Ingolstadt
Aktenklau im Klinikums-Archiv

Ordner mit Originalangeboten für Vergabe mit fingiertem Losentscheid weg - Tag 5 im Lehmann-Prozess

21.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:19 Uhr
Eine wichtige Akte - die mit den Originalangeboten einer umstrittenen Vergabe - ist verschwunden. Unser Bild zeigt ein Symbolfoto. −Foto: Getty

Ingolstadt (DK) Bei der Vergabe für den Verkauf des früheren städtischen Krankenhauses an einen Bauträger gab es einige Ungereimtheiten. Das brachte der fünfte Verhandlungstag im Prozess gegen Alt-OB Alfred Lehmann an den Tag: Der Ordner mit den Originalangeboten ist verschwunden, über 200 gelöschte Dateien konnten nur durch eine Sicherungskopie, an die sich ein früherer EDV-Mitarbeiter erinnert hatte, wiederhergestellt werden. Wer für den Aktenklau verantwortlich ist, ist unklar.

Einiges, was Jochen Bösl, vorsitzender Richter der Großen Strafkammer am Landgericht Ingolstadt, gestern zu hören bekam, ist nicht ganz neu. Dass im Protokoll der Vergabe an jenen mitangeklagten Bauträger aus dem Landkreis Pfaffenhofen, bei dem Lehmann später eine Penthousewohnung erworben hat, ein Losentscheid schriftlich festgehalten ist, den es nie gegeben hat, hat der Alt-OB in seiner Erklärung am ersten Prozesstag bereits zugegeben. Eine "Sprachregelung", wie er es formuliert hatte, nachdem zwei Anbieter exakt dasselbe Angebot abgegeben hatten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Bestechlichkeit und Untreue vor. Lehmann war zum Zeitpunkt der Vergabe als OB kraft Amtes Verbandsvorsitzender des Krankenhauszweckverbandes. Der Verband war Eigentümer der zum Verkauf stehenden Liegenschaft.

Den vom Stadtplanungsamt erstellten Rahmenplan für die Überbauung - an der exponierten Stelle sollte eine Wohnbebauung entstehen, keine Studentenappartements - hatte der Stadtrat im Vorfeld beschlossen. Der für dem Zweckverband gehörende Liegenschaften zuständige Abteilungsleiter hatte die Ausschreibung zusammen mit dem Stadtplanungsamt vorbereitet, die Mindestangebotssummen wurden bei einem Termin mit Lehmann abgestimmt, sagte er als Zeuge aus.

Es war der 1. Dezember 2012, 12.15 Uhr, als im "Glashaus", wie der Besprechungsraum der Geschäftsführung im Klinikum genannt wurde, Eröffnungstermin für die Vergabe der insgesamt drei Baufelder war. In der Ausschreibung war festgehalten, dass bei zwei Baufeldern die Bestandsgebäude saniert, bei einem abgerissen werden sollen. Acht Angebote sind eingegangen, als sich zur Eröffnung sechs Personen im "Glashaus" einfanden: OB Lehmann, der damalige Geschäftsführer Heribert Fastenmeier, der sich später im Zuge der Klinikumsaffäre in der U-Haft das Leben genommen hat, die Justiziarin (sie arbeitet heute nicht mehr am Klinikum), der Leiter des städtischen Liegenschaftsamts, der für die Immobilien des Zweckverbandes zuständige Abteilungsleiter und die Leiterin des Stadtplanungsamts. Sämtliche Kuverts mit den Angeboten waren verschlossen, wie alle drei gestern vernommenen Zeugen bestätigten - neben dem für Immobilien zuständigen Klinikums-Mann waren dies die Justiziarin und der Leiter des städtischen Liegenschaftsamts. Es käme nicht oft vor, dass der OB selbst an solch einer Submission teilnehme, bei einem Projekt dieser Größenordnung sei es aber nicht ungewöhnlich, sagte einer der Zeugen.
"Muss ich da eigentlich hingehen?", soll Fastenmeier die Justiziarin kurz vor der Submission gefragt haben, was diese zunächst für einen Scherz gehalten habe. Später, bei der Angebotseröffnung, habe er sich sehr zurückgehalten. Die Baufelder 2 und 3 gingen klar an einen Ingolstädter Bauträger, bei Baufeld 1 hatte ein Bieter 4,1 Millionen Euro geboten. Sein Angebot entsprach jedoch nicht der Ausschreibung, es fiel aus der Wertung. Zwei weitere Anbieter - der aus Ingolstadt und der aus dem Kreis Pfaffenhofen - hatten jeweils 3,2 Millionen Euro geboten. Nach kurzer Diskussion entschied man, nicht alle drei Baufelder an eine Firma vergeben zu wollen, was laut Zeugenaussage vorrangig von Lehmann ausgegangen sei. Als dieser sagte, man nehme für Baufeld 1 die Firma aus dem Kreis Pfaffenhofen und die Formulierung eines Losentscheides ins Spiel brachte, leistete niemand Widerspruch. Von 600000 Euro, die der Ingolstädter Bauträger zusätzlich geboten haben soll, falls er für alle drei Baufelder den Zuschlag bekommt, wusste keiner der Zeugen etwas.

Als Ende 2012 der abgelehnte Ingolstädter Bauträger wegen einer Streitigkeit um die Tiefgaragenplätze sein Angebot noch einmal einsehen wollte, stellte sich heraus, dass der Ordner mit den Originalangeboten nicht auffindbar war. "Wir haben alles durchgesucht, er ist nicht mehr aufgetaucht", so der Zeuge aus dem Klinikum. Ob er ihn vielleicht der Geschäftsleitung übergeben habe? Das konnte er nicht genau sagen, hielt es aber für unwahrscheinlich: "Daran hätte ich mich erinnert." Auch über 200 Dateien waren gelöscht, konnten aber wiederhergestellt werden - darunter das Submissionsprotokoll.

Zum Ausdruck kam auch, dass der frühere Geschäftsführer Fastenmeier durch Mitarbeiter kaum Widerspruch duldete. So hielt die Justiziarin ihre Skepsis, was eine nachträgliche Vertragsänderung bezüglich der Geschossflächenzahl anbelangt, zwar schriftlich fest, kam der "ganz klaren Ansage" ihres Chefs, die Änderung zu vollziehen, aber nach. Dem Krankenhauszweckverband entstand durch die entgangene Nachzahlung laut Anklageschrift ein Schaden von 657765 Euro.

Der Prozess wird am Montag um 9.15 Uhr fortgesetzt.
 

Ruth Stückle