hygienischen Aspekten aber wohl eher nicht moderneren Standards entspricht. Auch dass es meistens nur alle vier Wochen zu einer ausgiebigeren Körperpflege mit fließendem Wasser reichte (sommertags im Militärbad, dem heutigen Schutterhof-Biergarten), wird heute eher überraschen. Dann ging's wieder zurück in die Unterstände.

"Man hat ja erst gedacht, dass die Soldaten hier auch dauerhaft wohnen könnten", berichtet Stadtführerin Deutscher, doch dann kam die Königliche Armee doch auf den Trichter, dass feste oberirdische Bauten der Gesundheit der Truppe dienlicher wären: Es entstanden die Kasernen, die heute immer noch weite Teile der Altstadt prägen und die längst Heimat wichtiger Behörden geworden und deshalb auch gut erhalten sind.

Dass sich die damaligen Soldaten, wo immer es ging, ein Stück Acker sicherten und so Gemüse und Obst für den Eigenbedarf anbauten, wird bei der Führung ebenfalls erklärt. Die Armee hatte die Männer nur im Krieg zu versorgen, so erfahren die Teilnehmer. In Friedenszeiten hingegen war jeder Uniformierte für seine Verpflegung selber zuständig. Dennoch soll es im Kavalier Heydeck später eine Art Kantine gegeben haben, in der sogar ein Eisschrank zum Inventar gehörte. Vielleicht war's ja eine besondere Dienstleistung für die Offiziere...

Das Kavalier Heydeck. Dort, wo jetzt seit Jahrzehnten die Arbeitsagentur residiert, kann immer noch besonders gut nachvollzogen werden, dass König LudwigI. seinerzeit vielleicht schon gar nicht mehr militärtechnisch zweckgemäß, aber immerhin architektonisch ausgefeilt bauen ließ. Der kunst- und feinsinnige Monarch habe eben Wert auf die Optik gelegt, sagt Brunhilde Deutscher: "Er wollte eine schöne Festung."

Außen hui, innen pfui? Die Syphilisrate unter den bayerischen Soldaten, dem Ingolstädter Festungspersonal im Besonderen, soll seinerzeit besonders hoch gewesen sein, berichtet die Stadtführerin. Bis zu acht Prozent der Uniformierten sollen den gefährlichen Erreger mit sich getragen oder gar Krankheitsanzeichen gehabt haben - das Dreifache der Quote bei der damaligen bayerischen Gesamtbevölkerung, so heißt es. Die Militärführung habe mit Reihenuntersuchungen bei den Ingolstädter Prostituierten im Taschenturm gegensteuern wollen, doch das soll nur bedingt geholfen haben.

Der Weg entlang der steinernen Relikte jener Jahre führt auch zum Bunker unterhalb der Rechbergstraße, ein Teil der vormaligen Festung, der im Zweiten Weltkrieg als Schutzraum bei Luftangriffen diente und dennoch etlichen Ingolstädtern den Tod brachte. Ein Volltreffer bei einem der größeren Bombardements kurz vor Kriegsende brachte Leid über etliche Familien, und Brundhilde Deutscher muss bekennen, dass auch in der Familie ihrer Mutter ein Todesopfer zu beklagen war. Dass die Landesfestung nie eine Prüfung in ihrer Zeit zu bestehen hatte, dafür aber ein Jahrhundert später im schlimmsten Krieg der Menschheit der modernen Waffentechnik in einem entscheidenden Punkt nicht widerstehen konnte, gehört auch zur Stadtgeschichte.

Bernd Heimerl